„Die Aussagen zum §218 ärgern mich sehr“

Ruth Winkler, Mitglied im Parteivorstand der SPD  ■ I N T E R V I E W

taz: Was bringt das neue Grundsatzprogramm für die Frauen?

Ruth Winkler: Es ist bestimmt kein Programm von Feministinnen geworden. Aber ich bin grundsätzlich ganz zufrieden. Die SPD hat sich bemüht, Frauenfragen im gesamten Programm immer wieder anzusprechen. Verglichen mit Godesberg, aber auch mit der ersten Fassung, dem Entwurf von Irsee, ist das ein ungeheurer Schritt.

Woran machen Sie das im einzelnen fest?

Positiv finde ich das Frauenkapitel selbst. Ich glaube, daß ein solches Extra-Kapitel immer noch notwendig ist. Positiv finde ich auch die Umorientierung beim Arbeitsbegriff. Die Haus- und Familienarbeit wird als Arbeit benannt und höher bewertet. Es wurde zumindest versucht, auf einen gespaltenen Arbeitsmarkt einzugehen. Im Godesberger Programm ist die Haus- und Familienarbeit ja noch völlig verschwiegen worden. In der Irseer Fassung von 1986 fiel diese Arbeit noch unter Hobby oder Eigenarbeit. Allerdings wird das Wesen von Haus und Familienarbeit immer noch nicht ausreichend dargestellt. Es fehlt der Hinweis, daß Hausarbeit eine wesentliche ökonomische Grundlage dieser Gesellschaft ist, daß sie unbezahlt verrichtet wird und Frauen aufgerieben werden zwischen völlig verschiedenen Zeitstrukturen im Haus und im Erwerbsleben. Die Frauenbewegung hat ja die gesellschaftliche Funktion und den ökonomischen Stellenwert von Hausarbeit intensiv diskutiert. Diese Debatte schlägt sich in dem Programm noch nicht nieder.

Wenig Fortschritt sehe ich allerdings beim Familienbild des Programms.

Die SPD hat schon versucht, den Begriff Familie nicht mehr auf die verheiratete, traditionelle Kernfamilie zu beschränken. Das ist ein Fortschritt. Postiv ist auch, daß das Recht der Frau auf sexuelle Selbstbestimmung betont wird. Das Thema Gewalt gegen Frauen wird zwar im Frauenkapitel benannt, aber nur unter einem Spiegelstrich. Es ist richtig, daß man dieses Problem stärker hervorheben müßte. Ich glaube, es tut der SPD noch sehr weh zu sagen, daß die Familie eben auch Hort von Gewalt ist. Auch unter den Frauen in der SPD gibt es da unterschiedliche Einstellungen. Aber vielleicht werden hier noch Änderungsanträge kommen, wenn das Programm auf dem Parteitag im Herbst verabschiedet wird.

Viele sind auch mit den Aussagen zum §218 sehr unzufrieden.

Das stimmt. Die Sätze zum §218 haben mich sehr geärgert. Die SPD übernimmt damit bis in die Wortwahl hinein eine Argumentation, die man sonst nur von den Konservativen kennt. Wenn ich Leben schützen will, will ich Leben insgesamt schützen. Die Grünen haben ja etwas ähnliches beschlossen, von daher scheint diese Argumentation inzwischen durch alle Parteien zu gehen.

Angeblich war in der Programmkommission in dieser Frage kein anderer Kompromiß möglich.

Wenn das so ist, sollten wir auf eine Aussage zur Abtreibung lieber ganz verzichten. Es ist genauso falsch, die Gentechnologie, die industrielle Verwertung von Föten und die individuelle Entscheidung zur Mutterschaft oder Abtreibung in einen Satz zu packen. Der Satz „Wir wollen werdendes Leben schützen“ soll ja auch ein Nein zur Verwertung von Embryonen ausdrücken. Da wird etwas zusammengebracht, was nicht zusammengehört. Ein klares Bekenntnis zur Selbstbestimmung und Straffreiheit von Frauen wäre mir natürlich immer noch am liebsten. Mir fehlt auch eine Auseinandersetzung mit der Funktion des § 218 in der Geschichte und in dieser Gesellschaft.

Interview: Ursel Sieber