Ist die tödliche Zuspitzung vorprogrammiert?

Die Verantwortlichen in Justiz und Politik haben sich auch nach sieben Wochen Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF und anderen militanten Widerstandsgruppen nicht bewegt / Die Erklärungen der Gefangenen geben Anlaß für die unterschiedlichsten Interpretationen  ■  Von Maria Kniesburges

Nach sieben Wochen Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF und anderen Teilen des militanten Widerstands für ihre Zusammenlegung in ein oder zwei große Gruppen sind die Verantwortlichen in Justiz und Politik nicht einen Millimeter von ihrer Betonposition abgerückt. Auch wenn sogar aus Kreisen der Verfassungsschutzexperten eine Zusammenlegung der Gefangenen zumindest in Gruppen zu acht vorgeschlagen wurde, auch wenn aus einzelnen Justizministerien inoffiziell moderatere Töne zu vernehmen sind - die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat nichts anderes zu bieten als ein kategorisches Nein.

Bekräftigt wurde das rigorose Nein auf die Forderung nach Zusammenlegung der Gefangenen in der vergangenen Woche durch den sozialdemokratischen Justizminister Nordrhein -Westfalens, Krumsiek. Es hat sich nichts getan. Bis in die stereotype Wortwahl hinein sind die vermeintlichen Argumente durch all die Jahre die gleichen geblieben. Die Forderung nach Zusammenlegung ziele „im Ergebnis auf eine Stärkung des terroristischen Potentials“, so die zentrale These der Bundesanwaltschaft auch während dieses zehnten Hungerstreiks. Ein Mann wie Krumsiek bleibt in die Argumentation verstrickt: „Einen Ausweg aus der Verstrickung in den Terrorismus können RAF-Mitglieder nur finden, wenn sie sich aus dem Beziehungsgeflecht der Terrororganisationen lösen.“ Und um den Gefangenen dies „zu ermöglichen“, fährt Krumsiek fort, werden sie „seit jeher grundsätzlich voneinander getrennt“. Was der Minister „Ausweg“ nennt, ist das Abschwören, der Gesinnungswandel. Das so brutale wie untaugliche Rezept dafür heißt noch immer Abschottung, Isolation. Es hat sich nichts getan. Das, obwohl der rheinland-pfälzische Justizminister Caesar vor mehr als zwei Wochen schon sehr richtig konstatierte: „Die Zeit läuft uns davon.“

Längst wird in den Sicherheitsapparaten das eiskalte Kalkül durchgespielt: Wann wird der erste Gefangene in einer lebensbedrohenden Siatuation sein, wann wird der erste Gefangene sterben, wann wird auf die Häuserfassaden nicht mehr „Folterstaat“, sondern „Mörderstaat“ gesprüht. Die Prognose aus dem Sicherheitsapparat unisono mit der Springerpresse: Es stehen Anschläge bevor. Rekuriert wird dabei auf den Hungerstreik für die Zusammenlegung 1984/85, der begeleitet war von zahlreichen Brandanschlägen, und an dessen Ende die Ermordung des MTU-Managers Zimmermann stand. Die Geschichte reicht weiter zurück. Als Holger Meins während des Hungerstreiks 1974 starb, wurde unmittelbar darauf der Berliner Kammergerichtspräsident von Drenkmann erschossen. Auf den Demonstrationen wurde damals skandiert: „Drenkmann, Meins - eins zu eins.“ Im Hungertreik der Gefangenen 1981 starb Sigurd Debus nach sieben Jahren Isolationshaft während der Zwangsernährung.

Ist die tödliche Zuspitzung vorprogrammiert? Im Sicherheitsapparat scheinen die Zeichen darauf zu deuten. Die Hardlinerlinie ist auch in diesem zehnten Hungerstreik ausgegeben, die Krankenstationen sind für die Zwangsernährung beziehungsweise die „Behandlung im Koma“ aufgerüstet. Alles wie gehabt.

Als etwas Neues dagegen wurde das aufgenommen, was die Gefangenen zu diesem Hungerstreik sagten. Nicht nur weil in der Erklärung, unterschrieben für die Gefangenen aus der RAF von Helmut Pohl, unzweideutig klargemacht wird, daß dies nicht einfach nur der zehnte Hungerstreik nach den vorangegangenen neun ist: „Jetzt muß Schluß sein mit dieser achtzehn Jahre langen Tortur. Das ist unser definitiver Entschluß. So werden wir kämpfen.“ Die Forderung nach einem Ende der Isolation und Zusammenlegung wird in ihrer konkreten existentiellen Bedeutung erhoben: „Das Ziel der Isolation war von Anfang an, die Gefangenen zu zerstören, um die Politik der RAF zu ersticken. Damit sind sie an uns gescheitert - aber wir ertragen es so auch nicht mehr. Wir wollen es jetzt nicht mehr aushalten, so ist es. Das ist jetzt unsere politische und unsere existentielle Entscheidung.“

Neue Diskussion?

