: Verpaßte Chance
Unlösbares Knäuel Schmücker-Prozeß wird neu gewickelt ■ K O M M E N T A R E
Nun muß sich das Berliner Landgericht zum vierten Mal daran versuchen, ein zig-fach verknotetes Knäuel neu zu wickeln, ohne es je entwirren zu können. Wohl in keinem Prozeß der letzten Jahre ist von Staatsdienern so viel gelogen und so viel bewußt „vergessen“ worden wie im Schmücker-Prozeß. Und wohl in kein Verfahren der deutschen Justizgeschichte haben staatliche Stellen über Jahre hinweg durch Nicht -Information, Verschleierung und eigene V-Leute so erfolgreich hineingefingert wie in dieses skandalträchtige Mammutverfahren, dessen Akten ganze Räume füllen. Auch wenn jetzt ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß versucht, das Geheimdienstgestrüpp um das Schmücker-Verfahren zu lichten, und selbst wenn ein sozialdemokratischer Berliner Innensenator seinen Beamten nun Aussagegenehmigungen über all die Ungeheuerlichkeiten erteilt, die SPD-Innensenatoren in den 70er Jahren angerührt haben - die Wahrheit über das, was vor fünfzehn Jahren im Berliner Grunewald geschah, wird dabei kaum ans Licht kommen. Zuviele unterschiedliche Personen und Institutionen haben ein Interesse daran, sie unter der Decke zu halten. Zu viele Beamte müßten sich selber des Meineids und krimineller Machenschaften bezichtigen, wenn sie die „Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ beschwören wollten.
Doch die Unlösbarkeit dieser Verstrickungen kann und darf nicht zu Lasten der Angeklagten gehen, über denen seit nunmehr fünfzehn Jahren die permanente Androhung eines Lebens hinter Gittern schwebt. Daß heute, fünfzehn Jahre nach den tödlichen Schüssen auf Ulrich Schmücker, immer noch neue Mosaiksteine des Tatgeschehens auftauchen, hätte den Richtern des Bundesgerichtshofes klarmachen sollen, daß dieses Verfahren juristisch korrekt nicht mehr zu führen ist. Der BGH hätte den einzig klugen und für alle Prozeßbeteiligten humanen Ausweg wählen können: Er hätte den Mordfall Schmücker als erbärmliches Kapitel in der Geschichte der Linken und als noch schäbigeres in der Geschichte des Verfassungsschutzes und der Justiz zu den Akten legen sollen, aber diese Chance hat er vertan.
Vera Gaserow
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen