Pogotänzer vorne, die feinen Geister hinten

■ „Ich hätte gerne mehr Ältere - Hippies aus den Sechzigern in meinen Konzerten“ / Phillip Boa war nach dem Konzert im Modernes heiser und ziemlich fertig, ließ aber trotzdem noch mit sich reden / Ein Interview

taz: Daß dir das Publikum heute gefallen hat, hast du ja schon von der Bühne herunter gesagt.

Philip Boa: Auf dieser Tour war's wirklich eins der besseren Konzerte. Ich bin da auch sehr verwöhnt, und es ist selten, daß ich sowas auch sage, das ist immer ein enger Grat zwischen Anbiedern und seine Meinung sagen, das sind halt diese Rock'n'Roll Stereotypen

Es gab ja im Publikum eine Zweiteilung zwischen den wilden Pogotänzern vorne und den feingeistigen Hörern weiter hinten.

Boa: Das ist bei jedem Konzert so, und wir wollen auch Musik für alle machen. Ich hätte gerne mehr Ältere - Hippies aus den Sechzigern in meinen Konzerten. Wir versuchen auch die Leute, die Musik nur als bloße Unterhaltung sehen durch ein Lied wie „Container Love“, das dauernd im Radio läuft oder so knapp an den Single Charts vorbeischießt, ein wenig zu erziehen, sich mehr mit Musik zu befassen. Wenn die Leute hier ins Konzert gehen, und mit dem Lied „Tragic Mastery of Stockhausen“ konfrontiert werden, sowas haben die noch nie gehört, und würden sich's auch nie freiwillig anhören. Auch wenn viele von unseren Fans das nicht verstehen, wir wollen solche Musik halt machen.

Durch den Wechsel zu Polidor habt ihr jetzt ja auch mehr Möglichkeiten mit den Medien zu ar

beiten, etwa bei dem Feature in „Formel Eins“ letzte Woche.

Boa: Solange wir Leute aus der Ecke der alles schluckenden, verdummten 84er Generation wegziehen, vielleicht doch zum Nachdenken bewegen, so, daß die auch mal die Texte lesen, und ihre eigene Bedeutung oder Zufriedenheit da herausziehen können, je mehr desto besser.

60er waren die

Rock'n'Roll Zeit

Wir kennen dieses Rock'n'Roll Business eigentlich ziemlich gut, und aus dieser Position heraus können wir vieles anders machen, mit einer Mischung aus Verachtung, Ironie, aber auch Hassliebe. Wir machen natürlich weiter nur Musik für eine Minderheit, wenn wir nicht ab und zu mal ins Fernsehen kommen. Wir haben von vornherein der Polydor eine Liste mit sechs Fernsehsendungen gegeben, bei denen wir spielen würden, bei „Wetten das“ oder der ZDF-Hitparade treten wir nicht auf. „Formel Eins“ wollte schon vor ein, zwei Jahren was mit uns machen, aber da hätten wir in diese Autoreifenkulisse von denen gemußt, das wollten wir nicht, und jetzt sind sie zu uns nach Hause gekommen und haben die Sache nach unserem Konzept gemacht.

Nach dem, was die Kollegen so schreiben, bist du ja ein ziemliches Lästermaul.

Boa: Ich hab manchmal ne große Klappe, aber da steh ich auch drauf, ich kann mein Maul nicht halten, teilweise auch ohne zu überlegen, is auch doof. Ich sag immer was ich denke und bin schon so oft damit reingefallen. Aber wenn jeder sagen würde, was er denkt, wärs vielleicht eine

bessere Welt.

Der Manager will jetzt, daß Boa vier Teenies, die seit dreiviertel Stunden auf ein Autogramm warten, kurz runterkommen läßt. Der streubt sich erst, sagt dann „ok“ und der englische Manager antwortet: „Your not the asshole, you're trying to be“.

Beim kurzen Empfang sind dann beiden Seiten etwas verlegen. Für solche Situationen hat Boa sympathischerweise noch kein smartes Ritual entwickelt.

Ich hab ein bißchen Schwierigkeiten mit deinem Trick, immer am Schluß des Auftritts den Mikroständer zu zertrümmern, das

wirkt wie ein aufgesetztes Zitat der Sechziger.

Boa: Ja richtig, hab ich keine Probleme mit. Die Sechziger waren eindeutig die interessantere Rock'n'Roll Zeit, und das ist tatsächlich meine Hommage daran.

Rock'n Roll Klischee

Das ist ein Ritual, die Leute warten drauf, ich freu mich, daß ich so meine Aggressionen loswerde, ich bin dann wirklich so wild drauf und spiel das nicht nur.

Aber es ist schon berechnet - wirklich zerstören tust du ja nichts dabei.

Boa: Früher hab ich so zweimal Gitarren kaputtgemacht, und das haben mir die Leute übelgenommen, weil die was gekostet haben. George unser Manager war früher mit Led Zeppelin auf Tour, und die haben immer die gleiche Gitarre mit angesägtem Hals dafür gehabt, und die Verstärker waren Attrappen. Zu Anfang, bei den Who etwa, wars wohl wirklich echt, aber als Pete Townshend zum dritten Mal die Rechnung für die Gitarre gelesen hat, hätte er wohl auch lieber damit aufgehört, aber da wollten es dann die Leute sehen. Manchmal kommt dieses Rock'n'Roll Klischee eben wieder raus.

Interview: Willy Taub