Ein Glasnost-Buch vom ehemaligen Spionagechef

■ Das Buch des Exspionagechefs Markus Wolf „Troika“ packt brisante Themen an / Längst überfällige Aufarbeit der Geschichte des Sozialismus / Neues Denken statt unreflektierten Gehorsams / Auszüge zur Stalin-Zeit, Biermann-Ausbürgerung und zur notwendigen Offenheit

Die Giebelfriese des Friedrichsfelder Schlosses am Rande des Ost-Berliner Tierparks erzählen den Mythos der geraubten Europa und künden von herakleischen Taten. Nur einen Steinwurf von hier entfernt liegt die ehemalige Wirkungsstätte, das Ministerium für Staatssicherheit, des Mannes, um den es heute gehen soll: Markus „Mischa“ Wolf, Exspionageabwehrchef und stellvertetender Minister für Staatssicherheit. Vor hundert Zuhörern, Westpresse und geladenen DDR-Gästen las er kürzlich aus dem Buch, mit dem er sich seit seinem Rückzug ins Pensionärsdasein vor zwei Jahren beschäftigt hat. Troika, Dreigespann, die Geschichte einer Jungenfreundschaft, die im Moskau der dreißiger Jahre beginnt. Ihre Familien, bekannte deutsche Kommunisten, Wloch und Wolf, sind 1934 emigriert. Louis Fischer, amerikanischer Journalist, der mit der Sowjetmacht sympathisiert, lebt seit 17 Jahren in Moskau. 1938 wird Wilhelm Wloch, der Vater, verhaftet, kommt 1940 um. Die Familie geht zurück nach Deutschland. Fischers haben Moskau in Richtung USA schon mit dem Hitler-Stalin-Pakt verlassen. Nur die Wolfs bleiben.

1949 im zerbombten Berlin treffen die Jungen wieder zusammen. Zwei Sieger, als Offiziere der US- und Roten Armee, und ein besiegter Unteroffizier. Sie bleiben Freunde, doch hinterläßt der kalte Krieg auch in ihrem Verhältnis immer schärfere Konturen. Sie werden zu Exponenten ihres Systems, als Senator in Alaska, Bauunternehmer in West -Berlin und Filmregisseur in der DDR. Nach 30 Jahren dann ein Wiedersehen der Troika in den USA. Trotz ideologischer Differenzen begegnen sie sich in Achtung, ja Freundschaft.

Wolf bastelt nicht an einem sozialistischen Heros und verzichtet auf die geschichtsbildende Kraft des Mythos. Im Gegensatz zur immer noch üblichen Maxime der Parteihistoriographie, Geschichte „gibt Kraft und Optimismus“, benennt er mit ungeschminkten Worten Unrecht, individuelles Leid, Enttäuschung und Zweifel, die sich vom Aufbau des Sozialismus nicht absondern lassen. Doch der Auslöser zu diesem Buch basiert eigentlich auf einer Idee seines Bruders Konrad Wolf („Koni“), einem der drei Jungen aus der Troika und späteren Präsident der Akademie der Künste der DDR, der 1982 gestorben ist.

Die verschleppte Realisierung damals beruhte wohl auch auf dem gespannten Verhältnis zwichen Geist und Macht nach der Biermann-Ausbürgerung in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre. Das, was Markus Wolf daraus gemacht hat, wäre damals nicht möglich gewesen. Denn er benutzt die Rahmenhandlung, um mehr zu transportieren: ein Bekenntnis zu Offenheit, Toleranz und neuem Denken. Gedanken, die ihn und seinen Bruder schon vor der Gorbatschow-Ära bewegt hätten.

Nicht zufällig warnt er vor dem latenten Antiintellektualismus verantwortlicher Kreise in der DDR, der sich vor allem im Umgang mit Künstlern zeige. Er fordert eine offene und unselektierte Informationspolitik, damit DDR -Bürger für bestimmte Maßnahmen überhaupt erst Verständnis aufbringen können. Und gleichsam als roter Faden zieht sich sein Appell zu Zivilcourage durch das Buch, der darin gipfelt, den unreflektierten Gehorsam gegenüber Funktionsträgern endlich aufzugeben.

Wichtigstes Anliegen bleibt ihm jedoch die überfällige Aufarbeitung der widerspruchsvollen Geschichte des Sozialismus. Hierin im Einklang mit Moskau konterkariert er in auffälliger Weise die Haltung der SED seit ihrem 6.Plenum im vergangenen Juli. Die dort veröffentlichten Thesen zum 70.Gründungstag der KPD und die indirekte Behandlung des Sputnik-Falles auf dem 7.Plenum weisen die Notwendigkeit einer Geschichtsrevision strikt von sich. Jüngstes Beispiel: ein Aufsatz in der SED-Zeitschrift 'Einheit‘ zum 70. Jahrestag der Komintern, ein Eiertanz zwischen altbewährter Legitimationsideologie und sowjetischer Enthüllungen, die sich nicht mehr übergehen lassen.

