„Beziehungssystem zwischen Freundinnen und Feindinnen“

■ Das Frauenmachtspiel in Berlin / Anmerkungen zur frauenpolitischen Diskussion

Wir haben die rot-grüne Wende. Und wir haben nicht nur viele frauenpolitisch engangierte Senatorinnen, wir haben auch eine Feministin als Senatorin für Frauen, Jugend und Familie. Jubel und Hurra.

Es ist ein anstrengender, aber politisch wesentlicher Schritt, daß die Alternative Liste alle wichtigsten Verhandlungspositionen mit den außerparlamentarischen Gruppen in der Stadt zu diskutieren versucht. Und so diskutieren wir auch Frauenpolitik, und diskutieren und diskutieren... Irgendwie liegt eine nicht zu übersehene Ironie in der Geschichte: Vier Jahre lang sollen wir Senatspolitik diskutieren. Aber darüber lachen kann offensichtlich momentan keine. Das aber nur nebenbei.

Natürlich haben wir massive Schwierigkeiten. Plötzlich werden wir zur Mitbestimmung gebeten, erhalten Zugang zu Machtpositionen, und darauf sind wir nicht nur nicht vorbereitet, wir geraten auch mit unserem politischen Selbstverständnis, das sich ja radikal gegen jede Form von Herrschaft richtet, ins Schleudern. Die Beteiligung an der Macht - und dies betrifft sowohl Senatspolitik als Machtgefüge wie auch die Quotierung insgesamt - heißt ja, daß wir nicht etwa das institutionelle Herrschaftssystem sprengen, sondern auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen einsteigen. So. Und hier gibt es zu Recht eine Menge Zündstoff, wenn wir nicht im grauen Alltag des Lebens mit der Quote versauern wollen.

Im frauenpolitischen Ratschlag ging es rund. Es wurde allerdings sehr wenig über die Ziele und Strategien gestritten, schnell ging es über zum Streit um Posten und Pöstchen. Es wurden kleine Intrigen gesponnen, der Grabenkrieg der Gefühle geführt.

Ich will hier diesen merkwürdigen Streit nicht aufbereiten. Wenn ich dazu Stellung nehme, so ganz sicherlich nicht deshalb, weil ich unsere Schwierigkeiten einer hämischen Öffentlichkeit preisgeben will - niemand kann sich hier ins Fäustchen lachen. Unser Interesse ist es eben, keine traditionalistische Herrschaftspolitik zu befördern, die dann schließlich und endlich ihre Essenz darin hat, wer mit wem in die Kneipe geht und wer mit wem „kann“ oder auch nicht. Es geht um Transparenz und um Regeln, und es geht darum, daß Frauen, die politische Machtpositionen einnehmen, Politik als Personen machen können und nicht Spielball von nunmehr auch feministisch definierten Lobby-Interessen sind. Daß wir Machtpositionen nutzen wollen, um damit für eine menschenwürdige Zukunft zu kämpfen, steht, glaube ich, außer zweifel. Aber wie?

Frauen und Macht

Wir haben eine breite Tradition in informellen Machtbeziehungen. Da wir von öffentlicher Macht und vom Besitz lange ausgeschlossen waren, haben wir uns in Subsystemen - sei es die Familie, seien es Freundes -/Feindessysteme, Nachbarschaften usw. bewegt und mit der List der Ohnmacht von diesen informellen Beziehungsgefügen aus Hintergrundeinfluß auf die öffentliche Macht genommen soweit dies im patriarchalisch klassenspezifischen Kontext möglich war. Doch das für unsere soziale Erfahrung immer noch wesentlichere gesellschaftliche Subsystem ist die kleinbürgerliche Familie, die uns als Machtsystem prägt, in dem die Mütter die Versorgungsmacht und die Macht über die Gefühle innehalten, die sich dann in der Lebensfähigkeit oder Lebensunfähigkeit der von ihnen abhängigen Menschen realisiert. Ich benutze den Begriff weiblicher Macht hier durchaus provokativ - denn die informelle Macht ist natürlich immer bestimmt von informeller Ohnmacht.

