„Einmalig im ganzen Bundesgebiet“

Der Skandal um Selbstbedienung, Ämterschacher und „brutales Geldverbraten“ in der nordrhein-westfälischen Landesrundfunkanstalt schlägt im Düsseldorfer Landtag hohe Wellen / Besonders empört: die FDP - sie war nicht beteiligt worden / Rau droht der CDU  ■  Aus Düsseldorf J.Nitschmann

Wenn der Herner SPD-Landtagsabgeordnete Helmut Hellwig (56) in diesen Tagen die „Kaffeeklappe“ im Düsseldorfer Landtag betritt, schlägt ihm offene Häme entgegen: „Helmut, hol‘ mal das Scheckbuch raus!“ foppen die Sozialdemokraten ihren Genossen. Hellwig ist Vorsitzender des obersten Aufsichtsorgans bei der nordrhein-westfälischen Landesrundfunkanstalt (LfR), die als „Selbstbedienungsladen der Parteien“ ('Spiegel‘) ins Zwielicht geraten ist.

Der Landesrechnungshof (LRH) listete in einem über 60seitigen Prüfbericht eklatante Verstöße der Anstalt „gegen die Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“ auf. Neben unangemessen hohen Gehältern bei einem Großteil der 40 LfR-Mitarbeiter deckten die Rechnungsprüfer auf, daß in der von dem ehemaligen Berliner Bürgermeister Klaus Schütz (62) geführten Landesrundfunkanstalt Privat- mit Dienstgeschäften vermengt, Verwandten einträgliche Nebenjobs zugeschanzt und Gelder für luxuriöse Annehmlichkeiten regelrecht zum Fenster hinausgeworfen wurden. „Da tut sich ein Abgrund von Filz, Vetternwirtschaft und Ämterpatronage auf“, sagte ein prominenter Düsseldorfer Sozialdemokrat entsetzt nach der Lektüre. Die Empörung kommt arg spät.

Nach den der taz vorliegenden Protokollen der LfR -Rundfunkkommission ist den Politikern das skandalöse Finanzgebaren der im Sommer 1987 gegründeten Landesrundfunkanstalt praktisch seit deren Bestehen bekannt gewesen. Mahnungen und Warnungen innerhalb des 41köpfigen LfR-Aufsichtsgremiums, das ebenso wie das Direktorentrio streng nach Parteienproporz austariert ist, wurden dort schlicht ignoriert. Als Vorsitzender der LfR -Rundfunkkommission verteidigte der SPD-Politiker Hellwig das „Tarifparadies“ (CDU-Generalsekretär Linssen) heute wie damals: Ohne diese hohe Gehaltsstruktur wären „keine kompetenten und erfahrenen Mitarbeiter zu bekommen“ gewesen.

„Da lachen doch die Hühner“, entgegnete der FDP -Fraktionschef Achim Rohde am vergangenen Mittwoch im Düsseldorfer Landtag auf diese merkwürdige Argumentation: „Die einzige Erfahrung, die dort vorherrscht, ist die Erfahrung mit dem gleichen Parteibuch.“ Rohde hat freilich gut reden; die lukrativen LfR-Posten waren seinerzeit alleine zwischen SPD und CDU ausgekungelt worden. Was Regierungschef Rau (SPD) während der Landtagsdebatte auch nicht bestritt: „Das Maß Ihrer Empörung hängt mit der Abwesenheit von blau-gelb zusammen“, rief er Rohde zu.

Immerhin hat sich Rau um die Verpflichtung des LfR -Direktors seinerzeit offenbar höchstpersönlich gekümmert und für den 14.000-Mark-Job den verdienten Genossen Schütz vorgeschlagen, wie aus einem der LfR-Protokolle deutlich hervorgeht. Raus Schützling soll private Anschaffungen ungeniert über die LfR-Kasse getätigt und seinem Sohn einen lukrativen Nebenjob als sein eigener Aushilfschauffeur verschafft haben. Für LfR-Oberaufseher Hellwig sind dies alles freilich nur „Dusseligkeiten“, die „unverhältnismäßig viel Wirbel“ verursachten. Die Nachsicht des LfR -Kontrolleurs, der für dieses Mandat neben seinen Landtagsdiäten pro Jahr 24.000 Mark einstreicht, ist menschlich nur zu verständlich: Hellwigs Tochter, so wurde diese Woche bekannt, übte monatelang einen der begehrten Studentenjobs als Programmbeobachterin für ein Monatshonorar von rund 2.000 Mark bei der LfR aus.

