Überfall bald ganz legal

■ In den Niederlanden, wo Europas größte Kapitalgesellschaften sitzen, ist eine lebhafte Diskussion über „feindliche Übernahmen“ entbrannt

Was in der Welt der großen Geschäfte gestern noch als völlig unakzeptabel erschien, ist heute bereits Gewohnheitsrecht: Die „feindliche Übernahme“ finanz- und strukturschwacher Unternehmen durch kapitalkräftigere gilt in vielen Ländern nicht länger als ehrenrührig. Auch im Land der größten europäischen Kapitalgesellschaften, den Niederlanden, wurden dergleichen Fusionierungen jetzt „entkriminalisiert“. Der Vorstand der Amsterdamer Börse stellte Mitte 1988 die Weichen für eine nach den künftigen Richtlinien legitimierte Welle von Unternehmenskonzentrationen.

Während bis vor kurzem das „feindliche“ Take-over noch als Sache schlecht erzogener Leute galt, hat die EG-weite Konzentrationswelle offenkundig die Normen mit großer Geschwindigkeit verändert. Das heißt nicht, daß der nach US -amerikanischem Vorbild raiding genannte Vorgang damit in den Niederlanden von heute auf morgen salonfähig geworden wäre. Nach wie vor wird ein Unternehmer, der lediglich nach Gesichtspunkten eines schnellstmöglichen Verkaufs von Gesellschaftsanteilen, ohne Gesundungskonzept für den gebeutelten Partner, ein schwächeres Unternehmen „überfällt“, unter Gleichgesinnten als Barbar bezeichnet.

„Die Zeit ist reif für einschneidende Veränderungen: Durch die bestehenden Schutzkonstruktionen gegen unfreiwillige Übernahmen sowohl zeitlich begrenzter als auch struktureller Art sind die Aufsichtsräte niederländischer Großbetriebe allzu sehr von den Impulsen des Finanzmarktes abgeschirmt“, so Baron Van Ittersum, Vorstandsvorsitzender der Amsterdamer Aktienbörse. „Sie höhlen den Einfluß von Aktionären auf ihr Unternehmen aus und machen niederländische Firmen unattraktiv für ausländische Investoren.“ Ziel des Angriffs des Börsenvorstands ist die Anhäufung von Schutzmaßnahmen. Zunächst richtet sich das Augenmerk der Initiative für die Reduzierung bestehender Schutzmöglichkeiten auf die „permanenten Schutzmaßnahmen“. Für Unternehmen, die sich heute an der Börse notieren lassen, gilt ab sofort die Regelung, daß sie sich für nunmehr eine einzige Schutzkonstruktion entscheiden müssen; 20 Prozent der an der Börse notierten Unternehmen haben heute in ihren Statuten bis zu drei Maßnahmen aufgenommen, die von Prioritätsanteilen über Präferenzanteilen bis hin zu Schutzkonstruktionen bei Tochterunternehmen reichen. Hollands Unternehmer bekommen zwei Jahre, um sich und ihre Aktionäre auf das „verschärfte Regime“, das ab 1991 Einzug halten wird, vorzubereiten. Die Zustimmung des Wirtschaftsministeriums ist nur eine Frage der Zeit, so die Einschätzung des Börsenvorstands.

Anwärter auf Börsennotierungen trifft es besonders hart, gelten für sie doch die neuen Richtlinien mit sofortiger Wirkung. Es liegt in der Natur der Sache, daß keiner von ihnen sofort nach der offiziellen Börsennotierung sogleich wieder „geschluckt“ werden will.

Drum wickelt Zware ein

Die Großunternehmer Europas warten derweil inmitten der aktuellen Konzentrationsbewegung nicht so lange, bis die Europäische Gemeinschaft mittels eines Kontrollorgans bereit ist, Richtlinien auszugeben. Sie übernehmen, fusionieren, gründen Joint-ventures und „ermutigen“ Politiker, Richtlinien zu erarbeiten. Das bedeutet im Klartext „anpassen“, denn verbindliche EG-Richtlinien wird es erst geben, wenn die wichtigsten Übernahmen abgeschlossen sind. 650 Übernahmen hat es allein in den Niederlanden 1988 gegeben. Auch für die kommenden Jahre erwarten etwa drei Viertel der Unternehmen eine Veränderung ihrer Eigentumsstruktur. Vor allem die Unternehmen mit einem Umsatz unter 100 Millionen Gulden gehen davon aus, bis 1992 durch niederländische oder ausländische Käufer geschluckt zu werden.

