Die kannten jeden verdammten Ton

■ New Model Army im Modernes, Trio plus Gitarre und Violine und Zuschauerchor Heute Kritik, morgen Kritik und übermorgen wieder

Was kann der Sigismund dafür, daß er so blöd ist? Das war eine der ersten weltbewegenden Fragen, die den BesucherInnen im vollbesetzten Modernsten entgegenschlug. Nach einer peinlich gefühlsechten Leibesvisitation am Eingang waren es die Abstürzenden Brieftauben, die mit ihren zwanghaft fröhlichen Punkstückchen das Publikum auf Touren bringen mußten. „Ihr seid wahnsinnig nett heute abend“, war

dann auch der einhellige Kommentar des Duos aus Hannover, so ist eben das Schicksal von Vorgruppen.

Es konnte also losgehen. Ein langmähniger Mann mit einer Violine, Ed Johnson, sozusagen das fünfte Rad am Wagen von New Model Army betrat die große Bühne zum ungeheuren Wagnis eines Solo-Auftrittes ein. Mit getragenen schweren Linien schaffte er eine gespannte Stimmung im Saal. Unterstützt von sphärischen Klängen vom Band und indophilen Perkussionsmustern bereitete er NMA wirkungsvoll das Feld.

Schweres Gewummer, viel Nebel auf der Bühne, mächtig blaues und rotes Scheinwerferlicht und ein vielstimmiger Gesang erfüllten den Saal. Mit aufwendigem Gestus inszenierten die bei Leeds residierenden Musiker ihren Auftritt, ganz wie es alle großen Gruppen tun. Doch damit wollte sich Frontmann Justin Sullivan hinterher gar nicht einverstanden zeigen. Starallüren lehne er kategorisch ab, das Gehabe auf dem Podium sei lediglich berufsbedingt. Seine Rolle als unumschränkter Mittelpunkt beherrschte er sowohl stimmlich als auch visuell, während um ihn herum das Geschehen tobte. Markerschütternde Schreie und klirrende Gitarren erfüllten den Raum, brachial aber präzise unterlegt von knallenden Rhythmusfiguren des Drummers Robert Heaton. Live bieten NMA einen eindrucksvollen kollekti ven Vortrag, an den die Platten aufnahmen nicht heranreichen, das gab auch Sullivan zu. Trotzdem verteidigte er den Wechsel zu einem Majorlabel vehement, der besseren Technik wegen.

Angesprochen auf die sozialkritischen Texte der durch Chris McLaughlin (git) zum Quartett erweiterten Band wehrte er gleich ab: „Wenn Du jeden Abend die gleichen Inhalte 'rüberbringen mußt, ist Dir das irgendwann egal. Wir bemühen uns aber nicht so platt kritisch zu sein, wie the brave new left, die wollen doch nur pure people for pure societies. Bullshit. An der Wiedererkennbarkeit der Songs konnte jedenfalls kein Zweifel bestehen. Oft nahmen sich die Musiker stark zurück und überließen der kräftig mitgehenden Menge für einige Textzeilen das Terrain. So gerieten nicht nur die BesucherInnen sondern auch die miefige Luft stark in Bewegung. „Ausbalanciert“ nannte Sullivan das Programm, und er hatte durchaus Recht. Neben treibenden Titeln streuten NMA immer wieder Balladen zur akustischen Gitarre ein oder schlugen mit Keyboard und Geige in sanftere Richtungen. Am Ende präsentierten sie sich dann wieder von ihrer ruppigen Seite. Der Gitarrenhals schlug gegen das Mikro, und Sullivan deutete an, das Publikum zu verhauen. „Alles nur gespielt“, mußte er zugeben, eigentlich wäre ihm ein viel näherer Kontakt zu den Menschen lieber. Vielleicht sollte er dann nachdrücklich auf seine Security Leute einwirken. Jürgen Franck