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BILDNIS: Luca Giuliani "Bildnis und Botschaft - Hermeneutische Untersuchungen zur Bildniskunst der römischen Republik"

Wer je durch eine beliebige Antikensammlung gegangen ist, wird sich gelangweilt haben beim Anblick all dieser Bummsköpfe, unter denen auf kleinen Blechschildchen steht: Philosoph, Redner, Bronzekopf eines Unbekannten oder ähnlich Informatives.

Wieviel Feuer aus so altem Gestein geschlagen werden kann von einem, der zu schlagen versteht, das habe ich mit wachsender Begeisterung festgestellt bei der Lektüre von Luca Giulianis Untersuchungen zur Bildniskunst der römischen Republik.

Giuliani geht aus von Curtius‘ Urteil über das in Kopenhagen befindliche Bildnis von Pompeius. Curtius‘ hielt den Kopf für eine Karikatur, eine Satire auf Pompeius‘ staatsmännischen Anspruch. Giuliani zeigt zunächst, daß Curtius‘ Beschreibung, die sich gibt als sähe sie nur den kleinen Kopenhagener Kopf, in Wirklichkeit „Zug um Zug“ Mommsens Poträt des Cäsar-Konkurrenten imitiert. Dann holt er aus. Giuliani entwickelt eine kleine Geschichte des Gesichtsausdruckes vom archaischen Lächeln über den gesteigerten Affekt der Alexander-Tradition bis hin zur neuen Affektbeherrschung am Ende der Republik. Giuliani zieht zeitgenössische Texte hinzu, vor allem aus der rhetorischen Tradition. Die handelte ja vom Redner, gab ihm Hinweise, wie er sich auszudrücken habe, auch, was seine Körpersprache betrifft.

Giulianis Arbeit besticht durch ihre Klarheit. Von Anfang an, schärft er das Problembewußtsein des Lesers. Daß die Körpersprache, der von den Gesichtsmuskeln hervorgebrachte Ausdruck, heute nicht dasselbe besagt wie vor zweitausend Jahren, das mögen Soziologen sich gedacht haben, aber nach der Lektüre von Giulianis Abhandlung, hat man eine Ahnung davon, wie genau man hinsehen muß, um zu begreifen, daß eine Augenbraue, eine Lippe, ein Kinn auch Bedeutungsträger sind. Sie sind nicht nur einfach dem Abgebildeten ähnlich oder nicht, sondern sie teilen auch etwas mit. Wo Curtius erklärte: „Die Augen sind zu klein und vermögen nicht die breite Fülle des Gesichts zu beherrschen“, da erläutert Giuliani: „Der gesenkte Blick des Pompeius entspricht ganz wörtlich jener 'magna moderatio oculorum‘, die Cicero in seinen Anweisungen zum mimischen Verhalten des Redners vorschreibt. Cicero geht davon aus, daß der Ausdruck des ganzen Gesichts im Blick kulminiert und durch diesen bestimmt wird. Gerade deshalb solle man sich hier vor Übertreibungen hüten und harmonische Mäßigung wirken lassen...“

Giulianis beneidenswerte Klarheit ermöglicht ihm, über weite Strecken niemals sein Ziel, die möglichst genaue Interpretation der einen kleinen Pompeiusbüste, aus den Augen zu verlieren. Nebenprodukte dieses wundervoll straffen Herangehens sind Stellen, die auf wenigen Zeilen lange Entwicklungen, komplexe Beziehungen zusammenfassen. Da ist eine knappe Seite, in der Giuliani plastisch herausarbeitet wie es zum Gegensatz Großgrundbesitzer und militärischem Befehlshaber kam, oder sein Referat der psychologischen Theorie des Peripatos, die sich bei ihm so liest als sei sie nach dem Zerfall des Subjekts formuliert worden. Giuliani ist ein ausgefuchst heiterer Dialektiker. Gleich auf den ersten Seiten eine wunderschöne Passage, die er kunstvoll aus dem Zusammenhang gerissen hat, um die Absurdität einer Wissenschaft deutlich zu machen, die, von Bildnissen handelnd, die „Ausdeutung mimischer Züge“ unter Verbot stellen möchte, um sich so im Namen der Wissenschaftlichkeit ganz den Stimmungen von Einfühlung und Nacherleben überlassen zu können.

Giulianis Untersuchungen sind Sehhilfen - nicht nur bei der Betrachtung antiker Bildnisse.

Luca Giuliani, Bildnis und Botschaft - Hermeneutische Untersuchungen zur Bildniskunst der römischen Republik, Suhrkamp-Verlag, 335 Seiten, 66 s/w Fotos, 58 DM

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