Um so erstaunlicher daher Wolfs Vorstoß. Kann er sich auf einflußreiche Kräfte stützen? Sicherlich verfügt er als ehemaliger Geheimdienstchef, dem die Sowjetunion immer „zweite Heimat“ gewesen ist, nach wie vor über exklusive Kontakte und Informationen. Eine Initiative Moskaus? Das widerspräche zumindest der Zurückhaltung im Sputnik-Fall. Oder will man doch rechtzeitig die Weichen für den vorverlegten Parteitag stellen? Nichts als Spekulationen. Eins springt jedoch ins Auge: Als Freund seines Bruders Konrad und einzigen Parteisekretär erwähnt Wolf ausdrücklich den Dresdner Hans Modrow. Er gilt als Reformer und Wunschkandidat Moskaus in der Honecker-Nachfolgerfrage und gehört im Gegensatz zu Wolf auch dem Zentralkomitee an.

Das Buch erscheint in der DDR in einer Auflage von 15.000, die schnell vergriffen sein dürfte. Doch braucht der Stoff keinem vorenthalten zu bleiben, da die Ost-Berliner Wochenzeitung die 'Wochenpost‘ bereits vor vier Wochen mit dem Abdruck begonnen hat.

Außer in der BRD, der Schweiz und Österreich wird es demnächst auch in der Sowjetunion verlegt werden. Wie brisant der Stoff ist, machte nach der Lesung vor allem eins deutlich: Der Aufforderung des Aufbau-Verlages zu Fragen an und Diskussion mit dem Autor folgte keiner der DDR-Bürger, es herrschte Totenstille.

Markus „Mischa“ Wolf - Vom Spionagechef zum Reformer

Am 19.Januar wurde Markus Wolf in Hechingen, Schwaben, geboren. Sein Vater Friedrich Wolf, Kommunist, Jude und Arzt, zählte in der Weimarer Republik zu den bekanntesten Autoren sozialkritischer Dramen und Agitpropstücke. (Zyankali, ein Stück gegen den §218 / Matrosen von Catlarro) Nach Brecht rangiert er noch heute in der DDR auf Platz Zwei der Dramatikerliste. Von 1927-33 lebt die Familie in Stuttgart. Danach muß sie emigrieren. Zunächst in die Schweiz und nach Frankreich, 1934 schließlich in die Sowjetunion. In Moskau besucht er mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Konrad die deutsche Karl-Liebknecht-Schule und später dann die 110.russische Mittelschule. 1940 beginnt er mit einem Studium und wird 1941 vor den heranrückenden deutschen Truppen nach Alma Ata evakuiert. Damals sagten ihm Freunde eine künstlerische oder Intellektuellenkarriere voraus. Doch von 1942 bis '43 erhielt er dann seinen Drill an der Komintern-Schule. Im Nachkriegs-Berlin arbeitete er anfänglich als Rundfunkjournalist und Redakteur beim Deutschen Volkssender. Als Erster Rat vertritt er von 1949 bis '51 die neugegründete DDR in der Diplomatischen Mission in Moskau. Danach Einstieg in die „bewaffneten Organe“ oder genauer in das Ministerium für Staatssicherheit, in dem er es noch weit bringen soll. 1958 avanciert er zum Leiter der „Hauptverwaltung Aufklärung“ und zum Stellvertreter des seit 1957 amtierenden Ministers für Staatssicherheit, der schon damals Erich Mielke hieß.

Man sagt dem außerordentlich erfolgreichen Spionagechef nach, er habe während seiner Amtszeit die BRD mit einem Netz von etwa 2.000 „Kundschaftern an der unsichtbaren Front“ überzogen. Sein erfolgreichstes Pferd im Stall war zweifelsohne der Kanzlerspion Günter Guillaume, der Willy Brandt zu Fall brachte und zur Zeit gerade seine Memoiren vorlegt, nicht ohne sie Wolf Korrektur lesen zu lassen. Erst 1976, nach einem Vierteljahrhundert, gelang es, den Geheimdienstchef in Stockholm zu enttarnen. Doch die ersten authentischen Fotos entstanden erst 1982 bei der Beerdigung seines Bruders Konrad, der unter anderen die international renommierten Filme Solo Sunny und Der geteilte Himmel (nach einem Roman von Christa Wolf) drehte. Als hochdekorierter Generaloberst konnte man ihn danach beim Jubiläum der Staatssicherheit auch im Fernsehen bewundern. Im Februar 1987 schied er überraschend aus dem aktiven Dienst aus, „aus eigenem Wunsch“, wie die DDR -Nachrichtenagentur 'adn‘ meldete. Doch mehren sich die Anzeichen, daß sein Abgang mit seiner positiven Haltung zu den sowjetischen Reformen in Verbindung steht.

Klaus-Helge Donath