Giftmüllkonvention: Faules Ei für die Dritte Welt

Gerangel um weltweite Giftmüllkonvention / UNO-Ministerkonferenz beginnt heute in der Chemiemetropole Basel / Vorbereitende Expertenkonferenz hinterließ offene Streitpunkte / Entwicklungsländer wurden von den Industriestaaten über den Tisch gezogen  ■  Aus Basel Thomas Scheuer

Der Osterhase steht schon vor der Tür. Da schickt sich eine Ministerkonferenz unter der Ägide der UNO ab heute in Basel an, das faule Ei auszubrüten, das eine Vorbereitungskonferenz technischer und juristischer Experten aus 70 Staaten vergangene Woche im Rahmen des Umweltprogrammes der Vereinten Nationen (UNEP) ebenfalls in Basel den Entwicklungsländern ins Nest gelegt hatte. Schon jetzt steht fest: Die „Weltkonvention über den grenzüberschreitenden Verkehr mit Sonderabfällen“, so sie denn diese Woche zustande kommt, wird kaum geeignet sein, dem internationalen Giftmülltourismus einen völkerrechtlichen Riegel vorzuschieben und den profitablen Schwarzmarkt auszutrocknen, auf dem windige Dealer bisher hochtoxischen Chemiemüll aus den Industrieländern in die Länder der Dritten Welt verschieben. „Der bisherigen Praxis“, fürchtet eine westafrikanische Diplomatin, „wird lediglich ein völkerrechtlicher Rahmen verpaßt.“

Giftmüll: Haben will ihn keiner, doch Geld damit verdienen wollen immer mehr. „Schmutzige“ Geschäfte mit Sondermüll lenkten im vergangenen Jahr die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Problem des Giftmülltourismus: Angesichts schärfer werdender Umweltschutzstandards, überfüllter Deponien und steigender Entsorgungskosten in den Giftmüll produzierenden Ländern hat sich ein Graumarkt von Speditionen und Händlern gebildet, über den für eine Handvoll Dollars hochtoxische Industrieabfälle in die Dritte Welt verschoben werden. Die droht zur Abfallkippe der Wohlstandsnationen zu geraten.

Am Beispiel Libanon

Skandale, wie die Irrfahrten der Giftmüllfrachter „Zanoobia“ oder „Karin B“, markieren nur die Spitze des stinkenden Eisberges: Diplomaten aus dem Libanon dokumentierten in Basel mit Fotos zahlreiche wilde Deponien in ihrem Land. Da rosten Fässer mit nicht identifiziertem Inhalt offen am Strand vor sich hin; aus Containern unbekannter Herkunft läuft die Brühe in die Hafenbecken von Beirut. Bürgerkriegswirren und Behördenchaos lassen vornehmlich italienischen und griechischen Schiebern den Libanon als besonders geeignetes „Absatzgebiet“ für ihre dreckige Fracht erscheinen.

Der Problemdruck hat Regierungsdelegationen aus Nord und Süd an den grünen Tisch getrieben: Der Ruf nach einem internationalen Rechtsinstrument zur Unterbindung des sogenannten Giftmülltourismus wurde immer lauter. Doch die Vorstellungen über eine solche Konvention drifteten schnell auseinander und ließen sich auch auf mehreren Expertenkonferenzen in Genf, Dakar, Luxemburg und zuletzt jetzt in Basel nicht unter einen Hut bringen: Während zahlreiche Dritte-Welt-Staaten für einen rigorosen Giftmüll -Bann eintreten, streben die Industrieländer unter Federführung der USA lediglich einen Gesetzesrahmen an, innerhalb dessen das Geschäft mit dem Industriedreck legal und kontrolliert blühen kann. Sie halten die hehren Prinzipien des freien Welthandels hoch, die für Giftmüll genauso zu gelten hätten wie für jedes andere Wirtschaftsgut. „Die USA halten offenbar die Wahl zwischen Gift und Armut für ein faires Angebot“, kommentierte der britische Völkerrechtler und Greenpeace-Delegierte Dr. Kevin Stairs die Obstruktionsstrategie der Abgesandten aus Washington, auf deren Linie in Basel zunehmend auch europäische Delegationen einschwenkten, die sich auf den vorhergehenden Expertentreffen gegenüber den Forderungen der Entwicklungsländer noch moderat gegeben hatten.

