Resignation ist gottlos

■ 3.000 hörten Dorothee Söller auf der Osterkundgebung der Friedensbewegung / Sie erklärte sich solidarisch mit den Forderungen der Hungerstreikenden der RAF nach Zusammenlegung

Zwischen Wind, Wolken und aufgerissenen Straßenbahngleisen trafen sich am Samstag vormittag die OstermarschiererInnen auf dem Marktplatz. Um zwölf Uhr fand der Jongleur mit seinen uralten Tricks und intelligenten Witzen noch weit mehr Anklang als die wenigen Friedensbewegten, die Unterschriften sammelten und frierend hinter ihren Tischen standen. Ein einsames Plakat lehnte im Rücken des entnazifizierten Roland: „Gebt die Garlstedter Heide den Osterhasen zurück.“ Aber um Punkt ein Uhr füllte sich der Platz. Sicherlich 3.000 Menschen waren gekommen, um die Hauptrednerin der Kundgebung, die Theologin Dorothee Sölle, zu hören.

Ihre Rede war keine der üblichen Beschwörungen der eigenen Kraft. Sie war weder siegessicher noch „kämpferisch“, sondern in weiten Teilen den Problemen der Menschen gewidmet, die vielleicht schon seit einem Jahrzehnt und länger die Ostermarschbewegung tragen. Dorothee Sölle sprach von der Müdigkeit, die sich einstellt, wenn man das Einfache will, das so schwer zu erreichen ist: eine friedliche Welt, die nicht von Waffen starrt.

Gleich zu Beginn kam sie auf die Tradition der Ostermärsche zu sprechen. Sie haben ohne Zweifel einen rituellen Charakter und es gibt nicht wenige Menschen, die empfinden, daß ihnen

etwas Museales und Staubiges anhaftet. Die Rednerin benannte diese Kritik und wies sie heftig zurück: „Die Politik, die uns Jahr für Jahr auf die Straße zwingt, gehört ins Museum, nicht wir.“

Sie wies auf die in zähen Auseinandersetzungen errungenen Erfolge hin: Auf die 67 Prozent der Deutschen, die mittlerweile gegen die Aufrüstung sind. Auf die fast 80.000 Kriegsdienstverweigerer im letzten Jahr. Und auf den IG -Metall-Aufruf zur Kriegsdienstverweigerung. Daß diese große Organisation sich so weit aus dem Fenster gelehnt hat, schien Dorothee Sölle besonders bemerkenswert - und ist heute schon wieder Geschichte, denn die Gewerkschaftsoberen haben sich auf ihre staatstragende Funktion besonnen und sich vom eigenen Aufruf distanziert.

Die Rednerin sprach von der „schweren Arbeit des Friedens“, die viele Menschen schon jahrzehntelang betreiben und ein Blick in die Runde zeigte die Reaktionen vieler älterer KundgebungsteilnehmerInnen: Kopfnicken, schnell ausgetauschte Blicke, ein Zusammenpressen der Lippen, das spontane Hochhalten des selbstbemalten Transparentes, die sekundenlange Gewißheit, das zu sein, was Dorothee Sölle gleich darauf aussprach: „Wir sind eine kleine Minderheit des Gewissens.“

Das klingt nach Selbstbeweih

räucherung, war es aber nicht. Es ist einfach mühselig, Jahr für Jahr Gespräche mit Menschen zu führen, die doch alle für den Frieden sind und gleichzeitig mit anzusehen, wie die kleinen Siege sich wieder in Raketen der neuen Generation verwandeln. Es ist eine Arbeit, für den man einen entsetzlich langen Atem braucht und eine Geduld, die nicht viele aufbringen. Und es ist deprimierend, wenn das Wort Frieden von den falschen Leuten so

inflationär genutzt wird, daß niemand es mehr hören kann.

Natürlich griff Sölle die „geistigen Tiefstflieger“ an, die die Republik regieren. Aber emphatisch wurde sie erst, als sie auf „den Feind von Innen“ zu sprechen kam: die Resignation, das klägliche Wissen, so klein zu sein vor den riesigen Problemen der Welt. Die Theologin bezeichnete diese „Verbeugung vor dem Feind“ als „Gefühl, daß uns in einer Vordemokratie

festhält“, und sie geißelte es ohne Scheu vor großen Worten als „gottlos“, denn: „Wer resigniert oder verzweifelt, glaubt nicht an die Kraft des Lebens.“

Am Ende schlug sie nahtlos den Bogen zu den bundesdeutschen Gefängnissen und bekannte ihre Solidarität mit dem Hungerstreik der RAF: „Isolation ist Menschenrechtsverletzung.“ Es war die Passage der Rede, für die es den heftigsten Beifall gab. FW