"Apparate-Medizin, nicht wahr?"

■ Das Berliner Herz-Zentrum besteht seit zwei Jahren / Pro Jahr 3.000 Operationen und 100 Transplantationen

Das Herz liegt offen da. Fettweiß und bewegungslos. Von Eiswasser verdünntes Blut schwappt wolkig im weitgeöffneten Brustkorb. Die Haut beidseitig der klaffenden Öffnung ist orangefarben und faltig, erinnert an verschrumpeltes Plastik. Nichts sonst ist zu sehen von dem Menschen, dem dieses Herz gehört. Abgedeckt von blauen Tüchern, die Füße unter dem Tisch mit den Instrumenten, den Kopf vermummt, dort auszumachen, wo die vielen Schläuche einmünden, liegt ein Mann auf dem Operationstisch. Daß er dennoch lebt, kein Demonstrationsobjekt aus Kunststoff ist, bezeugen die bunten Linien auf dem Monitor und das Blut, das in dicken Schläuchen aus dem Herz-Lunge-Apparat in seinen Brustkorb und wieder zurück führt. „Apparate-Medizin, nicht wahr?“, grinst der Chirurg, Roland Hetzer.

Eine fast alltägliche Operation im Deutschen Herz-Zentrum Berlin. Fast. „Sie haben Glück“, sagt Dr. Warnecke, Chirurg im Herz-Zentrum, „gerade heute operiert Professor Hetzer einen außerordentlich interessanten Fall.“ Sieben bis acht Stunden dauert eine solche Operation. Dem Mann im OP werden die krankhaft erweiterte Brustschlagader und die Aortaklappe ersetzt und eine koronare by-pass Brücke eingefügt, ein Verfahren, in dem zur Umgehung (by-pass) der verengten Kranzarterie eine Beinvene eingesetzt wird.

Mit schnellem, aber konzentriertem Schnitt, als wäre es der sorgfältig abgemessene Saum eines Kleides, schneidet Hetzer, assistiert von zwei weiteren Chirurgen, zunächst die drei weißen Lappen der Aortaklappe ab. Eine Schwester gießt immer wieder Eiswasser in die Brusthöhle, das unverzüglich wieder abgesaugt wird. Der Patient ist auf 28Grad Celsius abgekühlt, um den Sauerstoffverbrauch zu drosseln. Ein winziger Schnitt, fast an der Spitze des Herzens, öffnet dann millimeterklein die starre Kranzarterie. Die Schwester reicht dem Chirurgen ein etwa 30 Zentimeter langes Stück Vene, weiß und wurmartig, das zuvor dem Bein des Patientien entnommen wurde, eine andere setzt ihm die Lupenbrille auf. „Die Blutgefäße sind so winzig, daß ohne diese Brille kein Nähen möglich ist“, erklärt Warnecke. Stich für Stich, Gefäß für Gefäß näht der Chirurg und Chef des Herz-Zentrums mit zarten blauen Fäden die Beinvene an die Herzarterie. Ein Assistent pumpt blaue Flüssigkeit in das andere Ende der Vene. An der genähten Stelle treten kleine blaue Tropfen aus. „Die Naht ist nicht dicht“, murmelt es hinter einem Mundschutz. „Später, wenn das Herz wieder schlägt, kann man nicht mehr überprüfen, ob die Schnittstelle tatsächlich geschlossen ist. Deshalb der Test mit der blauen Flüssigkeit.“ flüstert Warnecke. Kein Problem. Es wird genäht, bis alles dicht ist.

Für Hetzer scheint es in der Tat kein Problem zu geben. Hemdsärmelig, vital und von nahezu südländischem Temperament, hat er die schwierige Operation im Griff. Keine Unsicherheit ist ihm anzumerken. Jede Bewegung sitzt. (Is ja genau wie in der Schwarzwaldklinik bei dem Brinkmann. die k.) Sein Handwerk und seine Routine hat er im kalifornischen Stanford, dem Mekka der Herzchirurgie, gelernt, und bevor er die Leitung des Herz-Zentrums übernahm, hat er in Hannover bereits über siebzig Herztransplantationen durchgeführt. Dabei hatte er keinen leichten Stand zu Beginn seiner Karriere in Berlin.

Als das Herz-Zentrum am 29.April 1986 feierlich eröffnet wurde, gab es von den verschiedensten Seiten Widerstand. Nicht nur hat Professor Emil Bücherl vom Klinikum Westend ihm mit der Implantation eines Kunstherzen die Show gestohlen (der Patient verstarb allerdings kurz nach der Operation) und Hetzer schließlich als zweite Garnitur bezeichnet. Auch die Öffentlichkeit, angeführt von ÖTV und FU Berlin, bezweifelte, ob es überhaupt einen Bedarf für die angestrebten 2.500 Herzoperationen im Zentrum gebe. Dem Herz -Zentrum wurde die baldige Pleite vorausgesagt. „Berlin liegt im Herzen Deutschlands - und dieses Zentrum liegt Berlin am Herzen“, beharrte der damalige Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker. Heute werden bis zu 3.000 Operationen pro Jahr am Herz-Zentrum durchgeführt. Die Befürchtung, daß sich das Zentrum nur durch Privatpatienten finanzieren könne, traf ebenfalls nicht ein. Mittels einer Vereinbarung, zahlen die Krankenkassen 19.000DM pro Operation, für eine Transplantation 120.000DM.

