Afrikanische Bilder

■ Zum Panafrikanischen Filmfestival in Ouagadougou

Malte Rauch

Ouagadougou, eine Stadt am Südwestrand der Sahelzone, wie sie auch Hollywood in seinen teuersten Produktionen nicht lebendiger inszenieren könnte: Strahlende, freundliche Menschen, die auf Tausenden von Mopeds ein farbenfrohes Ballett auf die Straße zaubern; ein Markttreiben in staubigen Fußgängerzonen, das mit seiner kulturellen Vielfalt und seiner vitalen Urbanität die millionenschweren Kulturdezernenten europäischer Metropolen vor Neid erblassen lassen müßte. Seit 20 Jahren ist Ouagadougou Hauptstadt des afrikanischen Films, Ort des alle zwei Jahre stattfindenden „Festival Panafricain du Cinema de Ouagadougou“ (Fespaco), dem einzigen Filmfestival Schwarzafrikas.

„Kino und wirtschaftliche Entwicklung“ ist das Motto des diesjährigen Festivals, das der tunesische Filmkritiker Ferid Boughedir mit den Worten begrüßte: „Einmal mehr beweist eines der ärmsten Länder unseres Planeten, daß Entwicklung nicht nur Brot bedeutet, sondern vor allem auch afrikanische Identität.“ Ouagadougou ist die Hauptstadt des Landes, das sich von der französischen Kolonialbezeichnung Ober-Volta in Burkina Faso umbenannt hat: Land der Aufrechten. Die Besucher der elften Panafrikanischen Filmfestspiele begrüßt vor dem Flugplatz eine überdimensionale Tafel, auf der eine ebenso freundliche wie frech dreinblickende Burkinabe (so nennen sich die Bewohner) verkündet: „Bourkina n'est pas a vendre“ - Burkina ist nicht zu verkaufen.

Und doch geht es bei dem Festival um den Verkauf von Filmen, denn wie alles in Afrika, was nicht bloßes Anhängsel des Marktes der Industrieländer sein will, mangelt es auch der afrikanischen Filmindustrie an Mitteln. Alle sprechen in „Ouga“ davon: die großen, inzwischen weltbekannten Filmemacher wie Souleymane Cisse aus Mali oder Sembene Ousmane aus dem Senegal, aber auch die Jüngeren, etwa Gaston Kabore aus Burkina, der seinen Film Zan Boko zeigte, oder Kwaw Hausah, dessen Film Heritage Africa als einer der wenigen einen rein afrikanischen Vorspann vorweisen konnte und der auch prompt den Hauptpreis gewann. Sembene Ousmane hat über sieben Jahre gebraucht, bis er seinen neuesten Film machen konnte. Camp de Thiaroye, die Geschichte einer Gruppe von afrikanischen Soldaten, die an der Seite der Alliierten gegen die Nazis gekämpft hatten, zum Teil in Buchenwald und anderen KZs saßen; im Lager von Thiaroye im Senegal sollen sie ausgemustert werden, um in ihre Dörfer zurückzukehren. Doch von Seiten der französischen Offiziere schlägt ihnen nicht nur jener subtile - sehr aktuell wirkende - Rassismus entgegen, am Ende werden sie von der französischen Regierung um ihren Lohn betrogen und schließlich bestialisch umgebracht.

Sembene Ousmane und sein Co-Autor Thierno Sow werden noch sehr viel mehr Mittel brauchen, um diesen - schon aus historischen Gründen - bahnbrechenden Film ans große Publikum zu bringen (Er lief bereits auf den Filmfestivals in Venedig und Berlin, d.Red.). Dabei mangelt es dem Film in Afrika nicht an Zuschauern. Bei den Vorführungen in Ouagadougou haben ihn Tausende von zahlenden Zuschauern gesehen, und auch im Senegal spielt er seit Monaten vor ausverkauften Häusern. Was fehlt, ist eine afrikanische Produktions- und Vetriebsstruktur. Der Versuch, von Regierungsseite einen Teil der Einnahmen an den Kinokassen in die Produktion und den Vertrieb afrikanischer Filme zu leiten, statt damit weiterhin Hollywood, Bombay und Hongkong zu bereichern, funktioniert eigentlich nur noch in Burkina Faso. In fast allen anderen Ländern scheiterten die entsprechenden Institutionen an Fraktionierungen, der Bürokratie oder - wie z.B. in Guinea - an der alles verschlingenden Korruption. So sehen Millionen von Afrikanern weiterhin hauptsächlich ausländische Billigfilme, oft nicht einmal untertitelt.

