„Desto mehr nackt, desto mehr Leute“

■ Oder: Wie ein recht unbekannter Fotograf aus „N.Y. East Side“ in der norddeutschen Tiefebene zum „TOP„-Star vermarktet wurde und halb Bremen sich eine Porno-Performance als „Kunst“ andrehen ließ

Das öffentliche Sexual-Leben Bremens ist seit Freitag nacht um eine Massen-Peep-Show reicher. 1.200 BremerInnen und acht verschiedene Fernsehteams drängelten sich um 1 Uhr in der Nobel-Disco „Scala“, um als VoyeurInnen dem beizuwohnen, was vornehm als „Life Foto Night Performance“ angekündigt war. Als „Performer“ versprochen war ein Mann namens Stephan Lupino, von Hauptberuf eigentlich Fotograf, doch seine frisch aufgehängten Fotos hatten in der überfüllten Galerie „Fotoforum“ drei Stunden vorher weit weniger Augenpaare auf sich gezogen als der „Künstler“ mit seinen Models. Und dies, obwohl auch die Fotos viel nacktes Menschenfleisch verhießen. Spätestens ein Buten-&-Binnen-Beitrag hatte einen Vorgeschmack auf das Repertoire gegeben, das der Fotograf Lupino als Laien-Performer in petto hatte: Rabiat mit zwei Armbewegungen einen Tisch abräumen und dann nicht weniger rabiat vier „Models“ die Kleider runterreißen, das Model -Fleisch in den Soßenresten drapieren sowie anschließend höchstselbst mit nacktem Oberkörper einen Tisch-Kopfstand vollführen. In der „Scala„-Performance nun, so wußte es die Mund-zu-Mund-Propaganda, würde der Macho-Meister „für 15 -Mark-Mindestverzehr“ noch mehr bieten, er würde nicht nur an seinen Mo

dels, sondern auch an Teilen des Bremer Disco-Publikums „arbeiten“: „So wie er es auch in den New Yorker Discos gemacht hat, wo er Rausschmeißer war“, raun

ten Eingeweihte.

Bis heute allerdings ist fraglich, wieviele New YorkerInnen je etwas von dem Mann gehört haben, der seine schlecht besuchte

Autogrammstunde in der Bremer Verbraucherbank als „TOP -Fotograph aus New York“ absolvierte. Auch eine Mitarbeiterin des „Foto-Forums“, die vor einem Jahr die USA besuchte, muß passen: „Damals ist mir der Name nicht aufgefallen.“ Ein Bremer aber hatte „in Amerika ein paar Bilder von Lupino gesehen“: Der Forums-Mitarbeiter Wolfgang Stemmer sah Fotos „zwischen Softporno und klassischer Aktfotographie“.

Und mit Aktfotos - unter der Einschränkung, daß es sich nicht ausschließlich um Männerakte handelt - hat das Fotoforum immer wieder kassenwirksame Erfahrungen gemacht, „Helmut Newton“ etwa hatte für 400 VoyeurInnen täglich gesorgt. Eine Mitarbeiterin: „Desto mehr nackt, desto mehr Leute.“

Bei dem Newcomer Lupino bediente ein Münchner Agent „Playboy“ und „Tempo“, das Bremer Fotoforum sorgte für Bremer Sponsoren von Sparkasse bis Queens-Hotel und für die Bremer Medien, voran das „Bremer Blatt“. In der Nobeldiscothek „Scala“ wurden drei Wochen vor dem endgültigen Ereignis BesucherInnen ausfindig gemacht, die bereit wären, mit Herrn Lupino „zu arbeiten“. Und auch im Umkreis des Fotoforums ging man auf die Suche nach freiwilligen ExhibitionistInnen: Ein Mann und drei Frauen wurden schließ

lich ausgewählt. BewerberInnen gab es genug. Stemmer: „Ich hätte eine ganze Woche damit füllen können.“ Eine Forums -Mitarbeiterin allerdings hielt sich angewidert aus den Vorbereitungen heraus: „Ich konnte das zuerst akzeptieren, weil wir den Anspruch haben, aktuelle Tendenzen, 'Zeitgeist‘ einzubeziehen. Aber mit der Disco kippte das schon fast ins Groteske.“

Nach einer Stunde Gedrängel war es Freitag nacht dann soweit. Bombastisch-heroische Musik ertönte, Bodennebel stiegen auf, zwei Scala-Bodyguards trugen - unter weißen Bettlaken notdürftig versteckt - nacktes Frauenfleisch die Freitreppe hinauf. Der Meister mit Nietengürtel nahm das Fleisch im Tanga persönlich in Augenschein, dirigierte und drapierte Körperteile, grätschte seine Fotografenbeine und hantierte mit der Kamera. Mit dem Messer schälte er sodann einen kurvenreichen Modelkörper aus dem hautengen Hosenanzug, den Frauenkörper präsentierte er in gekreuzigter Pose einmal von hinten, einmal von vorne. Zwischendurch geizte der Meister auch nicht mit eigenem körperlichen Können, zeigte einen Kopfstand plus mehrere Liegestütze. Das Publikum hielt sich mit Reaktionen zurück - es klatschte nicht, buhte nicht, und kotzten tat es auch nicht.

Barbara Debus