Doch nicht nur das wurde als etwas Neues aufgenommen. In großen Teilen der Linken wurde die Erklärung begriffen als Zeichen für den möglichen Beginn einer neuen Auseinandersetzung ohne Tabus. „Wir wollen jetzt an der gesamten politischen Diskussion teilnehmen. Das ist die andere Seite der Zusammenlegung.“ Denn, so ist an anderer Stelle der Erklärung ausgeführt: „Während wir die Zusammenlegung noch nicht haben, entwickelt sich schon die Frage nach einer weitergehenden Perspektive für die politischen Gefangenen überhaupt. Es geht um uns, von allen Seiten will man was von uns - aber wir können nicht zusammen reden und kaum handeln.“

Diese Klarheit und der Verzicht auf die bekannten Dogmen und Devisen der RAF in dieser Erklärung waren es, was die Reaktion begründete: Es hat sich etwas getan, eine Diskussion ohne die Blockade durch von vorneherein unverrückbar gesetzte „Wahrheiten“ kann möglich werden. Das, was bislang die Auseinandersetzung zwischen der RAF und den Teilen der Linken, die den bewaffneten Kampf hier und heute ablehnen, quasi im Keim erstickte, die Behauptung der revolutionären Avantgardefunktion der bewaffnet agierenden Gruppen in der BRD, tauchte diesmal nicht auf. Statt Bekräftigung und Bestehen auf der Richtigkeit und der „Notwendigkeit militärischer Praxis in den westeuropäischen Metropolen“ ging es diesmal um das konkrete Ziel: die Zusammenlegung. Um die Zusammenlegung als Grundlage und Voraussetzung für weitere politische Diskussionen und Bestimmungen. Das hat das Neue dieser Erklärung ausgemacht. Das hat bewirkt, daß sie Menschen erreicht, ohne daß sie Instrumentalisierung für ein politisches Konzept fürchten, das sie nicht tragen.

Mit dem Nachschieben der Erklärung der Gefangenen zur Genfer Konvention sind jedoch Zweifel an diesen Bewertungen aufgekommen. Denn damit ist wieder die kategorische politische Selbsternennung der RAF auf dem Tisch, die mit der bundesrepublikanischen Realität und dem Stand der politischen Auseinandersetzung heute genauso wenig zu tun hat wie Mitte der siebziger Jahre, als die RAF begann, die Genfer Konvention für sich in Anspruch zu nehmen. In der Erklärung dazu, die etwa vier Wochen nach Aufnahme des Hungerstreiks auftauchte, heißt es: „Unser Bezug auf die Mindestgarantien der Genfer Konvention (GK) für die Behandlung von Kriegsgefangenen und -verletzten ist unverändert. Aus ihren Definitionen ist auch eindeutig, daß in ihr alle gefaßt sind, die im Zusammenhang des Befreiungskrieges gefangengenommen wurden.“ Bis heute scheint es also nicht zu interessieren, daß der „Befreiungskrieg“ der RAF von großen Teilen der Linken nie als ein solcher gesehen wurde, daß diese Bestimmung so wenig mit den Bedingungen gesellschaftlicher Veränderungsprozesse hierzulande zu tun hat wie mit den kämpfenden Befreiungsbewegungen in den Ländern der sogenannten „Dritten Welt“.

Für die Gefangenen aus der RAF scheint der Bezug auf die Genfer Konvention dagegen nach wie vor so selbstverständlich, daß sie ihn gar nicht mehr eigens begründen zu müssen glauben: „Warum wir uns auf die GK beziehen wurde schon oft gesagt, wir wollen das nicht wiederholen. Wir denken, daß die Bedeutung des Kriegsvölkerrechts mit der Ausweitung des revolutionären Kampfes steigen wird. Hier durch die verstärkte Konfrontation des Widerstands mit der Kriminalisierungsstrategie, den vielen Gefangennahmen, wie es sich seit 1986 gegen den Widerstand abzeichnet, der Ausweitung der staatlichen Kriegsführung überhaupt, durch die internationale Entwicklung, der Formierung der westeuropäischen Staaten nach innen und außen - um nur ein paar Momente grob zu benennen.“

Hat sich also doch nichts getan? Nach wie vor das Postulat der „Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes in den westeuropäischen Metropolen“ als Basis für die politische Diskussion? Unter dieser Ebene läuft nichts? Nach wie vor der arrogante und vorschreibende Gestus: Wir wissen wie es geht und wie es auch nur gehen kann - auch wenn ihr es immer noch nicht einseht? Fragen, über die nur spekuliert werden kann, solange der Staat die Isolation aufrechterhält, jede Kommunikation der Gefangenen untereinander verhindert, und damit auch die Auseinandersetzung mit anderen gesellschaftlichen Gruppen ausschließt.

Prinzip Isolation

Denn die eigentliche Frage ist: Wie soll sich etwas tun? Wie soll eine politische Kontroverse, ein politischer Streit ausgetragen werden können, wenn die Gefangenen strikt voneinander getrennt in den Hochsicherheitstrakten dieser Republik mit der Isolationshaft traktiert werden, deren perfides Prinzip ja gerade die Verhinderung der menschlichen Kommunikation ist, und in der die Gefangenen selbst die Zeitungen nur politisch zensiert erreichen?

