„Wenn wir nicht reden, dann schreien die Steine“

Bei einem Symposium der Peru-Menschenrechtsorganisation in Bonn klagten Zeugen den „schmutzigen Krieg“ des Militärs an / Tausende von „Verschwundenen“ / Ein guter Kunde der deutschen Rüstungsindustrie / Selbst CDU-Experte für Rüstungsexport-Stopp  ■  Aus Bonn Thomas Schmid

Die Frau mit dem farbigen Strickpullover wie er im Hochland Perus getragen wird, spricht leise, aber eindringlich. Sie hat sich entschlossen zu reden - zu reden von der Angst, von den Verschwundenen, den Toten, vom Krieg in ihrer Heimat. Das ist nicht ungefährlich. Seit Zenaida Fernandez durch Deutschland reist, tauchen in peruanischen Blättern Artikel auf, die sie der Verleumdung ihres Landes bezichtigen. Kaum verhüllte Drohungen.

Doch die Peruanerin, die das „Komitee der Familienangehörigen von Verhafteten, Verschwundenen und Flüchtlingen“ (COFADER) mitgründete, hat sich nun einmal entschlossen zu reden. Und so erzählt sie den etwa 120 Zuhörern im Bonner Restaurant Tulpenfeld von ihrem Vater, einem einfachen Bauern, den Militärs im Hochland der Anden verschleppt haben und der kurz darauf mit verstümmelten Genitalien nackt aufgefunden wurde. Die Peru -Menschenrechtsorganisation, der bundesweit etwa 20 Solidaritätsgruppen angehören, hatte zu einem Symposium geladen, unter dem Titel: „Wenn wir nicht reden, dann schreien die Steine.“

14.000 Tote habe der „bewaffnete Aufstand des Terrorismus“ Peru seit 1980 gekostet, heißt es in einer „Mitteilung der peruanischen Regierung anläßlich des Symposiums“, die ein Botschaftsangehöriger des Landes austeilte, „die wahren Menschenrechtsverletzer in Peru“ seien die maoistische Guerilla „Sendero Luminoso“ (Leuchtender Pfad), die „Revolutionäre Bewegung Tupac Amaru“ sowie die rechtsextreme Terrorgruppe „Kommando Rodrigo Franco“. Nun besteht in der Tat kein Zweifel, daß vor allem der „Sendero Luminoso“ viele einfache Bauern als Spitzel des Regimes umgebracht, oft „hingerichtet“ hat nach dem Urteil eines „Volkstribunals“.

Doch unabhängige Menschenrechtsorganisationen nehmen an, daß die 14.000 Toten zum weitaus größeren Teil Opfer des „schmutzigen Krieges“ sind, den die Armee vor allem im Hochland gegen die Guerilla führt. „Damit die Polizeikräfte mehr Erfolge haben, sollten sie damit anfangen, sowohl „Sendero„-Mitglieder als auch Nichtmitglieder zu töten, weil das die einzige Form ist, den Erfolg zu sichern. Sie töten 60 Menschen und vielleicht sind darunter drei „Sendero„ -Mitglieder“, sagte General Luis Cisneros (Ende der 70er Jahre Innenminister), vor zweieinhalb Jahren in einem Interview - diesen Rat hat er wohl nicht nur der Polizei, sondern auch der Armee erteilt. Denn in den Kriegsgebieten hat die Regierung ihre Machtbefugnisse längst an die Militärs delegiert.

