: 18.Oktober 1977
■ Fünfzehn Bilder von Gerhard Richter in Krefeld
Der Maler Gerhard Richter, der 1932 in Dresden geboren ist, heute in Köln lebt und in Düsseldorf lehrt, gilt viel in der internationalen Kunst- und Kunsthandelswelt. Um seine zuletzt veröffentlichten Bilder, den Zyklus 18.Oktober 1977, gemalt im Herbst 1988, zu sehen, muß man nach Krefeld fahren.
Wenn man vom Krefelder Bahnhof aus die Stadt betreten will, geht das für Fußgänger nicht ebenerdig. Ein großes Schild „Samt- und Seidenstadt Krefeld“ verweist per Pfeil auf eine abwärts führende Treppe. Geht man sie hinunter, schlägt einem beißender Uringeruch entgegen, und man muß eine unterirdische Passage durchqueren, wie man sie sich dunkler, versiffter und toter kaum vorstellen kann. Krefeld hat auch ein großes Villenviertel, errichtet von den Samt- und Seidenfabrikanten. Dort, zwischen den Minischlössern und Miniburgen, stehen nebeneinander zwei Häuser, die Mies van der Rohe 1918 entworfen hat, Haus Esters und Haus Lange, heute im Besitz der städtischen Museen, genutzt als Ausstellungsorte für zeitgenössische Kunst. So haben es die ehemaligen Besitzer und Bauherren bei ihrer Schenkung verfügt.
Im Haus Esters sind Gerhard Richters Bilder ausgestellt. Sie hängen im Erdgeschoß des ehemaligen Wohnhauses in durch Naturlicht hellen Räumen, die von Möbeln, Vorhängen und Türen ganz befreit sind. Der Blick durch die rückwärtigen großen Fenster kann ständig über Wiesen, Büsche und Bäume schweifen. An den Innenwänden die Ausstellung mit dem Datum als Titel.
18.Oktober 1977, das war der Höhepunkt des Deutschen Herbstes. Da fand man Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan Carl Raspe tot in ihren Zellen im Stammheimer Hochsicherheitstrakt. Und wir wissen bis heute nicht, wie es geschah.
Gerhard Richter hat fünfzehn Bilder gemalt mit den Titeln Erschossener (zwei Tafeln), Gegenüberstellung (3), Tote (3), Festnahme (2), Beerdigung, Zelle, Erhängte, Jugendbildnis, Plattenspieler. Vorlagen waren Polizei- und Pressefotos, wie sie damals in den Medien von 'Bild‘ bis 'Stern‘ verbreitet wurden. Mit seiner grauen Malerei nach Fotos wurde Richter einst berühmt, erst in den achtziger Jahren begann er, farbig und abstrakt zu malen. Wenn der Ausdruck nicht so unpassend wäre, könnte man sagen: Zu diesem Thema von 1977 paßt seine alte Malweise wieder.
An einige der Vorlagen erinnere ich mich sofort: das Jugendbild von Ulrike Meinhof, das Foto von Baaders Leiche. Die Polizeifotos von Gudrun Ensslins Verhaftung, auf dem wir sie kaum wiedererkannten, die wir sie Jahre vorher in Berlin noch mit langen blonden Haaren auf dem FU-Campus sahen. Auch die Bilder ihrer Beerdigung im Fernsehen (und später im Film Deutschland im Herbst), auf denen der Friedhof in Stuttgart von waffenstarrender Polizei belagert war. Das Bücherregal und der Plattenspieler aus dem Stammheimer Hochsicherheitstrakt galten als Verstecke für die Waffen, mit denen sich die RAF-Gründer das Leben genommen haben sollen. So die Polizeiversion.