Ein Zankapfel war auch die Trägerschaft des Lieblingsprojekts des damaligen CDU-Gesundheitssenators Fink. Um es außerhalb universitärer Einrichtungen anzusiedeln, aber dennoch Bundeszuschüsse zu erhalten (private Träger bekommen keine), wurde eine rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts gegründet. Spender der Stiftung waren außer dem Land Berlin unter anderem die Schering AG, die Deutsche Krankenversicherung, die Axel Springer AG, die Ärztevereinigung Hartmannbund, die Bundesärztekammer und der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie. In nur zwei Jahren und für veranschlagte 84 Millionen Mark, davon 52 Millionen als Bundeszuschuß wurde das Herz-Zentrum in einem großen, alten Gebäude auf dem Gelände des Rudolph-Virchow-Krankenhauses eingerichtet.

Vier Stationen mit insgesamt 120 Betten, davon allein 30 Intensivbetten gibt es heute. Hundert Ärzte arbeiten auf der Transplantationsstation, der Intensivstation, der Intermediärstation, eine Art Zwischenlagerung für Patienten, die nur noch „halbintensiv“ betreut werden müssen, und der Normalstation. Zusätzlich gibt es noch eine Anästhesiologie, eine Transplantationsambulanz zur Vorbereitung und Nachbetreuung der Patienten, eine Kinderkardiologie sowie eigene Labors, Küche und ein Restaurant. „Wir sind vollständig autonom“, sagt Dr.Schmitt, Chef der Intensivstation, stolz. „Es besteht keinerlei Abhängigkeit vom Rudolph-Virchow-Krankenhaus, auch wenn wir räumlich zusammenhängen.“

Die körpertemperaturwarmen Zimmer auf der Intensivstation sind gefüllt mit einem Gewirr von Schläuchen, Drähten und Apparaten. Hilflos und notdürftig mit Tüchern bedeckt, hängen die Patienten mehr als sie liegen in ihren Betten. Apparate blinken, zeigen Herzströme und Hirnströme an. Schwestern und Pfleger beobachten und pflegen die frisch Operierten rund um die Uhr. Ein etwa 40jähriger Mann ist an einen riesigen Apparat zu seinen Füßen mit mehreren Schläuchen angeschlossen. „Das ist ein externes Kreislaufunterstützungssystem.“ Schmitt zögert. „So etwas wie ein künstliches Herz.“ Entwickelt wurde es von Bücherl. „Zwischen 30 und 50 Menschen warten derzeit auf eine Herztransplantation. Aber Transplantate sind nicht immer zur Hand. Und wenn, dann muß die Blutgruppe des Spenderherzens zum jeweiligen Patienten passen.“ Das Herz des 40jährigen hat aufgegeben. Jetzt hängt sein Leben davon ab, daß ein Spenderherz gefunden wird. So lange hält ihn die Maschine am Leben. Wollen die Menschen das überhaupt, so zu leben? „Sie ahnen gar nicht, wie sehr unsere Patienten am Leben hängen.“ Der 40jährige sei ansprechbar. Er akzeptiert, was mit ihm geschieht. „40 Jahre sind zu jung zum Sterben“, sagt Schmitt.

Das neue Herz wird von der zentralen Datenbank Eurotransplant kommen, so es denn kommt. Die Daten von Patienten aus den Beneluxländern, der Bundesrepublik und Österreich werden in dem Zentrum in Leiden in den Niederlanden gespeichert. Auch Todesfälle, die als Spender ausgewiesen sind, werden dort gemeldet. Wird ein solcher Fall bekannt, muß es allerdings schnell gehen. Ein Spenderherz „überlebt“ blutleer und gekühlt nur vier Stunden. Aber selbst wenn ein Spenderherz gefunden ist, die Transplantation erfolgreich war, sind die Probleme des Patienten noch nicht zu Ende. Sein Leben lang muß er cortisonhaltige Medikamente nehmen, um eine Abstoßung des fremden Herzens zu vermeiden. Seine Immunabwehr ist dadurch erheblich herabgesetzt. Eine Gefahr, die ihn für immer anfällig für jeden Infekt macht.

Über mangelnde Nachfrage braucht sich das Herz-Zentrum keine Gedanken zu machen. Herz- und Kreislauferkrankungen sind in den westlichen Industrieländern immer noch Todesursache Nummer eins. Vorbeugung zu intensivieren ist eine Sache, aber angesichts von 85.000 bis 100.000 geschätzten Infarkttoten jährlich scheinen vorbeugende Maßnahmen und breite Aufklärung nicht viel zu nützen. Allein in der Bundesrepublik erleiden laut Statistik täglich etwa 1.000 Menschen einen Herzinfarkt. „Dabei muß ein Infarkt nicht mehr tödlich verlaufen, ob mit oder ohne Apparate -Medizin. Wenn die Leute sich nur eine andere Lebensweise zulegen würden“, sieht auch Schmitt ein.

Noch etwa vier oder fünf Stunden wird es dauern, bis der „interessante“ Patient aus dem OP auf Dr.Schmitts Station kommt. Seine Körpertemperatur ist mittlerweile auf 16 Grad heruntergekühlt worden. Hetzer läßt sich von der Schwester eine Aortaklappe geben. Hauchzart und von einem Plastikdeckel in Form gehalten ist das Gebilde, durch das Hetzer unzählige Fäden zieht. „Die Klappe stammt vom Schwein“, erläutert Warnecke, „in Größe und Gewebestruktur sind sich Mensch und Schwein sehr ähnlich.“ Blitzschnell, wie in einem chinesischen Fadenspiel, werden Schweineklappe und Menschenherz von den drei Chirurgen mit einer Vielzahl von Fäden gleichzeitig zusammengenäht. Zum Schluß wird der Plastikaufsatz auf der Klappe entfernt.

„Ihnen wird ja gar nicht schlecht beim Zusehen“, erlaubt sich Hetzer zwischendurch einen kleinen Scherz. Das kam später. Beim Sezieren des Brathähnchens in der Kantine der taz.

Petra Dubilski