Tausende Bauern wurden im peruanischen Hochland von Armee und Polizei verschleppt und sind danach spurlos verschwunden. Der Nachweis des Verbrechens fällt oft schwer, klagt Zenaida Fernandez, nicht nur weil das Corpus delicti, die Leiche, fehlt; oft werden den Opfern auch sämtliche Dokumente entwendet, so daß erst einmal bewiesen werden muß, daß der „Verschwundene“ überhaupt existiert hat. Doch in einem Fall kann es nicht den geringsten Zweifel geben. Sonia Munoz erzählte im vergangenen Sommer noch mit verbundenem Kopf in Lima vor der Presse ihre Geschichte. Die 35jährige Mutter von drei Kindern, die bereits 1983 ihren Mann und zwei weitere Familienangehörige verloren hatte, war am 18.Mai 1988 um drei Uhr früh aus ihrem Haus entführt worden. „Sie fesselten mir die Hände und knebelten mich, verbanden mir die Augen und brachten mich mit Fußtritten aus dem Haus“, berichtete sie. Unterwegs zogen sich die als Bauern verkleideten Entführer Militäruniformen an. Zehn Stunden lang wurde sie dann an einer Stange aufgehängt und mit Elektroden gefoltert. Danach mußte sie niederknien und erhielt zwei Schüsse in den Kopf und einen in die Brust. „Durch ein von den Ärzten nicht erklärbares Wunder überlebte Sonia Munoz ihre Ermordung“, hieß es in der peruanischen Presse, „in einer mehrtägigen Odyssee schleppte sie sich nach Lima, wo sie erstmals fachärztliche Behandlung erhielt. Erst jetzt wurden bei der Röntgenaufnahme überhaupt die Kugeln entdeckt.“ Vier Tage vor der Verschleppung von Sonia Munoz überfielen Soldaten den Ort Cayara im Departement Ayacucho und ermordeten mindestens 28 Dorfbewohner. Darüber berichtete in Bonn der Staatsanwalt Dr.Carlos Escobar. Er hatte im Mai 1987 als Sonderbeauftragter der peruanischen Generalstaatsanwaltschaft in Ayacucho, einer Hochburg des „Sendero luminoso“, in Sachen „Verschwundene“ ermitteln sollen. Als Escobar die Vorfälle in Cayara untersuchen wollte, verweigerte ihm das Armeekommando zehn Tage lang den Zutritt zum Ort. Als er am 27.Mai 1988 schließlich ins Dorf kam, fand er zwar noch die Gräber, doch die Leichen waren verschwunden. Allerdings konnte Escobar blutige Schädelknochen, Hautfetzen und Haare als Beweismaterial sichern. Über 40 Dorfbewohner schilderten dem Staatsanwalt, wie die Soldaten ihre Opfer eines nach dem andern töteten, zum Teil mit Äxten und Macheten. In seinem Schlußbericht hielt Escobar fest, daß es genügend Beweise gebe, um den verantwortlichen General Jose Valdivia vor Gericht anzuklagen. Die Folge: Acht Personen, die Escobar gegenüber ausgesagt hatten, „verschwanden“. Sein Büro in Ayacucho, das 573 Anzeigen über das „Verschwinden“ von insgesamt 1.045 Personen entgegennahm, wurde „mangels finanzieller Ressourcen“ geschlossen. Auch Carlos Escobar, dem inzwischen die Todesschwadron „Kommando Rodrigo Franco“ die Ermordung angedroht hat, ist nach Bonn gekommen, um zu reden.

Weder Pinochets Chile noch Stroessners Paraguay war 1987 laut einem UNO-Bericht weltweit das Land mit der höchsten Zahl „Verschwundener“, sondern Peru mit seiner demokratisch gewählten Zivilregierung. Sage keiner, das alles gehe uns nichts an, mahnte im Restaurant Tulpenfeld Walter Schwenninger, grünes Ex-MdB, und reichte Fotos von peruanischen Soldaten mit Gewehren aus dem Hause Heckler und Koch, Soldaten in Unimogs von Daimler-Benz und Soldaten in Radpanzern des Typs UR 416, gemeinsam gebaut von Thyssen, Daimler und Henschel. 240 Millionen Dollar Rüstungsgeschäfte habe die bundesdeutsche Industrie von 1979 bis 1983 mit Peru getätigt, berichtete Schwenninger, neuere Zahlen habe ihm die Regierung leider verwehrt. Unterstützung erhielt der Grüne nicht nur von Freimut Duve, Mitglied der Bundestagsfraktion der SPD, sondern auch von Werner Schreiber, Lateinamerika-Experte der CDU, der ebenfalls auf dem Podium saß. Angesichts der Lage in Peru sei er heute dafür, entfuhr es dem Christdemokraten, daß die „Rüstungsexporte, die ja genehmigungspflichtig sind, auf Null zurückgeführt werden“. Wohlan denn!