Ich weiß auch noch, daß uns die Ereignisse jener Tage, die in der Reihenfolge der noch heute gebrauchten Schlagworte Schleyer-Entführung, Mogadischu, Stammheim-Morde abliefen, kaum Zeit ließen, über die einzelnen Ungeheuerlichkeiten nachzudenken, weil wir damit beschäftigt waren, der Repression und Einschüchterung aller Linken (als „Sympathisanten“) durch Polizeipräsenz, Durchsuchungen, Bespitzelungen mit Konspiration und Camouflage zu entgehen. Wahrscheinlich wurde der Tod in Stammheim in diesen Tagen bei den Linken weniger offen diskutiert als in den sogenannten bürgerlichen Kreisen, wenn man von den durch ihre Prominenz relativ geschützten Böll, Gollwitzer, Fried einmal absieht.
Darum ist der erste Eindruck vor den Bildern Gerhard Richters in den Räumen des Mies-van-der-Rohe-Hauses im Krefelder Nobelviertel irritierend. Der schöne Raum, die eleganten und interessierten Besucher, die freundlichen Bediensteten - im Dienste virtuos gemalter Ölgemälde zum Thema Stammheim - all das will nicht zu den Erinnerungen passen. Aber wo und wie soll ein Künstler seine Bilder sonst öffentlich machen? Es gibt ja inzwischen auch eine Stammheim -Oper, und Hauffs Stammheim-Film bekam vor drei Jahren den Goldenen Bären. Gegenüber solchen künstlerischen Verarbeitungen des zeitgeschichtlichen Traumas von 1977 sind die Bilder Richters objektiver und politisch brisanter. Indem er Bilder, die öffentlich und offiziell kursierten, mit seiner Kunst der grauen Ölbilder so reproduziert, daß sie durch die Malerei abstrakter und dauernder werden, interpretiert er nicht. Diese Bilder verewigen Orte und Situationen.
Richter variiert sein Grau. Von dem Gudrun-Ensslin-Bild (Gegenüberstellungen) gibt es drei Versionen unterschiedlicher Kopfhaltung, die aber auch in Helligkeit und Konturierung verschieden sind. Immer aber sind in ihnen noch die Polizeifotos zu erkennen. Die zwei Tafeln Festnahme sind so verwischt, daß sie auf größere Entfernung fast monochrom wirken. Die Zelle ist durch senkrechte Vermalungen ein Ort ohne Boden und Decke geworden, wo es nirgends einen Halt gibt. Der Plattenspieler als Einzelbild ist ein fast realistisch gemaltes Stilleben, von dessen Harmlosigkeit aber eine Beklemmung ausgeht, die ich nicht erklären kann. Wieder ist es das Wissen um das Original und seine Funktion, die bei der Betrachtung mitspielt. Das größte Bild (200x320cm) ist die Beerdigung; sie wirkt wie ein Vexierbild. Von weitem sieht es aus wie ein Schlachtengemälde mit vielen einzelnen Kriegern. Beim Nähern verschwimmen die Konturen, und man wähnt sich vor einer abstrakten Arbeit. Warum hat Richter diese Bilder erst 1988 gemalt, elf Jahre danach? Er sagt es nicht. Auch im Katalog schreiben nur andere über ihn. Aber das vollendete Werk, dem eine lange Beschäftigung mit dem Thema vorausgegangen sein muß, hält in der Kunst und in der Geschichte etwas fest, was Wunde und Stachel im Fleisch unserer jüngsten Vergangenheit bleiben muß. Er wirkt gegen das Verdrängen und Vergessen in einer Form, die kein Vergessen erlaubt. Richter hat verfügt, daß die 15 Bilder nicht einzeln verkauft und ausgestellt werden dürfen. Die Bundesregierung könnte den Zyklus kaufen und in der demnächst zu eröffnenden Bundeskunsthalle oder noch besser im zukünftigen „Haus der Geschichte“ in Bonn ausstellen. Unvorstellbar.
Ingeborg Braunert
Gerhard Richter: 18.Oktober 1977. Bis 9.April in Krefeld, Museum Haus Esters. Vom 29.April bis 4.Juni in Frankfurt, Portikus-Museum. Katalog mit Beiträgen von Benjamin, H.D. Buchloh, Stefan Germer, Gerhard Storck. Verlag der Buchhandlung Walther König 1989. 59 Seiten. 30 DM
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