Die Angst der Schuldner vor dem Schuldenerlaß

Den Drittweltstaaten ist die Aufrechterhaltung des Kreditkreislaufes offenbar wichtiger als Schritte in Richtung Schuldenerlaß / Verhaltenes Echo für Brady-Vorschlag  ■  Von Ulli Kulke

Wer 1.000 Dollar Schulden hat, hat selbst ein Problem. Sind es dagegen so runde 340 Milliarden Dollar, dann sitzen die Gläubiger auf dem Problem (älteste Banker- und spätestens seit der bürgerlichen Revolution Volksweisheit).

Bringt der neue Plan des Finanzministers der Vereinigten Staaten Nicholas Brady zum Teilschuldenerlaß für die Drittweltstaaten deren Regierungen in Argumentationsschwierigkeiten? Die eher verhaltenen Reaktionen auf Bradys Vorstoß - etwa auf der jetzt laufenden Konferenz der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) deuten darauf hin.

Wir erinnern uns: Viel Lob aus den Schuldnerländern erntete vor drei Jahren der damalige US-Finanzminister James Baker III. für den nach ihm benannten Plan: Knappe 30 Milliarden Dollar sollten an neuen Krediten für die 15 am meisten verschuldeten Länder mobilisiert werden, Hand in Hand von Weltbank und den internationalen Geschäftsbanken. Groß war die Enttäuschung in den Jahren darauf: Die Banken schraubten ihre Kreditvergabe drastisch zurück anstatt sie auszuweiten, gerade mal so viel für Feuerwehr-Umschuldungsmaßnahmen, um ihre kostbaren Scheinchen nicht bei einem Flächenbrand im Währungssystem zu verlieren. Aber immerhin: Noch gab und gibt es neue Kredite.

Der Bakerplan war im Ansatz aussichtslos. Was hätten die Neukredite von knappen 30 Milliarden Dollar über mehrere Jahre gestreckt bewirken können, wenn die verschuldeten Drittweltstaaten allein im vergangenen Jahr 43 Milliarden Dollar Zinsen und Tilgung (Rückzahlung) mehr an die Gläubigerländer entrichteten, als sie von ihnen erhielten. Trotz dieses gigantischen „Nettokapitaltransfers“ von Süd nach Nord war deshalb die Verschuldung der Drittweltstaaten nach Angaben der Weltbank 1988 auf 1.320 Milliarden Dollar angestiegen (gegenüber 1.281 im Vorjahr). Schätzungen des Münchner ifo-Institutes gehen gar von 1.600 Milliarden aus (1,6 Billionen). Spätestens jetzt ist also allen Beteiligten klar: Es handelt sich nicht um eine Liquiditätskrise der Dritten Welt, sondern um klare Tendenzen zur Pleite, die schon gar nicht durch neue Kredite abgewendet werden kann.

Wer wüßte dies besser als die Banker, zu deren Stand Nicholas Brady bis zu seinem Amtsantritt selbst gehörte? Warum sollten Vergleichslösungen wie kürzlich beim bankrotten US-Sparkassensystem nicht auch auf internationaler Bühne möglich sein?

Anfang März nun kam Brady mit seinen Vorstellungen heraus. Das neue: Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank sollen mit ihren eigenen Geldern bürgen, wenn die verschuldeten Staaten ihre Schuldscheine in längerfristige Anlagepapiere umwandeln, wie dies im Falle Mexikos bereits einmal praktiziert wurde. Noch weiter über seinen eigenen Bankerschatten ist Brady allerdings gesprungen, als er vorschlug, der IWF möge den Drittweltstaaten finanziell unter die Arme greifen, damit diese sich auf dem Markt für „gebrauchte“ (faule) Kredite zum Discountpreis mit ihren eigenen Schuldscheinen eindecken und sie selbst zerreißen können. Gerade diese Version der Schuldentilgung war der Bankenwelt bislang äußerst suspekt, öffnet sie doch den Schuldnerländern Tür und Tor für unbotmäßiges Verhalten, damit ihr spezielles Länderrisiko steigt, die Kreditwürdigkeit sinkt und somit die Abschläge beim Ankauf der eigenen Schulden noch größer werden. Die Banken sollten allerdings auch zum Verzicht bereit sein.

Jubel gab's auf den Brady-Vorschlag dennoch vor allem von einer Seite: Die Deutsche Bank bezeichnete den Brady-Plan schlicht als „toll“, wie es ihr Vorstandsmitglied Ulrich Weiss kürzlich in Luxemburg formulierte. Kein Wunder. Deutsche-Bank-Chef Herrhausen nervt seit zwei Jahren die Bankenwelt mit seinen Vorschlägen, man möge realistischer über Schuldenverzichte nachdenken. Schließlich praktiziere man sie gläubigerseits bereits seit längerem, indem man Schuldtitel mit Abschlägen an interessierte Kreise weiterverkaufe, die die Rest-Dollarforderungen in den Drittweltstaaten gegen Unternehmensbeteiligungen eintauschen.

Nur die Schuldnerländer selbst haben von den Verzichtsleistungen herzlich wenig. Kein Wunder aber auch deshalb, da doch die Deutsche Bank bei jedwedem umfassenden Schuldenabschlag gut dastände. Sie hat inzwischen nach eigenen Angaben 76 Prozent ihrer ausstehenden Schulden in der Dritten Welt „wertberichtigt“, das heißt sie könnten ohne Schaden für die eigene Bilanz abgeschrieben werden.