Auch die Umweltschutzfirma Greenpeace, der bei den Konventionsverhandlungen Beobachterstatus mit Rede- und Antragsrecht eingeräumt wurde, plädiert wie viele andere Umweltverbände für eine strikte Umsetzung des Verursacherprinzips: Verbot des Giftmüllexports von Industrie- in Entwicklungsländer. Nur so könne Vermeidung und Verminderung der anfallenden Abfälle in den Industrienationen erzwungen werden. Der Konventionsentwurf, über den die Ministerkonferenz ab heute berät, liest sich jedoch wie die direkte Umkehrung dieser Forderungen. Bei dem Buchstaben A gehts schon los: Atommüll wurde auf Drängen der Internationalen Atomenergie Agentur gleich mal ausgeklammert.

Um nicht von vorneherein Schlupflöcher für Giftmüll-Dealer in die Konvention einzubauen, forderte vor allem Nigeria ein Verbot bilateraler Verträge mit Nicht-Unterzeichnerstaaten. Denn wenn einzelne afrikanische Länder die Konvention nicht unterzeichnen und aus Devisenzwängen heraus Giftmüll aus Industrieländern aufnehmen, wäre der Zweck der Konvention schnell unterlaufen. Die Industrieländer blockten ab. So schickt die Bundesrepublik bekanntlich aufgrund bilateraler Verträge große Mengen Sondermüll in Deponien in der DDR. Würde die DDR beispielsweise die Basler Konvention nicht unterschreiben, wäre diese Praxis plötzlich illegal. Fazit: Die Konvention erlaubt bilaterale Verträge mit Nicht -Signatarstaaten; über die Meldepflicht wird noch gestritten. Bis zuletzt wehrten sich die meisten Industriestaaten auch energisch gegen die von zahlreichen Entwicklungsländern geforderte lückenlose Kontrolle und Registrierung des gesamten Giftmüllverkehrs durch das geplante Konventionssekretariat. Die Industriestaaten blockierten einen Passus, der eine generelle Meldepflicht vorsah. Umstritten blieb auch der Transitverkehr durch die Territorialgewässer von Drittländern: Auch Transitländer, so hatten die Entwicklungsländer vergebens gefordert, sollten ein Informationsrecht über die Risikio-Fässer erhalten, die da an ihren Küsten vorbeischippern. Ein Ansinnen, das die Industrieländer im Schlepptau der USA als Angriff auf die freie Seefahrt ablehnten.

Die Stimmung unter den Delegierten aus Entwicklungsländern war in der Nacht zum Sonntag auf dem Nullpunkt: Die Industrieländer, die sich die Müllkanäle in die Dritte Welt offenhalten wollen, hatten sich weitgehend durchgesetzt. Scharf kritisiert wurde von Delegierten aus der Dritten Welt der herrische Verhandlungsstil des schweizerischen Konferenzleiters Alain Clerc, der den, wegen Krankheit ausgefallenen, ägyptischen UNEP-Direktor Mostafa Tolba schlecht ersetzte. „Die Afrikaner kriegen hier dauernd eins aufs Dach“, berichtete der deutsche Greenpeace-Beobachter Bernstorff. Am Samstag morgen fand es selbst Clerc angebracht, sich in aller Form bei jeder afrikanischen Delegation einzeln für seine Ausfälle in der vorangegangenen Nachtsitzung zu entschuldigen.

Für Basels Prestige

Die Schweizer Gastgeber wollen die Vereinbarung aus einem einfachen Grund auf Teufel komm raus durchpeitschen: Als Geburtsstätte der „Basler Konvention“ soll die Chemiemetropole am Rhein endlich einmal positive Schlagzeilen in der Weltpresse machen. Zu diesem Zweck hatte die Schweiz diese UNO-Konferenz auf eigene Kosten eigens vom UNO-Sitz Genf nach Basel verlegt.

Trotz Nachtsitzungen und Überstunden am Wochenende enthält der Entwurf der Expertenkonferenz noch einige strittige Punkte; die USA ließen zahlreiche Vorbehalte ins Protokoll aufnehmen. Am Wochenende war nicht abzuschätzen, wie viele Regierungen die Alibi-Konvention am Mittwoch unterzeichnen werden - oder ob das ganze Projekt doch noch platzt.