Nichts ist Idylle

■ XI. Internationales Frauenfilmfestival in Creteil

Creteil ist ein Monster, eine Satellitenstadt. Östlich von Paris hatten ihre weltfremden Konstrukteure an Land gehen wollen. Sie haben Weltraumschiffe fallen lassen und sich davon gemacht. Eines dieser hinterlassenen architektonischen Wunderwerke ist das Kulturzentrum „Maison des arts de Creteil“. Die einstündige Anreise nach Creteil mit der Metro ist beschwerlich, der anschließende Fußmarsch durch Parkhaus, Einkaufszentrum und Fußgängerzone erinnert vor allem nachts und besonders Frauen an einen schlechten Kriminalfilm. Krimis werden von Frauen kaum realisiert. „Frauen machen weniger traurige Filme, dafür mehr Komödien und Filme mit großem Budget als früher“, sagen die langjährigen Veranstalterinnen Elisabeth Trehard und Jackie Buet. „Sie betrachten nicht mehr nur sich selber, sondern die ganze Welt.“

Das mag für weiße Regisseurinnen gelten. Die schwarzen Filmemacherinnen, denen in diesem Jahr eine eigene Veranstaltungsreihe unter dem Titel Images de femmes noires (Bilder schwarzer Frauen) gewidmet war, beschreiben dagegen anschaulich, wie sie viel zu lange statt auf sich nur auf die anderen gestarrt haben. In Hair Piece von Ayoka Chenzira, Coffee Coloured Children von Ngozi A. Onwurah und Perfect Image von Maureen Blackwood zeigen sie mit viel Selbstironie und traurigem Spott, wie sie mit Ata auf ihrer Haut herumschrubbten, bis sie blutete, wie sie davon träumten, ihre krausen Haare einmal im Winde flattern zu lassen und dafür Brennstäbe und andere kosmetische Foltern in Kauf nahmen, satirische Lektionen in Wie-lerne -ich-es-mich-schön-zu-finden. Drei Kurzfilme. Hair Piece ist eher ein Animationsfilm, der mit kindlichen Zeichnungen oder Zeitungsausschnitten arbeitet. Der satirische Kampf gegen die Lockenpracht ist unermüdlich, dabei rollen die schwarzen Augen in den naiven Zeichnungen heftiger, als es jeder Bilderbuch-Onkel-Tom erlauben würde. Keine der überwiegend in den USA oder England lebenden schwarzen Regisseurinnen hat Mittel für richtige Spielfilme gefunden. Und nur ganze drei schwarzafrikanische Filmemacherinnen seien ihnen namentlich bekannt, sagen die Organisatorinnen.

Das Festival ist groß geworden, überbordend. Allein elf Spielfilme, 14 Dokumentarfilme und 27 Kurzfilme laufen im Wettbewerb, dazu die Reihe von Filmen schwarzer Regisseurinnen, die frühen Fernsehfilme von Liliana Cavani, eine Retrospektive von Filmen mit der Schauspielerin Delphine Seyrig (meist von Männern fabriziert), eine historische Werkschau der Filmpionierinnen Matilde Landeta, Shirley Clarke und Nell Shipman, Videos der kanadischen Filmemacherinnen... Die Veranstalterinnen in Creteil treffen eine qualitative, aber keine inhaltliche Auswahl. Sie zensieren nicht feministisch, was viele der gezeigten Filme ausschließen würde. Sie zeigen ganz einfach Filme von Frauen. Männer sind sowohl in der Jury, in der Organisation wie im Publikum dabei. Keine Krimis, keine Western, keine Rambos, was müßten Frauen im Film nicht noch alles dazu lernen, was sie in der Literatur längst aufgeholt haben! Eines ihrer Lieblingsthemen heißt dafür Kindheit.

In Australien erzählt sich diese mit einer besonderen Variante. Die Kaninchenvernichtungskampagne, die dort in den 50er Jahren stattgefunden hat, scheint eine ganze Mädchengeneration traumatisiert zu haben. Gleich zwei Filme in Creteil verarbeiten dieses Ereignis. Rabbit on the moon von Monica Pellizzari, ein halbstündiger Film, spielt im italienischen Einwanderermilieu. Mit einer Kaninchenliebe hängt das Mädchen an den Tieren, zu denen sie sich verzieht, wenn sie traurig ist. Die Familie spricht zu Hause italienisch, hält auf katholische Sitten, und als die Mutter ihre Tochter beim Comiclesen erwischt, jagt sie sie um den Küchentisch. Die Tochter rettet sich unter den Tisch, die Mutter schaut herunter - die Kamera filmt aus der Perspektive des Mädchens, blöd sieht so ein Gesicht von unten betrachtet aus und albern fallen der Mutter die Haare vom Kopf herab. Die Autorität ist dahin. Wenig später sieht man die Mutter spät abends mithilfe des Comics Englisch lernen. Ein warmer und komischer Film.

Auch Celia, die blondzopfige Heldin des gleichnamige Films von Ann Turner (der in der Berlinale zum ersten Mal gezeigt wurde), wünscht sich sehnlichst ein Kaninchen. Sie Bekommt es auch von ihrem Vater unter der Bedingung, daß sie nicht mehr mit den Nachbarskindern spielt. Deren Eltern sind nämlich Kommunisten und außerdem ist Celias Vater auf Alice, die Nachbarin scharf. Frustriert verpfeift er den Ehemann beim Arbeitgeber. In der Folge gehen Hexenjagd auf Kommunisten, Jagd auf Feld- und Hauskaninchen, reelle Jagd der Erwachsenen und symbolische Hexenverbrennung der Kinder wild durcheinander. Bis Realität und Phantasie nicht mehr auseinanderklaffen, und ein Schuß aus der versehentlich geladenen Jagdflinte von Celias Vater ihren Erzfeind, den Polizisten und Kaninchenbeschlagnahmer Burke, tötet. Celia wird krank, verdrängt sie den von ihr ausgelösten tödlichen Unfall? Wieder gibt ein Spiel, das Ernst ist, die Antwort: Wir-bestrafen-den-Mörder. Nicht Celia ist es, nein, sie läßt ihre kleine Kameradin grausam bestrafen. Ann Turner hat mit Celia, die zwar wie ein Engel aussieht, aber ein kleiner Teufel ist, eine Figur geschaffen, die das Märchen von der unschuldigen Kindheit Lügen straft. Ihr Film erhielt in Creteil den Preis der Jury.

Die Italienerin Adriana Monti nimmt in ihrem ersten Spielfilm Gentili Signore ein Thema auf, das sonst im Dokumentarfilm abgehandelt wird. Frauen in einer Vorstadt von Mailand tun sich in einer Kooperative zusammen, sie entwerfen Stoffe. Die Arbeit verbindet sie auch privat. Zu Beginn des Films machen sich die fünf Frauen verschiedenen Alters für den Wochenendball zurecht, albern herum, zeigen sich die glitzerden Fummel. Schon die Wahl der Kleider führt in die Charaktere der Frauen ein, die keineswegs nur harmonisch miteinander auskommen. Da ist Ermenia, die herbe Sechzigjährige, die so gern und gut mit Schwulen flirtet, tanzt und scherzt. Da ist Vanna, die mit dem Ehemann ihrer besten Freundin Amelia ein Verhältnis anfängt. Amelia als Vorsitzendende der Kooperative hat finanzielle Sorgen der verschlampten Buchführung wegen. Nichts ist Idylle, und gerade deswegen wirkt die Komplizität der Frauen so vital, so ansteckend.

Sabine Seifert