Inzwischen sind die US-Banken selbst nicht untätig gewesen. Hatten sie bei Verkündung des Bakerplanes gerade mal etwa zehn Prozent ihrer faulen Drittweltforderungen wertberichtigt, so geht man heute von etwa 30 Prozent aus, so daß es kein Zufall ist, daß Brady jetzt seinen Vorschlag enthüllte. Auch IWF-Boß Michel Camdessus begrüßte Bradys Initiative. Er hat sein ganz spezielles Interesse daran. Sollten sich die Mitgliedsländer seines Fonds mit dem Plan anfreunden, so müßten sie wohl oder übel auch der seit langem geforderten Kapitalerhöhung des IWF zustimmen, die bislang vor allem von den Vereinigten Staaten blockiert wird. Sein Institut würde mit erheblich mehr Finanzmitteln eine noch zentralere Rolle im Schuldenmanagement spielen die Bedingungen für etwaige Schuldenstreichungen könnten weiterhin vom IWF maßgeblich bestimmt werden.

Es gibt freilich genügend Gründe zu fundamentaler Kritik am Brady-Plan. Zum einen ist der Prozentsatz der Schulden, die damit bereinigt werden sollen, absolut ungenügend: für die kommenden drei Jahre etwa 70 Milliarden Dollar oder gut 20 Prozent der 340 Milliarden, die Lateinamerika zu bewältigen hat. Angesichts der heutigen Zins- und Tilgungszahlungen ist selbst diese gewaltige Summe ein Klacks. Zum zweiten ist er ganz klar auf den Hinterhof von Bradys Regierung, auf den südlichen Subkontinent ausgerichtet. Wie sich dagegen die afrikanischen Staaten, die bereits jetzt jenseits von Neukrediten oder Umschuldungen vor sich hin vegitieren, aus ihrem Elend befreien sollen, ist offenbar unwichtig - es geht um die Problemfälle für die US-Banken. Schließlich steht die Kapitalerhöhung beim IWF, an der dessen Mitwirkung hängt, in den Sternen.

Ein Forum hätten die lateinamerikanischen Staaten zur Zeit, diese Bedenken zu formulieren und auf konsequenteren Schuldenabbau zur Lösung des Gesamtkrisenwerks zu pochen: die Sitzung der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB). Doch was hört man seitens der lateinamerikanischen Regierungen? Zwar sei die Brady-Initiative ein energischer Neuanfang, aber Bedenken werden vor allem laut, daß der Teilschuldenerlaß der erste Schritt in die Richtung des Abhängens von Neukrediten sein könnte. Man verlangt nun vor allem „Sicherheiten dafür, daß der Kreditfluß nicht ständig unterbrochen wird“.

Keine Frage, die Sicherheiten der Regierungen in den verschuldeten Ländern hängen nun mal auch an Neukrediten, auch wenn sie vor allem für die Begleichung von Altschulden verwendet werden. Wovon jedoch sollten sie Energie- oder sonstwelche Prestigeprojekte, ganz abgesehen von Polizei oder Militärausrüstungen, bezahlen, wenn nicht von den Rinnsalen, die aus den einstigen Kreditflüssen übriggeblieben sind, doch noch einige Milliönchen abzuzweigen wären. Die Drittweltregieungen fürchten nicht ganz zu unrecht, daß im Sinne obiger Volksweisheit vor allem die Probleme der Banken, nicht ihre ureigenen angegangen werden. Anders als beim Bakerplan, der nach neuem Geld roch, machen sie wenig Aufhebens von der Brady-Initiative.

Die Kritik aus Lateinamerikas Hauptstädten richtet sich weniger auf die Halbherzigkeit, was die Größenordnung angeht, sondern auf neue Einschränkungen, mit der man sich konfrontiert sieht. Man wolle es nicht hinnehmen, daß wegen der neuen Bedingungen, die der IWF für sein finanzielles Engagement auferlegen wird, erneut nur die Drittweltstaaten die Anpassungslasten tragen müßten. Wichtigstes Anliegen der verschuldeten Regierungen bleibt es denn auch, daß die Industrieländer selbst „Anpassungsleistungen erbringen“, sprich ihre Grenzen für Drittweltimporte öffnen, damit der Kreislauf - mehr Exporteinnahmen, mehr Möglichkeit zur Schuldenrückzahlung, mehr Neukredite - wieder ungestört funkioniert. Dabei bleibt noch allemal mehr für die Administrationen in Brasilia, Buenos Aires oder Santiago übrig, als wenn großartige Schuldenstreichungen vorgenommen würden.

Kein Wunder, daß das 'Wall Street Journal‘ zum Wochenbeginn angesichts der derzeitigen Schuldner-Gläubiger-Beziehungen recht zynisch titelte: „Schuldnernationen hatten es noch nie so gut“ - wobei hier allerdings unzulässigerweise die Regierungen mit den Nationen gleichgesetzt wurden. Ein Gläubiger-Notenbanker brachte es auf der IDB-Konferenz auf den Punkt: „Die Banken können nicht Milliarden an Krediten abschreiben und dann ihren Akionären erklären, daß sie Milliarden in das gleiche Loch pumpen.“