Und wie steht es mit uns in beruflichen oder öffentlichen Bereichen? Wie verhalten sich Frauen zueinander? Wer kennt nicht die schmerzliche Klage von Frauen über Frauen, daß es halt in einem Weiberhaufen nicht gutgehen kann usw. usf. Wir haben versucht, durch die Frauenbewegung solidarische Beziehungen zwischen uns zu entwickeln, aber das ist nur ganz rudimentär gelungen.

Auch in der Frauenbewegung läuft alles über informelle Beziehungen. Dies ist unsere Stärke - und unsere Schwäche. Die gesamte Frauenbewegung kann als Beziehungssystem zwischen Freundinnen und Feindinnen charakterisiert werden. Wenn auch mit einem ganz entscheidenden Unterschied zur traditionellen Hintergrundmacht von Frauen: wir sind füreinander als Personen sichtbar und auch angreifbar. Das ist in der traditionellen Hintergrund- und Versorgungsmacht von Frauen nicht der Fall. Da verschwinden Frauen hinter der Funktion als Mütter oder hinter Männern, die durch sie gestützt werden.

Grabenkriege

unter Frauen

In den kontinuierlich arbeitenden Frauenbetrieben und -projekten wissen wir es schon lange: Die informellen Beziehungen reichen nicht aus, um in einem Alltagszusammenhang zurechtzukommen. Zu viele Projekte sind inzwischen nicht an bösen Männern, sondern am Grabenkrieg zwischen den Frauen gescheitert, um vor dieser Tatsache noch die Augen schließen zu können. Weder Supervision hilft hier weiter noch ausufernde Gruppendiskussionen. Es helfen aber so schlichte Dinge wie die Mitbestimmungsregeln des Betriebsverfassungsgesetzes oder aber, ungleich besser, die Regeln der Selbstverwaltung.

Es gibt eine Art weiblicher Konkurrenz, die auch in feministischen Kreisen nicht weniger gepflegt wird als zwischen Kolleginnen in stinknormalen Betrieben oder zwischen Nachbarinnen, und die ist tödlich: Es ist der Grabenkrieg der Gefühle. Ich hasse Psycho-Plattitüden, aber leider ist hier eine am Werk, die ich nicht vermeiden kann zu benennen: Entweder wir sind vollkommen identisch, gleich und lieben uns, oder wir hassen uns. Es sind dies die allerskurrilsten Psychoausdünstungen patriarchalischer Erfahrung, aber nichtsdestotrotz sind sie immer wieder von unglaublicher Überlebenskraft. Gudrun Axeli Knapp hat in einem Aufsatz über „Die vergessene Differenz“ sehr klar herausgearbeitet, daß die Gleichheit von Frauen eine patriarchalische Bestimmung ist und daß wir uns weder komplementär zu Männern noch gleich zueinander denken sollten, wenn wir uns aus Zwängen befreien. Was im Prozeß der Befreiung sichtbar wird, ist eine Vielfalt und Unterschiedlichkeit, die keinesfalls als harmonisches Gefüge denkbar sind. Wir müssen uns gegen Verensimperative ebenso wehren wie gegen eine formelle Friedenspflicht. Gerade weil wir um die Verwirklichung einer Utopie kämpfen, müssen wir die Differenz als produktive Kraft entwickeln, denn wie könnten wir das noch nicht Gedachte und noch nicht Wirkliche begreifen, wenn wir uns an Eindeutigkeiten festhalten und uns damit gegenseitig versuchen zu blockieren. Ich träume von einem Streit zwischen uns und einer Konkurrenz, wo wir uns nicht gegenseitig herunterziehen, mit unaussprechlichen Gefühlen und Ängsten bombardieren, mit Verhaltensimperativen blockieren, sondern wo wir uns gegenseitig anspornen, uns in unseren besten Gedanken und Fähigkeiten aneinander messen und darin voneinander profitieren. Aber an diesem Punkt sind wir keineswegs. Wir haben nicht das gesellschaftliche System ausgehebelt, wir haben ein Stückchen Macht innerhalb des Systems zugesprochen bekommen. Was hier exemplarisch in der Diskussion um den Frauensenat passiert, wird uns bei der Durchsetzung der Quotierung in Betrieben und Verwaltungen noch in unsäglich vielen Varianten beschäftigen.

