Parteitag der PCI: Wende oder Kehrtmarsch?

Italiens Kommunisten suchen neue Identität / Den 18. Parteitag sollen nicht mehr Bündnisfragen, sondern Programme bestimmen - aber welche? / Frauen sind im Vormarsch: Die ZK-Quotierung steht zur Entscheidung an  ■  Aus Rom Werner Raith

Die erste Schlacht haben Italiens Kommunisten bereits vor der Eröffnung gewonnen: der Parteikongreß in Rom, Nummer 18 seit Gründung des Partito comunista italiano, beginnt mit einer für italienische Gewohnheiten zu vernachlässigenden halben Stunde Verspätung. Ganz anders als vor drei Wochen bei den Christdemokraten, wo der Präsident tagtäglich noch zwei Stunden nach den festgesetzten Plenarterminen die Seinen vergeblich rief, setzt die PCI nun alles daran, sich als zuverlässig, pünktlich und effizient zu erweisen. Nichts mediterranes mehr, das Vorbild scheint eher Preußen.

Und das gilt nicht nur für die zeitlichen Abläufe: so betont sachlich, arbeitsversessen, abhold jeder Theatralik, mithin ganz und gar staatsbewußt, haben Italiens Hammer- und Sichel-Verehrer ihre Vorleute noch nie erlebt. Keinerlei Ähnlichkeit mit dem DC-Kongreß im Februar, als man sich zeitweise in eine pfeifende und schreiende Boxarena versetzt fühlte: Das kommunistische Fußvolk zeigt eiserne Disziplin. Fast wie in der Kirche erheben sich alle artig, wenn ihr Applaus für den Redner die Zwanzigsekundengrenze überschreitet, dann setzt man sich wieder brav hin. Nur ganz zu Beginn am Samstag morgen eine kurze Aufwallung, als nach einigen Videoclips mit Protestliedern die einst vom gesamten Volk geschmetterten Arbeiter- und Partisanenlieder eingespielt werden. Alt-Rote fassen einander an den Händen und singen mit feuchten Augen die Internationale mit; doch schon bald ebbt der machtvolle Chor beträchtlich ab: spätestens bei der dritten Strophe von „Bandiera rossa“ geht speziell den jüngeren Delegierten der Text aus, die Musik bleibt alleine.

Doch dann gerät der Kongreß in Fahrt: Eröffnung durch Livia Turco - ein in Italien nahezu unerhörtes Ereignis, daß eine Frau hierzu befugt wird, auch wenn es hier zunächst nur um die Wahl des Präsidiums und des Tagungssekretariats geht. Doch daß Frauen bei der PCI im Vormarsch sind, steht außer Zweifel - bei den Delegierten stellen sie schon gut 40 Prozent, und dies ohne Quotenvorschriften (die man allerdings für die Wahlen ins ZK und das Direktorium nun für alle Fälle einführen will, 30 Prozent).

Danach tritt der im letzten Jahr nach einer Reihe von Wahlniederlagen abgehalfterte ehemalige PCI-Chef Alessandro Natta auf. Daß die PCI neuen Tritt gefaßt hat, so sagt er gleich, sei vorwiegend sein Verdienst, weil er nämlich voriges Jahr zurückgetreten sei. Und da rührt sich doch glatt eine Hand zum Beifall, die sofort wieder zum Schweigen gebracht wird. Was Natta, und wenig später, in einer zweieinhalbstündigen, 60 Seiten starken Rede, Parteichef Achille Occhetto von sich geben, ist nahezu identisch. Selbst böse Kritiker müssen es zugeben, sie ist so fein gewirkt, daß jedem Leser ein „Donnerwetter, das ist die Wende“ entfährt. Erst wenn man dreimal liest, erkennt man die Hintertürchen und Pudding-Stellen. Gottseidank. Denn damit, womit Occhetto zunächst überfällt, wagt man kaum mehr den Blick aus der traulich roten Halle mit den lieben 20.000 Besuchern ins Freie zu werfen: der PCI-Chef malt ein weltumspannendes Szenarium, das er von der biblischen Apokalypse und den besten Reden des Franz Josef Strauß kopiert haben muß; alles ist im Untergehen, Gefahr für die Menschheit, wohin man blickt, trotz des - selbstverständlich - von der PCI herbeidiskutierten Friedens zwischen den Großen. Mit einem Wort: No future. Beinahe. Denn es gibt ja noch die PCI. Occhetto rasselt die großen Themen herunter, die seine Partei von nun an bewältigen wird, und zwar so, als gehöre das Copyright darauf ausschließlich der Partei. Umweltschutz, den die Kommunisten ein Jahrzehnt lang total verschlafen hatten, rangiert ganz oben: künftig gilt für die PCI die Umwandlung von Ökonomie in Ökologie. Dann folgt die Frauenfrage, zwei Jahrzehnte vernachlässigt: Frauen können, so Occhetto liebenswürdig, „speziell in Fragen der Friedens und Gesellschaftspolitik entscheidende Anregungen geben“. Drittens: Die Eliminierung des demokratischen Zentralismus, der Bestimmung der politischen Inhalte von oben nach unten, Dogma seit Ende der Stalin-Ära, also seit gut drei Jahrzehnten. Da soll sich künftig die Peripherie gefälligst selbst Gedanken machen, wie man Schäden in der Gesellschaft repariert, die Zentrale ist nur noch für die „großen Entwürfe“, die „richtungsweisende Planung“ da.

Die PCI, sagt Occhetto, ist wieder wer. Da hat er zweifellos recht. Erstmals seit mehr als zwei Jahrzehnten schielt das ZK nicht mehr ständig auf irgendwelche Bündnispartner - so wie in den siebziger Jahren mit dem „historischen Kompromiß“ auf die Christdemokraten, und in den frühen achtziger Jahren auf die Sozialisten als „natürliche Verbündete für eine linke Alternative“, wobei man zeitweise sogar bereit war, sich dem immer weiter zu den Industriellen hindriftenden PSI-Chef als uneingeschränkten Führer der Linken unterzuordnen.

Damit ist es vorbei. Die PCI will es nun mal ganz alleine versuchen und Allianzen erst später diskutieren. Ein Schattenkabinett soll her, und demnächst will Occhetto - als erster PCI-Chef überhaupt - in die USA fahren und sich als „regierungsfähig“ erweisen. Mit Bettino Craxi will man gerne die „Alternative“ diskutieren - sobald er aus seinem derzeitigen Bündnis mit den Christdemokraten aussteigt, aber erst dann. Kein Wunder, daß der bisher Gehätschelte mit verbissenem Gesicht auf der Gästetribüne saß und die Rede „ausgesprochen enttäuschend“ fand, was wiederum Occhetto ein feines Lächeln entlockte.

Größere Schwierigkeiten hat Occhetto für seinen neuen Kurs weder vom altstalinistichen Flügel um Armando Cossutta noch von der undogmatischen Linken Pietro Ingaos zu erwarten.

Die Probleme werden dann kommen, wenn die PCI versucht, die schönen 60 Chefseiten in Taten umzusetzen. Da klafft's schon von Anfang an so kräftig auseinander, daß nach der „Wende“ ein späterer „Kehrtmarsch“ nicht ausgeschlossen ist. So etwa, wenn die Amerikaner von ihm Zeichen seiner neuen „Freundschaft zu den USA“ abverlangen werden und das Parteivolk das so gar nicht will. Oder wenn die PCI die Frauenquotierung nicht nur per Sitzfleisch, sondern auch mit Posten in den bisher von Männern besetzten Entscheidungsstellen dokumentieren soll.