Künftig wird gekürt

■ Beim Eiskunstlauf wird 1992 die Pflicht abgeschafft

Das Eiskunstlaufen gerät wieder in Bewegung. Frischer Wind wehte bei den Weltmeisterschaften durch den Omnisport-Palast von Paris-Bercy. Lediglich im Paarlaufen scheint die Entwicklung augenblicklich zu stagnieren: das Moskauer Paar Gordejeva/Grinkov gewann trotz drei Jahre alter Figuren mit solcher Überlegenheit, daß jede Mühe fast überflüssig gewesen wäre. So sind sie unterfordert, von ihnen muß nicht notwendigerweise Neues kommen.

Gefordert waren alle anderen Disziplinen. Und gleich Christopher Bowman zeigte, wo die neuen Impulse liegen: eine spritzige Kür voller Wagnisse und Überraschungen. Da kann niemand ruhig sitzen bleiben.

Daß beim Eistanzen technische Weltklasseleute aber konservative Strategen wie Klimova/Ponomarenko an die Spitze kommen, mutet seltsam an. Doch auch hier bewegt sich die Szene, nicht nur durch die Duchesnays. Auch die Zweiten Usova/Zhulion zeigten einen modernen und ganzheitlichen Vortrag, etwas, das Anfang und Ende, Höhen und Tiefen hat, etwas, dem man unentwegt folgen muß. Und die Zukunft des Eiskunstlaufs liegt ja in der Kür, der Kreativität, das zeigte sich im Jahr eins nach Katarina Witt (die sich hier schwer getan hätte) am deutlichsten bei den Frauen.

Hätte die Pflicht, die 1992 völlig abgeschafft wird, noch so viel gezählt wie vor Jahren, Claudia Leistners Chancen auf das höchste Treppchen wären weit besser gewesen. Ihre Konkurrentin Midoroi Ito aus Japan lag nach der Pflicht noch außerhalb der Medaillenränge, kämpfte sich über das Originalprogramm auf Platz drei und gewann letztlich Gold. Das 19jährige Springwunder aus Nagoya zeigt anfällige Pflichfiguren, aber eine zur Zeit nicht zu überbietende Kür, gespickt mit Höchstschwierigkeiten und einer Vielzahl von Sprüngen, die bislang nur von Männern gezeigt wurden.

Wie gräßlich die Pflicht für viele Läuferinnen ist, sagte Pirouettenkönigin Denise Bielmann, vor kurzem erst Profi -Weltmeisterin: „Ich wäre fast wahnsinnig geworden.“ Nur eine Saison lang hatte sie sich zusammenreißen können, die Pflicht bis zum Erbrechen geübt, Titel gewonnen und war dann zu den pflichfreien Profis gewechselt.

Anderen war die Pflicht ganz recht, so auch den meisten Bundesdeutschen. Selbst ein Heiko Fischer hatte sich mit der Pflicht Lorbeeren verdienen können. Doch auch das Eislaufen wird wird immer mehr mediengerecht zugeschnitten, marktorientiert präpariert. Wie läßt sich schon ein Sport verkaufen, bei dem die Athleten einen wichtigen Teil ihres Sports vor leeren Rängen absolvieren? Zwar zählt derzeit die Pflicht nur noch 20 Prozent, aber noch werden die Grundsteine für die Medaillen hier gelegt.

Das blockierte die Entwicklung eisläuferischen Könnens wie neue Bewegungen, Schrittfolgen, Sprungelemente. Das Pflichttraining beanspruchte einen großen Teil der Unterrichtseinheiten, und in Paris konnten sich nach der Weltmeisterin Midori Ito noch zwei starke Pflichtläuferinnen plazieren. In zwei Jahren wird das anders aussehen.

Thomas Schreyer