Berlin: Die erste rot-grüne Polizeiaktion

Der Berliner Senat beschließt mit den Stimmen der AL-Senatorinnen die Räumung von sieben besetzten Gebäuden in Kreuzberg / Erster Knatsch in der AL  ■  Von U. Sieber und W. Gast

Berlin (taz) - Erste Belastungsprobe für das Berliner rot -grüne Bündnis: Gestern vormittag sind sieben Häuser besetzt und am späten Nachmittag von der Polizei wieder geräumt worden. Den entsprechenden Beschluß faßte der frischgewählte Senat auf seiner Sitzung am Vormittag, ohne daß es darüber zum Streit zwischen den SPD- und AL-SenatorInnen gekommen wäre. Als die Polizei eintraf, hielten sich die BesetzerInnen nicht nicht mehr in den Gebäuden auf.

„Die Linie des neuen Senats lautet: Keine neuen Besetzungen“, verkündete SPD-Bausenator Nagel auf der anschließenden Senatspressekonferenz und fügte dann hinzu: „Alle sieben Häuser werden polizeilich geräumt.“ Sie befänden sich in einem „ordentlichen Sanierungsverfahren“. Nagel: Der neue Senat werde es nicht hinnehmen, „daß ein ordnungsgemäßes Modernisierungsverfahren, bei dem Leerstände zur Systematik der Stadterneuerung gehören“, durch Aktionen gestört würde. Nach Angaben des Kreuzberger Mietervereins „SO36“ könne aber bei mindestens zwei der Gebäude von einem ordnungsgemäßen Verfahren nicht gesprochen werden. Die Besetzer könnten sich an der langen Schlange der Wohnungssuchenden nicht vorbeimogeln, meinte dagegen Nagel. Von daher habe der Senat zustimmend zur Kenntnis genommen, daß SPD-Innensenator Pätzold die Initiative ergriffen habe.

Der Alternativen Liste steht nun ein handfester Krach ins Haus. Sowohl im Basisbüro der AL als auch in der Pressestelle zeigten sich die MitarbeiterInnen „völlig entsetzt“ und „ganz von den Socken“, daß die von der AL bestellten Senatorinnen den Beschluß mitgetragen haben. Sauer stieß den BasisarbeiterInnen besonders auf, daß die Entscheidung ohne jede Rücksprache mit der Partei gefällt wurde. Vorgeworfen wird den Senatorinnen, daß sie es nicht einmal für nötig befunden hätten, ihnen den Beschluß vor der Senatspressekonferenz mitzuteilen. Auf einer Fraktionssitzung am Nachmittag sollte unter Ausschluß der Öffentlichkeit geklärt werden, „wie es passieren konnte, daß unsere Leute diesen Beschluß mitgetragen haben“. An der Senatsbesprechung hatte für die AL die Fraktionsvorsitzende Bischoff-Pflanz teilgenommen.

Der AL-nahe Kreuzberger Baustadtrat Orlowsky zeigte „Unverständnis“ für die Räumungsentscheidung. Der Senat jedenfalls habe ein Zeichen gesetzt: „Wie man das deutet, muß jeder alleine wissen.“ Sechs der sieben geräumten Häuser befinden sich im Bezirk Kreuzberg. Nur ein Gebäude war vollständig besetzt worden, in den übrigen hatten sich die BesetzerInnen in leerstehenden Wohnungen oder in den Seitenflügeln häuslich niedergelassen.

Ein Teil der Häuser befindet sich in Privatbesitz, die anderen in der Hand von städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Diese hatten in drei Fällen Strafantrag gestellt, die anderen Gebäude räumte die Polizei auf Grundlage des allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG). Der Senat habe jedoch die Absicht, jene Fälle „anders“ zu regeln, in denen die Besetzer „mit einem gewissen moralischen Anspruch“ auf Mißstände auf merksam gemacht hätten, betonte Nagel. Er verwies damit auf ein weiteres Haus, das bereits seit An Fortsetzung Seite 2

Ausführliche Berichte im Lokalteil

fang März besetzt ist. In diesem Fall hat der Eigentümer die Sanierungsarbeiten nicht durchgeführt. Er ließ das Haus verrotten.

Die Umweltsenatorin der AL, Michaele Schreyer, bestätigte, daß die Entscheidung im Senat einvernehmlich gefallen sei. Sie bitte darum, „die Differenzierung zur Kenntnis zu nehmen“, daß die sieben geräumten Häuser ordnungsgemäß modernisiert würden. Die AL stelle sich nicht schützend vor irgendwelche Profitinteressen, sondern vor die MieterInnen, die ihre Wohnungen für eine Modernisierung kurzfristig freigemacht hätten.

Ein weiteres, bereits am vergangenenen Donnerstag nur wenige Stunden nach der Vereidigung des neuen Senats besetztes Gebäude im Berliner Bezirk Charlottenburg soll nicht

geräumt werden. Es handelt sich dabei um das ehemalige Arbeitsschutzmuseum. In diesem Gebäude befand sich bislang eine Ausstellung zum Thema „Baudenkmale in Berlin“. Als Eigentümerin des Museums fungiert eigentlich die Bundesregierung; bis Anfang April liegt das Nutzungsrecht dieses Gebäudes jedoch in den Händen der neuen Umweltsenatorin.

Die mittlerweile rund 100 BesetzerInnen erklärten, sie wollten in diesem Haus „ein revolutionäres Zentrum“ errichten, in dem der „Kampf gegen das Patriarchat, das Kapital und den Imperialismus zusammenlaufen“ könne. Die AL -Senatorin zeigte gestern Verständnis für das Anliegen der BesetzerInnen, für kulturelle Basisarbeit mehr Platz und mehr Räume zur Verfügung zu haben. Der Senat bemüht sich jetzt um ein „alternatives Objekt“, das den BesetzerInnen für die Errichtung eines kulturellen Zentrums angeboten werden könne. Sie hoffe auf eine einvernehmliche Lösung.