Polizei jagte 16jährigen Flüchtling

■ Einsatz in Ritterhude: Minderjähriger Kurde auf der Straße verhaftet und im Streifenwagen zur Abschiebung auf den Flugplatz gebracht / Bundesgrenzschutz ignorierte Einspruch des Vaters

Ein gutes Dutzend Polizisten stürmt in das Wohnheim für Asylbewerber in Ritterhude. „Wo ist Fuat P.“, rufen sie. Doch der 16jährige kurdische Junge ist nicht zu finden. Unverrichteter Dinge ziehen die Uniformierten ab. Fuat P. wird von seinen Mitbewohnern gewarnt und fährt zu seinem Rechtsanwalt nach Osterholz-Scharmbeck. Wenige Meter vor der Kanzlei stoppt neben ihm ein Streifenwagen. Im Polizeigriff wird der Junge ins Auto geworfen. Noch einmal halten die Polizisten vor dem Asyl-Wohnheim, damit Fuat einige Sachen zusammenpacken kann, dann geht die Fahrt direkt zum Flughafen Hannover-Langenhagen. Am Abend wird der 16jährige bereits in Istanbul von der Polizei vernommen. Ein juristischer Einspruch, den der Vater des Jungen und eine deutsche Freundin mit Unterstützung des Osterholz -Scharmbecker Anwalts noch kurz vor dem gewaltsam durchgesetzten Abflug gegenüber dem Bundesgrenzschutz stellen können, wird ignoriert. „Ich habe doch keine Zeit, alles zu lesen, was mir so auf den Tisch kommt“, habe der zuständige Beamte erklärt, so der empörte Anwalt.

Der krimi-reife Polizeieinsatz in Ritterhude fand am 22. Februar statt. Im Mai 1988 war Fuat P. zu seinem Vater in die Bundesrepublik gereist. Der Vater ist Mitglied der kurdischen Widerstand

sorganisation PKK. über seinen Asylantrag ist noch nicht entschieden. In Istanbul hatte der 16jährige Fuat sich vor der Reise zum Vater einen falschen Paß besorgt, der ihn als volljährig auswies. Mit eben diesem Paß stellte er auch in Osterholz-Scharmbeck einen Asylantrag, den das Bundesamt in Zirndorf bereits nach sechs Wochen als „offensichtlich unbegründet“ ablehnte. Die Klage dagegen wurde im Novem

ber in letzter Instanz vom Lüneburger Oberverwaltungsgericht abgewiesen.

Doch dieser Gerichtsbeschluß ist Fuat P. nie mitgeteilt worden. So sah es jedenfalls der Osterholz-Scharmbecker Amtsrichter Pöhlmann, als er es dem Landkreis Osterholz am 11. Januar verweigerte, Fuat P. in Abschiebehaft zu nehmen. Doch statt der Informationspflicht über das schicksalsschwere Urteil sofort

nachzukommen, erledigte der Landkreis den Asyl-Fall anders: Er verhaftete Fuat P. von der Straße weg und setzte ihn ins Flugzeug.

Dabei war den Behörden zu diesem Zeitpunkt längst bekannt, daß der für sein Alter körperlich eher unterentwickelte Fuat nicht 18, sondern tatsächlich erst 16 Jahre alt ist. Denn am 9. Januar hatte sein Osterholz-Scharmbecker Anwalt einen Asylfolgean

trag mit dem korrekten Geburtsdatum gestellt.

Schuld an der plötzlichen Abschiebung war dann jedoch nicht der Landkreis Osterholz, sondern die Stadt Braunschweig. Dorthin war der Asylbewerber Fuat P. im Rahmen der üblichen „Umverteilung“ geraten. Aufgehalten hatte er sich jedoch weiterhin bei seinem Vater in Ritterhude.

Nach der polizeilichen Entführung landete Fuat P. für zwei Tage im Gefängnis in Istanbul und wurde ausgiebig verhört. Erst am dritten Tag kam er bei seiner Mutter im kurdischen Palu an. Sein Osterholz-Scharmbecker Anwalt will jetzt die Rückkehr des Jungen zu seinem Vater vor Gericht durchsetzen. Außerdem prüft er eine Klage gegen die Behörden wegen Freiheitsberaubung und Nötigung.

Wenige Kilometer weiter - hinter der Bremer Landesgrenze wäre Fuat vor der Abschiebung geschützt gewesen. Auch eine „Umverteilung“ nach Braunschweig hätte er nicht erlitten. Denn Bremen schiebt nach heftigen Protesten der Flüchtlings -Initiativen keine Kurden mehr ab. Im Landkreis Osterholz ist derweil schon wieder ein Kurde von der Abschiebung bedroht. Das Flüchtlingsbüro Bremen-Nord versucht dies mit einer Petition an den niedersächsischen Landtag zu verhindern.

Dirk Asendorpf