Also: Mehr als heute denkbar werden Frauen in hierarchischen, formellen Arbeitsbeziehungen zueinander finden. Ungleichheit und soziale Ungerechtigkeit werden dadurch keineswegs aufgehoben, auch wenn wir alles daran setzen, hier Verbesserungen zu erreichen. Es wird sich auch nichts daran ändern, daß Frauen im Sinne der Mittäterinnenschaft gegen Fraueninteressen arbeiten. Und es wird weiterhin die traditionelle weibliche Konkurrenz gepflegt.

Was nun die Senatspolitik anbelangt, so ist hier ganz klar, daß die Möglichkeiten sehr begrenzt sind. Nicht alle Frauenprojekte werden die fehlenden Gelder und Stellen bewilligt erhalten, die sie so dringend brauchen. Senatspolitik wird auch in Zukunft durch den Fakt der öffentlichen Armut und des privaten Reichtums bestimmt sein, d.h. durch die Tatsache, daß staatliche Verwaltung im besten Falle die Verwaltung des Mangels sein kann - wenn sie nicht die Verwaltung des Elends ist. Wir müssen nun also versuchen, einen modus vivendi zu finden und ein drittes Element zu entwickeln, das zwischen die informelle Struktur der autonomen Frauenbewegung und die Herrschaftsregeln, wie sie über die Beteiligung an der Macht gesetzt sind, tritt. Was ich für den wesentlichen Punkt halte, ist, daß wir unsere informelle Struktur überprüfen. Ich halte sie weiterhin für wichtig, aber nicht für tragfähig, wo es um Institutionalisierungsprozesse geht. Hier brauchen wie andere Regeln. Allerdings bin ich der Meinung, daß eine Regel subito eingeführt werden sollte, und zwar sowohl für Diskussionen informeller Art wie auch für alle formell eingebundenen Auseinandersetzungen: Wir hören auf der Stelle damit auf, uns mit unseren Gefühlen gegenseitig zu quälen. Gefühle, die als Argumente mißbraucht werden (im Unterschied zu denen, die wirklich da sind), um etwas Drittes Unaussprechliches zu transportieren, sind ab sofort verboten.

Es gibt nicht Friede, Freude, Eierkuchen. Die Differenz zwischen Senatspolitik und autonomen Interessen muß von beiden Seiten respektiert werden. Weder Vereinnahmung der Frauenpolitikerinnen durch die Frauenbewegung noch Vereinnahmung der Frauenbewegung durch die Politikerinnen.

Macht muß sich als demokratisches Funktions- und nicht als Statusprinzip ausweisen. Entscheidungsprozesse müssen transparent sein.

Es muß ein Bürgerinnenbeteiligungsgremium geben, das nicht auf Insiderinnen beschränkt ist.

Hierarchische Verhältnisse in den Institutionen zwischen Frauen dürfen nicht qua freundschaftlicher Intimität überspielt werden. Herr-Knecht-Abhängigkeitsverhältnisse sind in der weiblichen Variante auch nicht erträglicher. Es müssen Regeln der Distanz eingehalten werden, die auch die Formulierung von Interessengegensätzen ermöglichen. Dazu braucht es geeignete Gremien.

Gerade in Arbeitsbeziehungen ist es dringlich notwendig, daß wir lernen, unsere Arbeitsleistung gegenseitig anzuerkennen. Dazu gehört auch, daß Frauen mit privilegierten Tätigkeiten äußerst sorgfältig mit der Arbeitsleistung derjenigen Frauen umgehen, die ihnen zuarbeiten müssen.

Und und und... Was mir aber wesentlich erscheint, ist, daß die Regeln, die wir uns geben, nicht abstrakt-formelle Regeln sind, sondern daß wir sie situativ prägen können und daß wir auch schließlich und endlich die Ausnahmen zulassen.

Birgit Cramon-Daiber