Die markentreuen Selbstdreher Europas werden es nur mühsam verkraften: Der traditionsreichen Kolonialwarenfirma Van Nelle, Hersteller der allseits beliebten Tabakvarianten „Halfzware“ und „Zware“, lag kurz vor Weihnachten ein Übernahmeangebot des Drum-Produzenten und größten Konkurrenten Douwe Egberts vor. „Selbstverständlich blieben wir lieber unabhängig. Ein Trost: Durch das Zusammengehen mit der großen Schwester kann Van Nelle immerhin dem drohenden Übernahmeangebot eines weniger attraktiven Dritten entgehen“, so Direktor Van Dijk. 390 Millionen Gulden, das Zwanzigfache des Jahresnettogewinns von Van Nelle, war Douwe Egberts die Übernahme wert. Als sich der Konzern mit den Übernahmebedingungen Van Nelles (akzeptable soziale Folgen für die Belegschaft, Aufrechterhaltung bereits entschiedener Expansionspläne sowie Stärkung der Marktposition für Van -Nelle-Markenartikel) einverstanden erklärt hatte, legte van Dijk seinen Angestellten den White Knight Douwe Egberts, der vor bösen Übernehmern schützen soll, unter den Weihnachtsbaum.

Betrachtet man die Marktanteile beider Firmen bei Tabak, Kaffee, Tee und Erfrischungsgetränken, läßt sich erraten, wer den gigantischen Übernahmepreis letztendlich zahlen wird: die Verbraucher. Denn wer soll unter einer solchen Marktdominanz den Preis für Hollands Nationalgetränk noch kontrollieren? Zehn Pfennig Aufschlag auf jede Packung „Halfzware“ oder Mocca, und die Investition hat sich in kürzester Zeit amortisiert.

Markenartikel sind die Stärke von Douwe Egberts. Kaffee, Tee und Tabakprodukte bilden die Säulen des ansehnlichen Umsatzes von 4,56 Milliarden Gulden im Jahr 1988. Der Nettogewinn stieg im letzten Jahr auf 230 Millionen. Der Konzern hat 5.200 Mitarbeiter in den Niederlanden und 6.500 im Ausland; er verfügt über Produktions- und Vertriebseinheiten in allen westeuropäischen Ländern, Nordamerika und Australien. Aus den Niederlanden exportiert Douwe Egberts in ungefähr einhundert Länder. Selbst ist das Unternehmen hundertprozentige Tochter des US-amerikanischen Lebensmittelkonzerns Sara Lee, kann aber autonom operieren.

Ironie des Schicksals ist wohl, daß sich die künftige Tochter gerade von drei Jahren von der US-amerikanischen Nabisco Brands losgekauft hatte für eine Ablösesumme von 240 Millionen Gulden. Für 1989 strebte Van Nelle sogar die erneute Börsennotierung an. Der Börsenkrach bereitete diesen Träumen ein jähes Ende.

Der Multi Unilever hat innerhalb der letzten fünf Jahre 90 Unternehmen für insgesamt 15 Milliarden Gulden übernommen, alle finanziert aus dem eigenen Umsatz. Unilevers Topmanager Maljers bezeichnet diesen Umfang lakonisch als „willkommene Ergänzung zum organischen Wachstum unseres Unternehmens“. Spektakuläre Übernahmen und in aller Stille vollzogene Fusionen gehören mittlerweile EG-weit zur Alltagspraxis. Auf der Grundlage des Europäischen Vertrages prüft die Kommission für Konkurrenzfragen unter ihrem Vorsitzenden, dem Iren Sutherland, jährlich Europas Übernahmen und Fusionen. Bisher kann die Kommission freilich nur reagieren. Mit zunehmender Konkurrenz in Aussicht möchte Sutherland die Richtlinien dahingehend ändern, daß die Kommission im Vorfeld konsultiert werden muß, sehr zum Ärger der Unternehmensleitungen in den einzelnen Ländern, die sich die Einmischung aus Brüssel verbitten. Wenn erst die EG darüber wacht, zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Konkurrenzbedingungen Übernahmen erlaubt sind, wird die Frage akut, was mit den nationalen Kontrollen im Rahmen der Anti-Trust-Gesetzgebung geschieht.

