: Doch kein Dobermann
■ Lars Norens „Eintagswesen“, Urauffführung in Kassel
In der ersten Regieanweisung schreibt Lars Noren, daß zu Beginn von Eintagswesen ein großer Dobermann zu sehen sein wird, „der sich unermüdlich, so hoch er kann, gegen das Netz seines Geheges wirft“. Also ab nach Kassel, wo nach Dähnerts Frauenbad in Dieppe und Wisniewskis Der schwarze Zug nun innerhalb kürzester Zeit eine dritte bemerkenswerte Uraufführung über die Bühne geht - nicht in der schwedischen Heimat. Noren wünschte sich Kassel, da Heinz Kreidl dort schon seine Stücke Nachtwache und Dämonen erfolgreich inszeniert hatte.
Ein Hund ist am Anfang schon zu sehen, aber kein Dobermann. Der Hund verschwindet, die „Eintagswesen“ kommen in das gestylte Ambiente, in dem sich Wände automatisch-leise bewegen und über dem ein Hauch von 68 liegt: Ein Lenin -Gemälde, irgendwo eine Gramsci-Fotografie, hier versuchen die inzwischen Etablierten, sich ihrer revolutionären Vergangenheit zu vergewissern. War da was, oder doch nicht?
David (Elmar Roloff) ist Theaterschriftsteller, er haßt Schauspieler und Bücher, sagt er. Ein Frauenheld, der die Frauen gewollt einfühlsam umschmeichelt. Ein schwatzhaftes Produkt seines Analytikers. Elmar Roloff spielt zu sehr nur den Kleinbürger, und vor allem Davids Schriftsteller -Attitüden müßten deutlicher von seiner Kleinkariertheit abgesetzt werden. Mareike (Patricia Harrison) hastet hinter ihm her, und das macht sie manchmal dumm. Eigentlich ist sie die intelligenteste in der Sechser-Runde, aber um neben dem zitatschwangeren David bestehen zu können, schleichen sich bei ihr immer wieder Halbbildungs-Floskeln ein. Henrik (Herwig Lucas) ist Journalist. Derzeit wird er in der Redaktion aufs Abstellgleis manövriert. Er säuft und zählt mit Mareike zum ehrlicheren, sympatischeren Teil der Abendrunde. Mit zunehmender Trunkenheit nehmen auch seine sarkastischen Kommentare zu. Seine Frau Elisabeth (Susanne Häusler) ist Sozialdemokratin in Schwedens Sozialministerium. Elisabeth hat eher etwas Unsymphatisches an sich und muß sich Haßtiraden von Anna (Sabine Wackernagel) gegen die Sozialdemokratie anhören. Anna allerdings - sie ist Abteilungsleiterin beim Fernsehen, und ihr letzter eigener Film will nicht fertig werden - kann in der Kasseler Inszenierung nicht so richtig hassen. Entweder müßte Sabine Wackernagel da noch einen Zahn zulegen, oder richtige Feindschaft darf nicht aufkommen, weil sich die beiden Frauen über die Grenzen hinweg doch irgendwie mögen. Anna und ihr Mann Vilhelm (Michael Hornig) sind Gastgeber. Er ist im diplomatischen Dienst tätig, hat Krebs und ist der Kaltblickende. Ein diplomatischer Manager, von Michael Hornig dann doch etwas zu routiniert gespielt.
Catch as catch can ist angesagt, könnte man denken, vor allem, weil Henrik/Vilhelm und Anna/David zudem noch Geschwister sind. Noren habe wieder einmal die Karten für eine seiner Zimmerschlachten gelegt. Und wie schon Mitte der achtziger Jahre könnten Deutschlands Kritiker unsanft und einig wie selten mit ihm verfahren. Damals erreichten Dämonen und Nachtwache Deutschlands Bühnen. Die Schlagzeilen lauteten „Psycho-Gemetzel“, „Ehehöllen, schick tapeziert“. Eine vernichtende Kritik in 'Theater Heute‘ endete mit der ungläubigen Feststellung, daß „einige Bühnenkünstler im heiligen Ernst“ Noren als einen neuen Strindberg sehen. Gemeint waren Regisseure wie Peymann, Zadek und Kirchner, die den „Strindberg im Aufgußbeutel“ bei uns eingeführt hatten.
Wahrscheinlich wäre die deutsche Theaterwelt seinerzeit trotzdem in Ordnung geblieben, hätte der Schwede reinen Boulevard nach Deutschland exportiert. Aber Noren deutete in seinen boulevardesken Spielen Tiefe an, und der wollte man nicht trauen.
Zu Recht. Denn seine Figuren geben vor allem Auskunft über ihre Obsessionen und Verkrümmungen, und Noren ist ein Meister, solange er nur das Sprechen hierüber arrangiert. Sobald er aber versucht, diesen Gehalt symbolisch zu überbieten, verliert er sich in Untiefen. Nach Eintagswesen wird eine andere Diskussion einsetzen. Denn Lars Noren hat das Terrain dramaturgisch einfach gestrickter Paar-Doppel verlassen. Die Streit-Dialoge aufeinander einprügelnder Paare fehlen in Eintagswesen weitgehend, die Figuren sind vereinzelt. Er behauptet nicht mehr, daß Prügeln an sich schon eine Qualität ist, und es entspinnen sich bis zu drei Gespräche, in die jeweils Fetzen der parallel laufenden Gespräche eindringen. Das färbt den psychologischen Realismus Norens, als legte sich ein Schleier über die „Wirklichkeit“ der Gespräche seiner Figuren. Seine Dramatik wird dadurch besser befördert als durch symbolische Überladungen.
In der Kasseler Uraufführung wird das geschickt in Szene gesetzt. Heinz Kreidl inszeniert seine Schauspieler über weite Strecken als Schattenwesen. Vor allem Patricia Harrison, Susanne Häusler und Herwig Lucas reden und entwickeln in ihrem gestischen Spiel, was Noren seinen Figuren an Psychologie mitgegeben hat. Pausen und Irritationen im Redefluß - das spricht für sich.
Gegen Ende aber werden die Eintagswesen von ihren guten Geistern verlassen. Noren will doch noch, daß sich seine Figuren entblößen. Selbst der bis dahin so souverän -sarkastische Herwig Lucas springt plötzlich nackt auf der Bühne herum, und das paßt nicht mehr. Das Stück ist eigentlich schon fertig, aber unglücklicherweise holt Noren noch einmal Luft. Aus einem guten Langstreckenlauf wird ein Marathon mit Erschöpfungserscheinungen - auch die Inszenierung fällt ab. Vielleicht ist Lars Noren selbst ins Zweifeln geraten, denn er läßt Mareike über die Stücke Davids sagen: „Er läßt die Leute reden und reden, ohne aufzuhören.“ Selbstironie ist gut, Streichen ist besser.
Jürgen Berger
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