Kampftänze im Rhythmus

■ Bei den 12. Berliner Karatemeisterschaften beobachtete die taz-Reporterin Kampfesmut, aber auch einige typisch gewalttätige männliche „Ausrutscher“

Markerschütternde Kampfschreie und splitternde Dachziegel bringen wohl immer noch die meisten mit Karate in Verbindung. Eines Besseren belehrt wurden diejenigen, die am Wochenende die 12. Berliner Einzel-Meisterschaft im Karate besuchten. Kampfesmut war durchaus bei den 28 bis 92 Männern, die zum Wettbewerb in Kata und Kumite antraten, zu beobachten. Doch geht es bei der Kata, einer Art festgelegtem Kampftanz gegen einen oder mehrere imaginäre Gegner, nicht nur um im wahrsten Sinne durchschlagende Kraft, sondern auch um Rhythmus und Ästhetik. Das mag ein Grund dafür sein, daß Frauen und Männer ungefähr in gleicher Anzahl zur Übung Kata angetreten sind.

In der eindeutigen Überzahl sind dagegen die Männer beim Kumite Shiai. Bei diesem Freikampf wachen mehrere Kampfrichter darüber, daß der Ernstfall nur simuliert wird und die Techniken drei Zentimeter vor dem Körper abgestoppt werden (Sun-Dome). Leider gab es auch diesmal wieder einige Männer, die unabhängig von irgendwelchen Zentimetern versuchten, ihre Gegner - bestärkt durch das Gegröle der Vereinskameraden - in bzw. auf den Boden zu stampfen.

Daß diese brutalen „Ausrutscher“ Einzelerscheinungen blieben, die weder dem traditionellen Karate noch den Absichten der Veranstalter entsprechen, lag an der Fairneß der kämpfenden Frauen. Treffer im wörtlichen Sinne lösen bei ihnen Besorgnis aus und sind als Ausrutscher zu werten. Ein Viertel (390) aller im Berliner Karate-Verband (BKV) organisierten KämpferInnen sind Frauen.

Nach den Motiven befragt, die sie zum Karate führten, geben sie unterschiedliche Gründe an. Für Birgit Tönnies (33), mehrfache Berliner Meisterin, war der Wunsch nach Selbstverteidigung der Ausgangspunkt. Das sei auch der Grund, seit acht Jahren immer wieder zu Wettkämpfen anzutreten, zu sehen, ob die erlernten Techniken wirksam seien. Sie brauche den Anstieg des Adrenalinspiegels, gesteht sie lachend. Zu dieser Herausforderung gehört auch das bewußte Training mit Männern, der Druck, sich gegen „einen 80-kg-Mann durchzusetzen“. Techniken trainiere sie aber lieber nur mit Frauen, da diese langsamer und exakter herangingen.

Sonja Ben (21), ebenfalls Berliner Meisterin und ehemalige Juniorenmeisterin, hat die japanische Kampfsportart schon mit acht Jahren erlernt und mit zwölf ihr erstes Turnier bestritten. Für sie stehe heute mehr die Ästhetik im Vordergrund, für die Selbstverteidigung halte sie aber das Training mit Männern für unverzichtbar. Erika (28), die gestern zum zweiten Mal zur Berliner Meisterschaft antrat, findet beides wichtig: Mit Frauen werde mehr gelernt und die eigene Einschätzung korrigiert, während Männer oft unsensibel vorgingen und unflexibel auf den jeweiligen Gegner reagierten. Trotzdem sei es wichtig, die Hemmschwelle zu überwinden und auch mit Männern zu trainieren. (Wenn man bedenkt, daß Karate ursprünglich eine Meditationstechnik zur Überwindung des Ego war, läßt einen die Bewußtlosigkeit der heutigen „Kämpfer“ erschauern - d.S./ Kampferinnen, ganz bewußt! die k.)

Der Meinung sind auch Bettina Schein (23) und ihre gleichaltrige Mitstreiterin, für die vor allem der sportliche Aspekt zählt. Beide trainieren im Dojo* Nippon das seit 1977 Ausrichter der vom Berliner Karate-Verband veranstalteten Meisterschaften ist - ebenso im Frauenkader des BKV. Der sportliche Aspekt dominiert seit einigen Jahren immer mehr, was allerdings leicht vergessen läßt, daß neben den im Wettkampf-Kumite gezeigten sechs noch rund 100 weitere effektive Techniken im traditionellen Karate gelernt werden.

Karin Figge

* Dojo: jap. Übungsraum, hier Schule, Verein.