Die Büffel auf der Eisprärie

Heftige Kämpfe im Eishockey-Osterturnier der Kleinschüler  ■  Von Olga O'Groschen

Die Spannung im Berliner Eisstadion ist fast unerträglich. Fingernägelkauende Schlachtenbummler füllen das eisige Rund der Halle, lange bevor die Kämpfe begonnen haben. Im Pressetroß saugt man nervös an den Zigaretten, einige Männer nagen an den Hälsen ihrer Schnapsflaschen, und junge Frauen brechen vor Aufregung immer wieder in Tränen aus. Es geht um die Krönung einer langen Saison, es geht um Ruhm und Glanz in den Annalen des Eishockey. Man wartet auf die Helden.

Dann kommen sie endlich aus den Katakomben ins lichtüberflutete Stadion. Geblendet von den Scheinwerfern, betäubt von den aufbrandenden Sprechchören und Schlachtgesängen. Sie aber winken nicht zurück. Sie warten auf den Kampf, die Kellen in ihren breiten Handschuhpranken, die Kufen ihrer Schlittschuhe messerscharf geschliffen, muskelstrotzend in den riesigen Trikots ihre Körper, reglos die Gesichter unter den gewaltigen Helmen. Seltsame Urtiere, mit den Hufen scharrend.

Und mit dem heißen Atem von Büffeln stürzen sie hinaus auf die Eisprärie. Das Eis ächzt unter ihren Kufen, die Banden erzittern beim Aufprall ihrer Leiber, und der kleine schwarze Puck saust verschreckt durch ihre Reihen. Jeder Spieler schon zu Lebzeiten eine Legende. Pfeilschnelle Sturmreihen treten auf, Torhüter mit buddhistischem Gleichmut und nahezu unüberwindliche Verteidiger. Aus den bayerischen Wäldern haben sie sich aufgemacht. Die Behemoths sind gekommen, ihr Kräfte zu messen.

Es sind ja keine gewöhnlichen Eishockeyspieler. An den dumpfen Schlägereien der deutschen Meisterschaft haben sie sich nicht beteiligt, und auch die Weltmeisterschaft werden sie nur am heimischen Bildschirm verfolgen, milde lächelnd, und dann frühzeitig schlafen gehen. Sie haben eine beinharte Saison hinter sich. Seit August vergangenen Jahres sind sie kaum vom Eis gekommen, Alkohol und Zigaretten haben sie nicht angerührt und auch nicht viel mit dem anderen Geschlecht rumgedaddelt. Wenig kümmern sie die großen Namen wie Gretzky, Loop, Dieen, Krutov, Ruzicka und Belushejkin; dafür tragen sie Bildnisse des gallischen Hinkelsteinlieferanten Obelix auf ihren Helmen.

Ihre Augenbrauen sind mit Eiskristallen überwuchert, Eiszapfen wachsen unter ihren roten Nasen, und ihre Haarmähnen sind vom Rauhreif geweißt. Sie merken es nicht. Sie sind ins Spiel vertieft, jagen über das blitzende Eis, einen Paß zu erwischen, führen die Scheibe im kühnen Solokonter, im Zweikampf ineinander verkeilt, sich in irrwitzige Kurven legend und die ehrwürdigen Gesetze der Schwerkraft herausfordernd. Zuweilen werden sie von diesen Gesetzen zu Boden gezwungen und rutschen zappelnd auf dem Hosenboden weiter.

Manchmal wirft sie der mächtige Rückschlag ihrer eigenen Schüsse aufs Eis. Hin und wieder werden sie in Massenstürze verwickelt. Sie aber erheben sich, schrauben Arme und Beine wieder an, richten rasch die Kleidung und jagen erneut dem Puck nach. Es sind keine wilden Bestien aus alten Eishockeymythen, sondern gestandene Kinder von neun und zehn Jahren, Jungen und Mädchen, spielbesessen.

Die Anfeuerungen des Publikums tosen durch die Halle. „Auf geht's, hopp hopp hopp!“, der Klostersee-Trainer blökt seine Spieler an: „Du sturer Hund, du sturer; des tut weh, tut des.“ Und auch die Eltern geben hemmungslos ihren Senf dazu: „Mensch, zieh doch mal ab, dit bringt doch nüscht, die Fummelei“, was die ICH-starken Berliner Cracks allerdings völlig kalt läßt. Die gastgebenden Preussen gewähren Geretsried gnädig mit 0:9 den Vortritt, während der OSC Berlin gar mit 13:0 von Bad Tölz durchgebeutelt wird. Dennoch steigt die Stimmung unaufhaltsam, wenn die gefährlich desorganisierten Berliner gegen läuferisch weit überlegene Bayern kämpfen. Zwischendurch wird ein heulender Spieler auf den Armen des Schiedsrichters vom Eis gefahren, worauf die Menge „Schwarzwaldklinik“ skandiert.

Beim Penalty im Berliner Lokalderby verknäulen sich krachend Torwart und Spieler, der begnadete Preussen-Trainer Jim Setters tröstet sie mit Käsekuchen, und Geretsried wirft regelmäßig die gesamte Mannschaft zum Torjubel aufs Eis, ein Haufen glückstrunkener Berserker.

Überwältigend der Siegestaumel in ihrer Mannschaftskabine, wenn sie ihre wilden Kriegsgesänge anstimmen, „Zicke zacke zicke zacke hoi hoi hoi“ und „Aka laka hula hoi!“, düstere Beschwörungsformeln aus grauer Vorzeit. Unter der Dusche brummeln sie mit blitzenden Augen „Klosterfrau Melissengeist dudei dudei...“ und brüllen schließlich aus 20 Kinderkehlen ihr machtvolles Siegeslied: „An der Isarküste, am bayerischen Strand, ja da feiern wir Siege am laufenden Band.“

Lustiger wird die Weltmeisterschaft in Stockholm sicher auch nicht.