Angesichts der bevorstehenden Kommunal- und Landtagswahlen hat die „hemmungslose Selbstbedienungsmentalität“ in der LfR inzwischen bei allen drei Landtagsparteien Empörung und Unmut ausgelöst - zumal die Landesrundfunkanstalt in den über anderthalb Jahren ihres Bestehens lediglich die Verbreitungsgebiete für den lokalen Rundfunk festlegte, die in den meisten Fällen ohnehin mit den kommunalen Verwaltungsgrenzen identisch sind. Die Arbeit der Schütz -Crew beschränkt sich derzeit auf die Programmkontrolle fünf kommerzieller Fernsehsender, die nach NRW ausstrahlen. Bislang ist in NRW kein einziger privater Hörsender am Netz.

CDU-Generalsekretär Linssen äußerte offen den Verdacht, daß die 40 LfR-Mitarbeiter mit nichts anderem beschäftigt seien als den Jahresetat von derzeit 21 Millionen Mark zu verjubeln. Innerhalb der CDU-Fraktion gibt es ernsthafte Überlegungen, sämtliche Christdemokraten in den LfR-Gremien zum Rücktritt aufzufordern. Ähnlich deutliche Worte sind auch aus der SPD-Landtagsfraktion zu hören. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Trinius warf im Fraktionsvorstand am vergangenen Montag die Frage auf, ob Schütz nicht zurücktreten müsse. Aufgebrachte Sozialdemokraten forderten gar „eine Auflösung der LfR“. Ebenso drängen zahlreiche SPD-Politiker auf den Rücktritt des LfR-Oberaufsehers Hellwig.

Mitglieder der LfR-Rundfunkkommission ließen Düsseldorfer Landtagsparlamentarier wissen, daß Luxus und Verschwendung bei der LfR System habe: Schließlich müßten die der Landesrundfunkkommission jährlich aus dem Rundfunkgebührenaufkommen zufließenden 21 Millionen Mark „brutal verbraten werden“, weil das überschüssige Geld zum Jahresende an den WDR abgeführt werden solle.

Regierungschef Rau sind die anhaltenden Recherchen erkennbar peinlich: Wenn die Enthüllungen über die LfR so „einfach kolportiert“ würden, sagte Rau am Mittwoch den Landtagsparlamentariern, bleibe in der Öffentlichkeit auch etwas an den Politikern hängen. Deutlich warnte der Ministerpräsident die CDU-Opposition vor immer neuen Angriffen auf die Landesrundfunkanstalt und drohte unüberhörbar mit Leichen im Keller der Christdemokraten: „Wenn Sie das Spiel haben wollen, das Sie hier heute begonnen haben, dann können Sie es kriegen...“

Immerhin rang sich der Landtag einstimmig zu einer Entschließung durch, die eine Sonderprüfung durch einen unabhängigen Gutachter bei der LfR fordert. Freilich hat auch diese Sache einen unschönen Haken: LfR-Direktor Schütz soll sich die Prüfungsgesellschaft selbst aussuchen können. Begründung: Die LfR müsse diese Prüfung schließlich auch aus eigener Kasse bezahlen. SPD-Fraktionschef Friedhelm Farthmann: „Wir werden mit Argusaugen darauf achten, daß hier Gutachter bestellt werden, die koscher sind.“

Der Genosse Hellwig kann die ganze Aufregung indes nicht verstehenb. Natürlich seien in der Gründungsphase der LfR „auch ein paar Fehler gemacht“ worden, räumt er ein; aber schließlich sei diese Anstalt „ja auch einmalig im ganzen Bundesgebiet“. Dieser Meinung ist auch der Landesrechnungshof.