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Hassemers Kulturpolitik-betr.: "Utopie und Biederkeit", taz vom 11.3.89

Betr.: „Utopie und Biederkeit“, taz vom 11.3.89

Mit seinem Kommentar hat sich Klaus Hartung selbst ins politische Abseits geschossen. Dort steht unter anderem: „Der Kultur unter Hassemer kann man vieles vorwerfen..., aber er war wirklich ein fördernder Senator, dem es gerade gelang, den elitären Anspruch der Avantgarde unter die Leute zu bringen.“

Ich verstehe unter Avantgarde (was auch in jedem Lexikon nachzulesen ist) so etwas wie „neue künstlerische Wege gehen“ oder, eher kulturpolitisch gedacht, „Alternativen zur gerade vorherrschenden Hochkultur aufzeigen“. Doch weder das eine noch das andere hat Hassemer während seiner Amtsperiode getan. Ganz im Gegenteil hat er gezielt die großen Statussymbole subventioniert, während er Projekte wie die Regenbogenfabrik, künstlerische Selbsthilfeaktionen wie den „Stuttgarter Hof“ oder Lebens- und Wohnprojekte wie zum Beispiel die Pfuelstraße 5 bestenfalls ignorierte beziehungsweise dem freien Spiel der (Markt-)Kräfte überließ oder sogar mit brachialer Polizeigewalt unterband (was dann natürlich seinem Kollegen Kewenig zugeschrieben wurde).

In Zahlen spiegelt sich die Kulturpolitik Hassemers so wieder: Im Kulturhaushalt 1986 kamen der Deutschen Oper sage und schreibe 75,51 Millionen Mark, dem Philharmonischen Orchester schlappe 50,26 Millionen, den staatlichen Bühnen 36,53 Millionen Mark usw. an Senatsgeldern zu. Und das bei einem Kulturhaushalt von 470 Millionen Mark, in dem die Verwaltung schon mit 203,6 Millionen und die Kirchen mit 53 Millionen veranschlagt waren. Weiterhin gingen natürlich enorme Summen für die Vorbereitung und Ausführung der verschiedenen Bürgerfeten wie 750-Jahr-Feier und Kulturhauptstadt Berlin flöten. Unterm Strich blieb rundgerechnet eine Null für das, was ich als Avantgarde bezeichnen würde.

Und dann noch zu meinen, daß mit dem Programmangebot in diesen Senatsfetischen der „elitäre Anspruch der Avantgard unter die Leute“ gebracht wurde; das bleibt mir schlichtweg unergründlich.

Ich möchte Klaus Hartung einmal ins Theater des Westens bitten. Dort erwartet ihn eine vierstündige Foltertour mit Porgy und Bess. Auf der Bühne tanzen und singen Dutzende von Schwarzen ihren eigenen Diskriminierungsblues. Das Stück soll in den dreißiger Jahren revolutionär gewesen sein. Mir, ein Kinder der achtziger, kam es hingegen vor, als ob dort unten 50 kleine Negerlein uns da oben zeigen sollten, wie gut sie sich doch den (weißen) bürgerlichen Moral- und Sittenvorstellungen anpassen können.

Das Publikum jauchzt, wenn sich Porgy und Bess immer wieder aufs neue minutenlang sehnsuchtstriefende, von Askese beladene Liebesbekundungen zuschluchzen; oder es triumphiert, wenn die gesamte Crew zu christlichen Glaubensgesängen ansetzt. Kurz vor der Pause fühlt man sich in den Großen Preis versetzt, wenn dort das Süddeutsche Rundfunkballett mal wieder sein Können beweisen darf. Erst ein rasantes Solo, dann alle zusammen. Rechtes Bein, linkes Bein, und einmal im Kreis, und alles so schön synchron.

Diese „avantgardistische“ Darbietung kann man schoh für volksnahe 40 bis 100 Mark haben. Kein Wunder, daß man dort kaum einen Neuköllner mit seiner dreiköpfigen Familie trifft - aber das „steht auf einem anderen Blatt“. Glaubst Du das wirklich, Klaus?

Ähnlich die „Guggenheim-Ausstellung“. Für acht Mark kann man sich dort ein paar Bilder anschauen, die wohl fast jeder schon einmal in einem Kunstbuch gesehen hat. Zusammengefaßt in einem Band (mal angenommen), würden die dargestellten Bilder wohl als „Meisterwerke des Jahrhunderts“ oder gar als „Avantgardisten unserer Zeit“ durchgehen.