Tunesien, einst leuchtendes Beispiel auf diesem Gebiet, wegen seines mit Ouagadougou alternierenden Festivals von Carthago, aber auch wegen seiner vorbildlichen Film- und Kinopolitik, ist seit einigen Jahren auf dem Weg zur Bedeutungslosigkeit. Fasziniert von westlichen Marktideen wurde die staatliche Filmgesellschaft „Satpec“, die alle tunesischen Filme produziert oder co-produziert hat und die eine kulturell vorbildliche Kinokette im ganzen Land betrieb, „saniert„; nach denselben Kriterien wie irgendein rein industrielles Unternehmen. Ergebnis: die Produktion von Filmen wurde eingestellt, die Kinos verkauft, selbst das sehr gut gehende Kopierwerk (wo Filme wie PolanskisPiraten entwickelt wurden) wurde privatisiert. War es das einzige in Afrika?

Für die größer werdende Gruppe von afrikanischen Filmemachern, deren Vitalität und Kreativität sich selbst bis zu den europäischen Kulturpäpsten herumgesprochen hat, ist Ouagadougou eine der wenigen Hoffnungen. Als das Fespaco 1969 als „Woche des afrikanischen Films“ begann, waren gerade vierzehn afrikanische Produktionen zu sehen, meist Kurzfilme. Dieses Jahr nahmen über 80 afrikanische Filme am Wettbewerb teil, viele davon Spielfilme. Über 200 Filme, die meisten afrikanisch, wurden von circa einer halben Million Zuschauer gesehen. Seinen bisherigen Höhepunkt hatte das Festival vor zwei Jahren, als nicht nur die afrikanischen Filmemacher, sondern Kulturschaffende aus der ganzen Welt Gäste des Fespaco und seines größten Förderers, des jungen Offiziers und Präsidenten Thomas Sankara, waren. Auf einem der größten Plätze Ouagadougous, der von da an „Platz des afrikanischen Filmemachers“ hieß, entstand das „Denkmal des Films“, ein interessantes, wenn auch etwas pompöses Gebilde, eine Mischung aus afrikanischem Lebensbaum und europäischem Mini-Fernsehturm, eine Art Totem aus stilisierten bunten Filmbüchsen.

Thomas Sankara, der Hoffnungsträger progressiver Afrikaner (nicht nur der Filmemacher) und Titelheld internationaler Dritter-Welt-Zeitschriften ist tot. „Ermordet von seinem Kampfgefährten und Nachfolger im Dienste des Imperialismus“, so Jean Zigler und andere, „bei sich zuspitzenden Fraktionskämpfen und militärisch ausgetragenen Konflikten umgekommen“, sagen andere. Ein Stoff für kommende Spielfilme oder besser noch Dokumentarfilme, bisher aber kaum recherchiert; die Filmemacher jedenfalls - viele davon überzeugte Vertreter der Prinzipien Thomas Sankaras wollten das Festival deshalb nicht boykottieren. „Wir müssen lernen, unsere wichtigsten Institutionen von Personen, Machtgruppen und Regimen abzukoppeln“, sagte einer, wobei ein weiteres sehr verbreitetes Argument war, daß kaum einer die komplizierten Machtstrukturen der afrikanischen Regime oder seines Nachfolgers Blaise Compaore zu durchschauen vermag.

Europäischen Beobachtern fällt das noch schwerer. Der abendländische Kulturbetrieb interessiert sich kaum für afrikanische Details. Auf geradezu fundamentalistische Weise hält er Berlin und Cannes für die einzig seligmachenden Mekkas des weltweiten Filmschaffens. Als wir - ohnehin wegen eines eigenen deutsch-afrikanischen Dokumentarfilms nach Ouagadougou eingeladen - den deutschen TV-Kulturmagazinen einen kurzen Bericht anboten, reichten die ablehnenden Begründungen von „Da hatten wir schon einmal vor Jahren was“ (WDR) über „Leider haben wir kein Geld, weil unser Etat gekürzt wurde“ (HR) bis „Wir sind vollkommen mit Berlin ausgebucht“ (ZDF).

Immerhin, einige der jüngeren Filmemacher wie Amadou Saloum Sek mit seinem Film Saaraba oder der schon bekanntere Filmemacher aus Burkina Faso, Idrissa Oudreaogo mit seiner wunderbaren Geschichte zweier Kinder auf einem Dorf am südlichen Rand der Sahelzone - Yaaba - konnten mit finanzieller Unterstützung von Channel 4 in London und dem kleinen Fernsehspiel in Mainz arbeiten.

„Unsere Filmemacher sind die modernen Nachfolger der abendlichen Geschichtenerzähler“, sagt uns Philippe Sawadogo, Filmsoziologe und Leiter des Fespaco, „die meisten der Filme sind beim afrikanischen Publikum auch ebenso populär, wenn sie eine Chance bekommen, überhaupt zu einem Publikum zu gelangen“. Dann sagte Philippe Sawadogo etwas, was auch europäischen Filmschaffenden den Kern des Problems klarmachen und vielleicht ein Anreiz zur Zusammenarbeit sein könnte: „In der Stunde der Satelliten ist es absolut lebensnotwendig, die Produktion der eignen, der afrikanischen Bilder zu verteidigen.“

Malte Rauch