Standbild: Valium für alle

■ Einer, der aus der Hölle kam - Vom Leben in Aberdeen nach der Explosion der Ölbohrinsel Piper Alpha

(Einer, der aus der Hölle kam - Vom Leben in Aberdeen nach der Explosion der Ölbohrinsel Piper Alpha West 3, Sonntag, 19.3., 23.10 Uhr) Menschen wie Peter Hodgkinson und Michael Stewart werden immer wichtiger. Katastrophen-Psychologen, die den Überlebenden Trost spenden mit der frohen Botschaft: „Keine Panik, der Schmerz ist normal und muß ertragen werden.“ Das haben die beiden britischen Experten in Sachen Schmerzbewältigung den Hinterbliebenen und Schwerverletzten des Fährunglücks von Calais zugerufen, den fast Erstickten nach dem Londoner U-Bahn-Unglück von King's Cross und nun den Männern von Piper Alpha, die von der Bohrinsel 70 Meter in die Tiefe gesprungen sind und mit Knochenbrüchen und Brandwunden überlebt haben.

Die ARD-Korrespondentin Marie-Elisabeth Simmat weist nach, daß sich nach der Feuersbrunst auf der Bohrplattform vor der schottischen Küste nichts geändert hat - ein fast zwangsläufiger Mechanismus nach einem industriellen Desaster. Erst jetzt wird klar, welche Sicherheitsmängel die Bohrinseln aufweisen. Und dann die auf Hubschreiber-Rettung fixierte Ausbildung: Viele Arbeiter kamen um, weil sie auf Hilfe aus der Luft warteten - wie es ihnen bei Alarmübungen eingebleut wurde - und nicht den Sprung in die Tiefe wagten, der sie hätte retten können. Heute fragt niemand mehr nach den Fehlern der Verhaltensmaßregeln im Ernstfall. Auf der Plattform arbeiteten Männer, die nicht einmal schwimmen konnten. Wen interessiert das? Die Gewerkschaft? Die darf nur auf Anfrage bei der Öl-Gesellschaft auf die Insel und hört dort niemals Beschwerden, weil immer ein Vertreter des Konzerns im Nebenraum sitzt und notiert, wer kommt, um sich zu beklagen.

Die Lehre aus dem Unglück von Piper Alpha: Der Mensch hat sich der Technik anzupassen und eine mögliche Katastrophe als Berufsrisiko hinzunehmen. Die herzzerreißenden Szenen an den Gräbern der Ertrunkenen, Verbrannten und Zerfetzten auch das läßt sich noch in den Griff bekommen, mit Hilfe der Sozial-Klempner, denn der Schmerz ist normal und läßt sich behandeln. Valium für alle.

Christof Boy