„Lummer und Ströbele - es ist der gleiche Abwasch“

■ Bommi Baumann (42), Mitbegründer der „Bewegung 2.Juni“, zu den jüngsten Hausbesetzungen in Kreuzberg und Räumungen durch den rot-grünen Senat / Ein Gespräch über Randale, die Stimmung im Kiez und den Hungerstreik

taz: Wie stehst du dazu, daß am Dienstag ein Haufen Häuser hier in Kreuzberg besetzt worden sind?

Bommi Baumann: Voll dafür.

Und einen Unterschied, daß es sich bei den Häusern zum Teil um Sanierungsleerstand handelt, machst du nicht?

Gut, da waren vielleicht welche drunter. Aber das Haus da drüben, Cuvrystraße 35, ist seit Jahren eine reine Spekulationsruine von Kaußen und Data, also wirklich den Schlimmsten.

Also Cuvrystraße 35 ist voll gerechtfertigt, und was ist mit den anderen?

Ich bin den ganzen Tag unterwegs gewesen und habe mit vielen Leute geredet. Ich habe mir das angesehen, ich war vor jedem Haus, das sie geräumt haben, bis abends bei der Randale immer dabei. Die einhellige Meinung war, die Besetzungen waren voll in Ordnung. Nur daß sie so schnell räumen würden, damit hatte keiner gerechnet.

Wie ist jetzt die Stimmung?

Tierisch sauer. Also auch die einfachen Leutchen, hier sind so ziemlich alle sauer, weil das nicht angeht. Ich suche selbst eine Wohnung, ich kenne das Problem, das ist echt schwer.

Also Rot-Grün hat im Kiez jetzt schlechte Karten?

Aber voll. Ich meine, hätte hier ein AL-Laden gestanden, den hätten sie auch plattgemacht, die Devise war wirklich: AL und SPD angreifen. Also hier in den Straßenzügen sollte man besser nicht sagen: Ich bin für Rot-Grün. Was dabei rausgekommen ist, ist: Bonzen sind Bonzen, ob die sich nun Ströbele nennen oder Lummer, es ist der gleiche Abwasch.

Warum waren dann nur hundert Leute bei der Randale dabei?

Also den ganzen Tag war hier unheimlich was los, da kamen noch zig Leute aus der U-Bahn und haben gefragt: Wo ist hier was los. Daß abends nur hundert Leute dabei waren, lag daran, daß nur ein bestimmter Kern Bescheid wußte. Also nicht wieder so ein Riesenmeeting, wo der Staatsschutz auch schon da ist. Den ganzen Tag sind hier ja Zivis rumgegeistert, mehr als Uniformierte. Die Hälfte, die sie angekarrt haben, waren Zivis, ganze Wannen voll.

Wie war Rot-Grün denn vorher angesehen?

Die Hardliner sind eh dagegen, das ist klar. Was soll sich auch groß ändern? Also eine große Hoffnung knüpft da von Hause aus niemand dran, ich auch nicht.

Meinst du mit niemand die Autonomen?

Das sind nicht mehr die klassischen Autonomen. Da sind viele jungsche Kids, aber auch alte und ganze alte Leute. Richtige Rentner sind dabei gewesen. Omas haben sich gefreut und gesagt „wir sind ewig von diesem S0 36-Laden verschaukelt worden, jetzt haben sie dem auch mal die Scheiben eingeschmissen, na wunderbar“.

Wie wird's denn jetzt weitergehen deiner Meinung nach hier im Kiez?

Hier eine Prognose zu stellen, das geht gar nicht, weil man gar nicht weiß, wie sich die Situation entwickelt. Ein bißchen ratlos, wie es weitergehn soll, sind die Leutchen auch, die die Besetzung gemacht haben. Die haben sich ja auch total verspekuliert, weil sie im Leben nicht gedacht haben, daß sie so schnell geräumt werden. Die Besetzer waren ziemlich jungsche Leute, das ist nicht dieselbe autonome Szene von vor zwei oder drei Jahren. Das fing schon beim IWF an, zum Beispiel die, die in der Krummen Straße die ganzen Banken eingeschmissen haben, die haben mit den alten Autonomen nicht viel am Hütchen. Und die Schülergruppen, die militant sind und die Kubat-Kids, die wollen von denen gar nichts. Für die sind die alten Autonomen nämlich auch schon Laberköppe. Die 14jährigen Kids waren es, die, als die REPs im ICC tagten, auf die EbLT losgegangen sind. Die Besetzer waren ziemlich jung. Die älteren Autonomen standen hier auf der Straße, die sind dazugekommen als Unterstützer, aber sie waren nicht in dem Haus drin.

