AUF DEM WEG INS MEER

■ Ausstellung zum Berliner Schinkel-Wettbewerb

Unter die fischbüroverdächtige Losung: „Urbi et Orbi ein Laichplatz“ könnten die Teilnehmer des diesjährigen Berliner Schinkel-Wettbewerbs ihre Projekte stellen. Denn als Geschenk zum 800. Geburtstag des Hamburger Hafens in diesem Jahr, so wollte es der Auslober, sollten sie Konzepte für ein „Ocean-Service-Center“ in der alten Speicherstadt ausloten, um der Geisterstadt ein neues seeisches Gesicht zu geben. Alternative Perspektiven waren zu entwerfen wie ein meeresbiologisches Institut, damit der maroden Elbe- und Nordseeökologie wieder Leben eingehaucht werden kann.

Dringend ist das Unternehmen schon deshalb, weil die Speicherstadt langsam verrottet und nur noch zum nostalgischen Objekt für Fotolinsen taugt. War die Halbinsel südlich der Altstadt bis zum Ende des 19.Jahrhunderts noch Wohn- und Arbeitsort für fast 24.000 Menschen, so ging die Einheit von Stadt und diesem Hafenviertel verloren, als Hamburg zum Zollanschluß an Preußen gezwungen wurde. Seither verläuft eine imaginäre Grenze zwischen der Speicherstadt und dem Zentrum, zudem verstärkt durch die Ost-West -Straßenachse, die den ehemaligen ökonomischen Umschlagplatz immer mehr isoliert und ins Abseits drängt, da der Hafen generell durch die Container-Wirtschaft einem Strukturwandel unterliegt. Um herkömmlichen Methoden bloßer Umnutzung nicht auf den Leim zu gehen, wünschten die Auslober innovative Realutopien, was architektonisches Brainstorming bedeutet, und forderten, daß der Ort sozial und ökologisch neu definiert werden muß. Die Gedanken strömten.

Die tollkühnen Projekte der Preisträger und zusätzlich prämierte Entwürfe für die Sparten Hoch- und Städtebau, Landschafts- und Verkehrsplanung und Kunst und Bauen, die in den Räumen der TU in der Weddinger Ackerstraße ausgestellt sind, gleichen einem entwicklungsgeschichtlichen Streit zwischen Vulkanisten und Neptunisten. So sind die planerischen Antworten der Verkehrs- und Städtebauer für die strukturelle Entwicklung der Speicherstadtinsel stein- und erzhaltige Niveauverschiebungen. Vom festen Boden aus suchen sie die Integration des Viertels an die Innenstadt durch die Angleichung baulicher Typologie und in der Homogenisierung von alter und neuer Architektur und Raumordnung. Doch während die neuen Inseln eruptiv aus dem schlammigen Grund an die Oberfläche drücken und mit Gittern und Röhren vernetzt und verkabelt werden, Brücken gebaut und Dämme errichtet werden, durch Aufschüttung Hafenbeckentrockenlegung geschieht und fischskelettartig aussehende Bauprojekte eine enge Verbindung zur Stadt schaffen, brechen die Hochbauer und Landschaftsplaner dagegen die Brücken zur City ab. Sie sind auf dem Marsch zurück ins Meer. Auf dem Weg zu den glitschigen Anfängen entwerfen sie phantastische Konzepte, die utopischen Inseln gleichen. Riesige glänzende High-Tech -Tragwerkkonstruktionen, die vom Land ins Wasser eintauchen und schiffsförmig gestaltete Bohrinseln, die kurz angedockten Flugzeugträgern ähneln, geben der Speicherstadt eine eigenwillige künstliche Form, die trotz modernster technischer Konstruktion an die romantischen unterseeischen Landschaften Jules Vernes erinnert. Die quadratisch überbauten Wasserwohnstätten, fischförmigen Anlagen, Schleusenbauten mit unterirdischen Seestraßen, tiefen Fisch und Schlammlabors, die mit Shuttles zu erreichen sind, Aquarien und meteorologischen Institute bedeuten existentielle Aneignung einer neuen Welt. Aus dem Hafenbecken heben sich aufgestelzte Plattformen und kranartige Piers zu Wassertürmen, die von schwimmenden Inseln, Krill-Restaurants, Schiffsanlegeplätzen für Hotelgäste und muschelförmigen Trainingszentren zur „Bekämpfung wassergefährdender Stoffe“ begleitet werden. Leuchttürme blinken zur Unterhaltung mit Laser-Optik, und farbige Segel flattern im Wind.

So verspielt die städtebaulichen Projekte für das „Ocean -Service-Center“ sind, so radikal realistisch bedeuten sie ein utopisches Bild der Rettung. Denn aussichtslos scheint die Illusion, mit traditionellen Formen und Konzepten in der Architektur derZerstörung des Bestehenden beikommen zu können. Deshalb müssen die Modelle her, die die Speicherstadt neu und lebendig definieren. Im Eintauchen ins Wasser ist sie die bauliche Revitalisierung dessen, was die Stadt und der Hafen manchmal sind: Suppiges Schuppiges.

Die Ausstellung zum Schinkel-Wettbewerb „Ocean-Service -Center“ ist nur noch bis Donnerstag, 23. März, täglich von 13-18 Uhr in der TU Ackerstraße 75 im Wedding, zu sehen. Eintritt ist frei.

rola