Vielleicht wäre diese Ausstellung noch nicht einmal so stupide und langweilig, wie sie dargeboten wird, wenn den einzelnen Bildern, besonders aber den Besuchern, etwas mehr Platz gelassen worden wäre. So jedoch wälzte ich mich gemeinsam mit Frau von Weizsäcker (Bürgernähe) durch die engen Gassen zwischen den berühmten Meisterwerken und mußte mir dabei noch die verschiedensten Kommentare meiner kunstbegeisterten Zeitgenossen reinziehen: „Wer isch dasch denn?“ „Kapinschki. Kennschte den?“ „Nö.“ Ich glaube, ein bißchen mehr kunstpädagogisches Geschick täte dieser Ausstellung gut, aber das will Klaus Hartung ja auf gar keinen Fall.

Die Alternative zur lehrenden Kultur ist aber eben gerade eine CDU-nahe Hochleistungskulturschau, wo nur das Beste, Größte und Erfolgreichste zählt. Inhalte gehen dabei flöten, wie auch bei dieser Ausstellung.

Höhepunkt einer solchen größenwahnsinnigen CDU -Kulturpolitik war für mich das „größte, schönste und sonst noch was Feuerwerk von Berlin, Deutschland, Europa oder gar der ganzen Welt“ zum Abschluß der 750-Jahr-Feier. Als guter Berliner touristisierte ich mit 100.000 anderen Berlinern („Er (gemeint ist Hassemer) vor allem hat die Berliner zu Touristen ihrer eigenen Stadt gemacht“) zum Tempelhofer Flugplatz. Drinnen waren einmal mehr die Reichen und Angesehenen, draußen standen die Neuköllner, Kreuzberger etc. Und dann ging es los. „Und nun der atemberaubende Silberregen aus China mit 125fach genoppter Pegelobergrenze bei vierfach verglipschter schwarz-braun-roter Farbsequenz.“ Peng. „Ohhh.“ „Als nächstes...“ Bis dahin wußte ich nicht, daß es auch Hochleistungsfeuerwerke gibt, nach diesem Spektakel war ich klüger. Einfach zum Kotzen.

„Kein Glanz, weder postmodern noch irgendwie sonst, dafür eine Epidemie des Wortes dezentral... Nein, dieses Programm läutet die Stunde der Kunstpädagogik ein, und das ist für eine Metropole zu wenig“, meint Klaus Hartung zum SPD/AL -Koalitionspapier in Sachen Kultur. Die Alternative zur dezentralen Kulturpolitik ist nun mal aber eine Größenwahnkultur a la Hassemer (oder Hitler, Stalin etc.).

Sich liberal zu geben, war schon immer am einfachsten. Nach wie vor bestimmt aber zu einem großen Teil das Sein das Bewußtsein (umgekehrt nur selten und in Ausnahmefällen), und das gilt gerade im besonderen Maße auch für den Kulturbereich mit seinen identitätsstiftenden Aufgaben.

Eine (wirtschafts-)liberal orientierte Kulturpolitik dient (ähnlich wie liberale Strukturen in der gesamten Politiksphäre) nur den Mächtigen beziehungsweise den den (Wirtschafts-)

strukturen am besten angepaßten Bevölkerungsschichten. Wer glaubt, daß durch ein neues Monstermuseum (gleich welcher Art) oder noch mehr millionenschweren Metropolenschnickschnack irgend etwas für jene Bevölkerungsteile getan wird, die schon jetzt in blinder Ohnmacht („ungebildet“, wie sie nun mal gemacht werden) versuchen, sich mit den größenwahnsinnigen Kulturprojekten zu identifizieren, dabei notgedrungen scheitern (schon allein, weil es nicht ihre Kultur ist), und dann ihre aufgestauten Aggressionen an denen ablassen, die nichts dafür können, wer das glaubt, der hat nichts kapiert.

Eine zentralistische Kulturpolitik fördert aber nicht nur aggressive bis hin zu faschistoide Verhaltensweisen bei den Zukurzgekommenen in den Außenbezirken, sondern vernichtet darüber hinaus auch noch die kulturelle Vielfalt dieser Stadt dadurch, daß die jeweils spezifischen Besonderheiten der einzelnen Stadtteile notgedrungen (da Geld knapp ist) vernächlässigt werden, und in Folge jeder und alles nur versucht (um überhaupt noch ein bißchen Kultur mitzubekommen), um jeden Preis bei dem einen, einzig richtigen, eben größenwahnsinnigen und kommerzialisierten Einheitsbrei namens Hochkultur bestmöglichst mitzumischen.

Gewinnen können bei diesem Kampf aber immer nur einige wenige, die anderen bleiben auf der Strecke oder eben zu Hause und holen sich fürs Privatkino den neuesten Rambo, um dem Gesocks da draußen zumindest im Traum eins auf die Fresse hauen zu können.

Bevor man diese Zusammenhänge nicht kapiert hat, wird Berlin nie wieder eine Metropole sein. Eine deutsche Hochkultur gleich welcher Art (ganz besonders aber die bürgerliche Variante) hat ihren letzten Joker bereits 1933 verspielt.

Wolfram Herbst, Berlin 30

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