Es wurde auch vermutet, daß die Häuser besetzt wurden, um den neuen Senat zu provozieren?

Das war ein spontanes Ding, um zu zeigen, wie sauer man ist. Natürlich haben sie die Häuser besetzt, weil sie drinnen bleiben wollten. Viele von denen hängen wirklich auf der Straße, die haben nichts. Es ist berechtigt, wenn sie sich ein Haus holen. Wenn es einen Regierungs-Wechsel gibt, das ist doch klar, daß alle darüber diskutieren, welche Möglichkeiten sich daraus ergeben. Daß da welche auf die Idee gekommen sind, vielleicht können wir uns hier easy ein Haus holen, das ist doch ganz legitim. In der Sorauer Straße, daß sind alles Alkis gewesen, die das Haus besetzt hatten.

Also deiner Ansicht nach haben sich die Leute schon vor der Räumung nichts von Rot-Grün versprochen?

Also wenn du richtig politisch denkst, was willst du dir davon versprechen, ich halte diese ganze Koalition sowieso für Unsinn.

Es gibt doch vieles, was in Berlin durch Rot-Grün besser werden könnte. Machst du keinen Unterschied zwischen der CDU und dem, was SPD und AL vorgelegt haben?

Für mich persönlich ist das nichts weiter, wie das, was '69 gemacht wurde, als die sozialliberale Koalition rangekommen ist. Damals haben sie den SDS, die linke Studentenbewegung aufgekauft, und jetzt kaufen sie die ganze Alternativszene auf: Um ein funktionierendes System zu garantieren, mußt du halt diese Leutchen integrieren. Das ist ihnen gelungen. Aber überlegt doch mal, was los ist, wenn jetzt einer im Hungerstreik verreckt. Das kriegen sie nicht mehr unter Kontrolle, was wollen sie denn sagen, wollen sie alle Bulleneinsätze absegnen.

Beim Hungerstreik könnte der Senat einen Vorstoß in Richtung Zusammenlegung unternehmen. Dafür wäre es allerdings höchste Zeit.

Dann sollen sie sich offen hinstellen und das jetzt sagen. Dazu haben sie noch zwei, drei Tage Zeit. Es geht hier um Tage. Dellwo hat fast alle Hungerstreiks mitgemacht, an irgendeinem Punkt geht das für einen, der das einige Male mitgemacht hat, rasend schnell. Da irren sich dann auch die Ärzte.

Dellwo und Eckes hungern heute in der siebten Woche.

Die sind an der Kippe! Das ist genau Ostern. Ostern Berlin, da geht der Wahnsinn los.

Was glaubst du wird hier im Kiez los sein, wenn der erste im Hungerstreik stirbt?

Hier im Kiez randalemäßig vielleicht gar nicht so viel. Es wird sich wohl an den Ku'damm verlagern oder vors Springerhaus. Daß sie hier die Scheiben eingeschmissen haben, lag daran, daß die Aktion sehr spontan war. Es ging darum, ein Zeichen zu setzen, das jeder versteht.

Was für ein Zeichen?

Daß sie sich bitteschön mit den Leuten auseinandersetzen müssen. Was werden sie jetzt mit diesem Leila-Khaled-Zentrum machen?

Du meinst die AL?

Ja. Das hätten sie genau vorher wissen müssen, was sich hier zusammenbraut. Das ist doch ein maroder Laden, daß ist doch sinnlos.

Du meinst, sie sind wahnsinnig, daß sie mit der SPD angetreten sind.

Ja. Ich halte das für politisch falsch. Sie hätten einen SPD-Senat tolerieren sollen.

Was sagst du zu der Einschätzung, daß der Senat glaubte, Stärke zeigen zu müssen, um der Springer-Presse und den Rechten den Wind aus den Segeln zu nehmen?

Das Problem Springer, das löst sich nur per Gewalt. Das ist mein Denken und Reden seit Jahr und Tag.

Interview: plu