Aktiengesellschaften

gegen Aktionäre

In den Niederlanden haben sich die an der Börse notierten Unternehmen mittlerweile zum „Verein Aktienausgebender Unternehmen“ (VEUO) zusammengetan. 20 von ihnen, darunter alle Großen wie Philips, Akzo, Unilever und KLM sind sofort Mitglied geworden. Zusammen repräsentieren diese Unternehmen immerhin 75 Prozent des gesamten Aktienhandels an der Amsterdamer Börse. Sie verwehren sich gegen die Reduzierung der Schutzmaßnahmen: „Es muß unbedingt verhindert werden, daß an der Börse notierte Unternehmen gegeneinander ausgespielt werden“, so VEUO-Sekretär Bergsma. Dem niederländischen Aktionärsverband VEB hingegen gehen die vom Vorstand der Börse gemachten Vorschläge zur Reduzierung der Schutzkonstruktionen noch nicht weit genug.

Die Gewerkschaftsdachverbände FNV und CNV, die sich in den vergangenen Monaten kaum zu den Plänen geäußert hatten, unterstützen die VEUO und sind der Meinung, solche Angelegenheiten gingen die Allgemeinheit an und gehörten ins Parlament. Finanzminister Ruding zufolge werde sein Ressort nur im Falle einer Nichtlösung oder eines „unerwünschten Resultats“ in den Disput eingreifen: „Ein Markt, der mit überzogenen Schutzkonstruktionen belastet ist, macht sich selbst unattraktiv für potentielle Investoren aus dem Ausland, wo dieses Maß an Schutz häufig nicht gebräuchlich ist. Ein Unternehmen, das durch Übernahme bedroht ist, erfährt dadurch eine zusätzliche Stimulanz, in Zukunft verantwortlich zu wirtschaften“, so der Minister. Was aber, wenn nach dem Wegfall aller Schutzklauseln die niederländischen Unternehmen weit weniger geschützt dastehen als ihre Konkurrenz in Europa? Werden sich dann die Niederländer freuen über ihre besondere Attraktivität für „feindliche Übernehmer“?

Auffällig bei den verschiedenen Positionen hinsichtlich Übernahmen und Fusionen im Rahmen des neuen Binnenmarktes nach 1992 ist das vollständige Fehlen einer „sozialen Dimension“: Was zum Beispiel geschieht mit dem in den Niederlanden geltenden betrieblichen Mitspracherecht der Arbeitnehmer, wenn ein Betrieb von einem ausländischen „überfallen“ wird. Bisher müssen sich solche Unternehmen den in den Niederlanden geltenden gesetzlichen Regelungen unterordnen.

Die Diskussion um Für oder Wider eines Abbaus von Schutzkonstruktionen scheint angesichts der Praxis ohnehin obsolet: Strategisch denkende Manager werden nicht zusehen, bis ihnen ein Übernahme-Angebot auf den Vorstandstisch flattert, und sich erst dann nach einem White Knight umsehen. Überhaupt scheint 1989 in den Niederlanden das Jahr der Cross-holdings zu werden. Mit Hilfe von Aktienbesitz im jeweilig anderen Unternehmen versichern sich zwei Partner einer zusätzlichen Verteidigungslinie gegen unerwünschte Übernahmen. Es hatte sich im vergangenen Jahr gezeigt, daß juristische Konstruktionen keinen effizienten Schutz bieten können. Die Sprirituosenfabrikanten Heineken und Bols, die Verlagshäuser Elsevier und Pearson sowie die Amro-Bank und Generale Bank gingen bereits 1988 diese Querverbindungen ein. Gibt es einen praktischeren Schutz als die interne Absprache zweier Partner, potentiell weiteren Anbietern den jeweiligen Partner als Joker vor die Nase zu halten, der noch dazu „befreundet“ ist, weil die Situation umgekehrt dieselbe ist?