Und nur vor diesem Hintergrund sind auch die optimistischen Einschätzungen von der „Stärke des revolutionären Widerstands“ zu sehen, wie sie in Briefen und Erklärungen der Hungerstreikenden auftauchen. Helmut Pohl schrieb: „Aus vielen Ansätzen im letzten Jahr, aus der Offenheit und dem Willen quer durch verschiedene Zusammenhänge im Widerstand, halten wir eine neue Einheit im revolutionären Kampf für möglich. Es zeichnet sich jetzt schon eine Umkehrung der linken Rückentwicklung seit Ende der siebziger Jahre ab.“ Wie Helmut Pohl bewertet Karl-Heinz Dellwo in einem Brief den Kampf um die Zusammenlegung als einen Teil des sich verbreitenden Widerstands und als Zwischenziel: „Überall ist eine Phase herangereift, in der wir die ganze politische Situation von unten, also die Defensive umkehren können. Darin sehen wir die Zusammenlegung als Teil, als eine Aufgabe, die uns alle betrifft, die zugleich der Anfang dafür sein kann, den Kampf um die Freiheit der politischen Gefangenen zu einer strategischen Achse und einem Kristallisationskern neuer gesellschaftlicher Gegenmacht zu entwickeln. Denn natürlich ist die Zusammenlegung nur ein Etappenziel.“ Sätze, an denen seit Wochen allenthalben und von allen Seiten heruminterpretiert wird. Die Hardliner im Sicherheitsapparat sehen darin ihre jahrealte These bestätigt, die Forderung nach Zusammenlegung sei nichts anderes als ein „taktisches Kalkül“ mit dem strategischen Ziel „Forcierung des bewaffneten Kampfes“. Vorsichtigere Interpretationen enthalten sich solcherart Festlegungen und Bewertungen, so lange es eben nicht mehr als immer nur Anhaltspunkte zur Interpretation und keine reale Auseinandersetzung, keine Diskussion geben kann. Und die trachtet der Sicherheitsapparat ganz offenbar auch in den Ansätzen schon zu verhindern. Als die Gefangenen am 1.Februar ihren Hungerstreik aufnahmen, leitete die Bundesanwaltschaft umgehend Ermittlungsverfahren nach Paragraph 129a gegen die Gefangenen und ihre Rechtsanwälte ein und veranlaßte sofortige Zellenrazzien. „Mitgenommen haben sie allen möglichen Kram. Alte, nie veröffentlichte Textentwürfe, die mal in einer Dokumentation der niedersächsischen Landtagsgrünen im vergangenen Herbst erscheinen sollten - Kontext: Dialog etc. -, und dieser Fund hat den Staatsanwalt und das Landeskriminalamt in Hochstimmung versetzt, offenkundig hielten sie das wieder für ein brisantes Strategiepapier. Sei's drum. Es beweist nur noch mal, daß es unmöglich ist, sich in irgendeiner Weise zu der Dialoggeschichte ins Verhältnis zu setzen, ohne daß Nachteile entstehen, daß die Unterlagen dafür zum Beweismittel für Terrorismus werden,“ schrieb der Gefangene Lutz Taufer im Februar aus dem Hochsicherheitstrakt Celle.

Eine paradoxe Situation: Die minimalen Voraussetzungen für eine Auseinandersetzung um das politische Konzept werden massiv behindert, solange die Gefangenen das, worüber diskutiert werden soll, die politischen Vorstellungen und Konzeptionen, nicht revidiert haben. Tumbes Motto: Isolation zwecks Gesinngswandel. Es hat sich nichts getan.

Zweifelhafte Sieger

Und angesichts des verhängten Diskussionsverbots können auch die optimistischen Einschätzungen der Stärke des Widerstands, wie sie in den Erklärungen der Gefangenen auftauchen, als nicht mehr begriffen werden, als sie sind: Bewertungen aus der Isolation. Allenfalls genährt durch eine massive Selbstüberschätzung derer, die sich als „den Widerstand“, „das revolutionäre Potential“ begreifen - und die derzeit vor allem die Besetzung von Grünen-Büros zwecks Einrichtung von Hungerstreikbüros als Erfolge feiern. Zweifelhafte Siege, eine Besetzung der CDU-Zentralen hätte ein anderes Licht auf die Stärke der Bewegung geworfen.

Sieben Wochen Hungerstreik. Die Situation ist festgefahren

-und es ist nichts anderes als eine bedrohliche Zuspitzung in Sicht. Die Verantwortlichen in Politik und Justiz nehmen sie in Kauf und sitzen ihre Machtposition aus. Motto dieser vermeintlichen Stärke: „Der Staat ist nicht erpressbar.“ Es hat sich nichts getan. Denn eines ist geblieben wie es war: Vor einer politischen Auseinandersetzung stehen immer noch an erster Stelle die Betonfraktionen in Bonn und Karlsruhe, die unbeirrt und wissentlich ihr altes Programm abspulen. Und was hätte dieser Staat mit den hochgerüstetsten Hochsicherheitsgefängnissen der Welt von einer Zusammenlegung der politischen Gefangenen zu befürchten außer, daß sich endlich etwas tut.