Polen vor dem historischen Kompromiß

■ Der Sejm berät über das Verhandlungsergebnis des runden Tischs /Aus Warschau Klaus Bachmann

Zugeständnisse auf beiden Seiten: Solidarnosc, die unabhängige Bauerngewerkschaft und die Studentengewerkschaft werden anerkannt. Über die Verhängung des Kriegsrechts wurde nicht verhandelt, auch eine pauschale Rehabilitierung ist nicht vorgesehen. An der Gewerkschaftsbasis regt sich bereits heftiger Widerstand gegen das Verhandlungsergebnis und gegen die Gruppe um Walesa. Am 3. April wollen Vertreter von Regierung und Opposition den „Gesellschaftsvertrag“ unterzeichnen.

Solidarnosc müsse sich entscheiden, ob sie eine politische Partei oder eine Gewerkschaft sein wolle, hat Polens Premier Mieczyslaw Rakowski bei seinem letzten Besuch in der Bundesrepublik erklärt. In gewisser Weise hat nun der runde Tisch die Antwort auf diese Frage gebracht. Nicht nur, daß die Gewerkschaftler am runden Tisch besonders hart verhandelten, wenn es um Gewerkschaftsthemen und die Wirtschaftspolitik ging, Arbeiterführer Walesa hat auch deutlich gemacht, daß Solidarnosc als Organisation sich an Wahlen nicht beteiligen werde.

Offen ist, ob Solidarnosc einzelne Kandidaten unterstützen wird, doch ist dies auch eine Frage, die die einzelnen Gewerkschaftszellen vor Ort entscheiden müssen. Der Weg von Solidarnosc von einer politischen Bewegung zu einer Gewerkschaft scheint auch in den Stellungnahmen von Solidarnosc-Sprecher Janusz Onyszkirewicz durch, wenn er etwa die Frage der Lohnindexierung zu einer conditio sine qua non des runden Tisches macht. Politische Zugeständnisse fielen Solidarnosc von daher leichter als wirtschaftliche, weil besonders all jene Arbeiter in den Betrieben, die ihren Unmut schon in den letzten Wochen durch wilde Streiks Ausdruck verliehen, das Ergebnis des Dialogs und die zukünftige Praxis einer Verständigungspolitik von Solidarnosc und Regierung gefährden können.

Vor Beginn des runden Tisches hatte zahlreiche Vertreter der Opposition erklärt, unter pluralistischen Bedingungen stelle Solidarnosc keine direkte Bedrohung für die Staatsmacht mehr dar. Viele der Themen, die Solidarnosc 1980 als quasigesamtgesellschaftliche Vertretung übernommen hatte, befinden sich inzwischen in anderen Händen, und konsequenterweise sprechen Oppositionelle auch nicht mehr von „Regierung und Solidarnosc“, sondern von der „Regierungskoalition“ und der „Oppositions- und Solidarnosc -Seite“.

Klar ist, daß sich keine Monolithen mehr gegenübersitzen. Während der Debatten sind sehr harte Meinungsverschiedenheiten etwa zwischen Regierung und offiziellen Gewerkschaften (OPZZ) deutlich geworden und zwischen PVAP und deren Bündnisparteien. Auch innerhalb der Opposition hat Solidarnosc keinen Alleinvertretungsanspruch mehr. Das gilt nicht nur für die radikalen politischen Gruppierungen KPN und PPS oder kämpfende Solidarnosc, die teilweise der Solidarnosc-Delegation das Recht absprechen, in ihrem Namen zu reden, sondern auch innerhalb der gemäßigten Opposition. Zudem sind seit 1981 unzählige unabhängige Gruppen, Organisationen und Initiativen entstanden, deren jetzt in Aussicht gestellte Legalisierung den Differenzierungsprozeß innerhalb der polnischen Opposition weiter vorantreiben wird.

Vielleicht ist es Solidarnosc auch aufgrund dieser Entflechtungen leichter gefallen, auf bestimmte, in Polen sehr wichtige symbolische Zugeständnisse zu verzichten. So hat man sich mit der Gegenseite darauf geeinigt, daß es keine Relegalisierung, sondern nur eine Legalisierung der Gewerkschaft geben wird.

Das ist nur auf den ersten Blick Haarspalterei. Wiederzulassung statt nur Zulassung hieße nämlich für die derzeitige Parteiführung unter General Jaruzelski, das Eingeständnis, daß die Verhängung des Kriegsrechts ein Fehler war und daß damit sämtliche damit zusammenhängenden Maßnahmen nichtig sind. Damit wiederum müßten alle Repressionen des Kriegsrechts wiedergutgemacht, die Entlassenen wieder eingestellt und die Verurteilten rehabilitiert werden. Mit diesen Forderungen ist Solidarnosc auch in die Verhandlungen gegangen, herausgekomen ist sie jedoch mit einer Lösung, die es der Staatsmacht erlaubt, das Gesicht zu wahren. So wird es zwar Einzelüberprüfungen geben für diejenigen, die wieder in ihren angestammten Betrieb zurückkehren wollen, aber keine pauschale Rehabilitierung.

Ein Teil jener Vereinigungen, die 1983 aufgelöst wurden, der Schriftsteller- und Journalistenverband, können sich aufgrund des neuen und wesentlich liberaleren Vereinsrechts erneut gründen, selbst mit den alten Statuten, aber dies wird formal keine Relegalisierung sein. Damit ist, auch wenn es in der Praxis keinen Unterschied macht, jene Bedingung von General Kiszczak erfüllt, die da lautet: keine Rückkehr zu 1980.

Adam Michnik: „Natürlich bleioben wir bei unserer Ablehnung des Kriegsrechts, und natürlich bleibt die Regierungsseite bei ihrer Ansicht, das Kriegsrecht sei notwendig gewesen. Aber es wäre sinnlos gewesen, zu versuchen, darüber eine Einigung zu erzielen.“

Natürlich habe man nicht alles erreicht, gibt er zu: Keinen Zugang zu Radio und Fernsehen im geforderten Ausmaß, keine Abschaffung der Nomenklatura. Auf der anderen Seite stehen Resultate, für die Solidarnosc acht Jahre lang gekämpft hat: die Zulassung der Gewerkschaft und der Bauernsolidarität, des NZS, ein wesentlich liberaleres Vereinsrecht, das praktisch Parteienpluralismus zuläßt, teilweise freie Wahlen, eine eigene Presse. „Man kann natürlich sagen, das ist wenig“, meint Michnik, „aber wenn mir einer vor einem halben Jahr gesagt hätte, daß wir das alles erreichen werden, hätte ich die Ambulanz gerufen und gesagt, der Kerl ist übergeschnappt.“

Noch Ende letzten Jahres hatten viele Oppositionelle erklärt, eine Verständigung sei erst möglich, wenn die damalige und jetzige Führungsrige unter General Jaruzelski ausgewechselt sei. Seither scheint das einzige, was sich in der Partei nicht verändert hat, die Zusammensetzung der Führungsgruppe um Jaruzelski, Verteidigungsminister Siwicki, Innenminister Kiszczak und Premier Rakowski zu sein. Das ist wohl auch das bemerkenswerte am runden Tisch: daß er zum erstenmal den Versuch der Verständigung darstellt, der von der Parteiführung voll gebilligt wird. Doch darin liegt auch eine Gefahr: daß die Basis auf beiden Seiten, die unzufriedenen Arbeiter in den Betrieben und die überraschte und desorientierte Parteibasis auf der anderen Seite die Verständigung zunichte macht.