Der Michel geht

■ Eine Ruderlegende beendet die aktive Laufbahn: Peter-Michael Kolbe / Matthias Mellinghaus, Mitglied des Gold-Achters von Seoul, beschreibt den „Typen“ Kolbe und die Karriere des „versierten Technikers“

Wenn wir uns als Steppkes auf der Ruhr in unseren knallbunten Plastikeinern mal wieder nur sonnten, anstatt „Kilometer zu machen“, dann scheuchte uns Jugendtrainer Klaus Korge stets mit dem Argument auf, so könnten wir nie werden wie Kolbe. Das zog immer, denn der Europa- und Weltmeister von 1973 und 1975 war der unbestritten schnellste Einerfahrer und ging außerdem am Ufer reichlich kritisch mit den Funktionären und Presseleuten um; das imponierte uns.

„Michel“, wie er auf den Sattelplätzen gerufen wird, ist heute eine Legende des Rudersports. Seit 1973 hat er bei 13 internationalen Meisterschaften 13 Medaillen geholt, sechs goldene (fünfmal bei einer WM), fünf silberne (davon drei olympische) und zwei bronzene. Im Februar verkündete er seinen endgültigen Abschied als Aktiver, eine Ära geht damit zu Ende.

Als Sohn eines kleinen Angestellten wuchs er im Hamburger Arbeiterviertel Hammerbroock auf und machte seine ersten Ruderschläge beim „Hammerdeicher RV“, dessen Mitglied er noch heute ist. Später wechselte er zum vornehmen Alster -Ruderverein „Hanseat“, der zwar nicht ganz zu Kolbes Stil paßte, aber wohl besser in der Lage war, kostspielige Regattareisen zu finanzieren. 1986 gründete Kolbe - ein Novum im Rudern - zusammen mit Freunden und seinem Hauptsponsoren, einer Bremer Kaffeerösterei, den RC „Hamburg„; dort war Kolbe der einzige aktive Sportler. Zu diesem Zeitpunkt lebte er schon vier Jahre in der Nähe von Oslo mit seiner norwegischen Frau Aina und seinem Sohn Knut -Mikkel. Der Wohnort fernab von deutschen „Eierköpfen“, wie er mit Blick auf selbstherrliche Funktionäre im Deutschen Ruderverband (DRV) die Blaujacken schon mal schimpfte, kommt dem Individualisten Kolbe sehr entgegen.

Als Kaufmann in der Osloer Filiale eines Schweinfurter Kugellagerherstellers beschäftigt, hatte er mit einem Ruderfan als Chef immer genug Zeit zum Training. Rudern ist zwar im norwegischen Winter unmöglich, doch mit Skilanglauf, Ergometertraining und Hantelarbeit war Michel im Frühjahr immer fit genug, der nationalen Konkurrenz freundlich lächelnd sein Heck zu zeigen. International gab es bis zur WM 1987, als Uwe Lange aus der DDR erstmalig gewann, jährlich das geradezu klassische Duell zwischen Karpinnen und Kolbe, das vergleichbar wäre mit einem Match Becker Borg, würden beide zur gleichen Zeit gespielt haben. Der Finne Pertti Karpinnen, ein schüchterner, 2,01 Meter großer und über 100 Kilogramm schwerer ehemaliger Feuerwehrmann, wurde 1976, 1980 und 1984 Olympiasieger.

Der Tag des olympischen Finales in Montreal 1976 war wohl einer der schwärzesten in Kolbes sportlichem Leben und begründete seine Abneigung gegen die Sportmediziner: Er hatte das Rennen über die 2.000-Meter-Distanz mit „Ackerlängen“ angeführt, seine Kräfte aber aufgrund eines zuvor injizierten Vitamincocktails total überschätzt, und war knapp vor dem Ziel buchstäblich stehengeblieben. Nur mit Mühe konnte er sich hinter dem Sieger Karpinnen als Zweiter ins Ziel retten.

1980 hinderte ihn der blödsinnige Boykott der Spiele in Moskau an einer Revanche, Karpinnen machte eine Spazierfahrt ins Ziel, und 1984 in Los Angeles war Karpinnen dem nur 1,94 Meter großen und 90 Kilogramm schweren Kolbe einfach überlegen. Gleichwohl wurde der körperlich stärkere Karpinnen bei fünf Weltmeisterschaften von Kolbe bezwungen, der technisch versierter ist. Sein blitzschnelles, fast spritzerfreies „Wasserfassen“ beim Eintauchen der Ruderblätter, die optimale „Vorspannung“ genannte Koordination des Rückenschwungs mit dem Beinstoß, die Fähigkeit, bei Spurts innerhalb eines einzigen Schlages die Frequenz um drei, vier Schläge zu erhöhen (wo andere einige Übergangsschläge rudern müssen), auf all dies wußte Karpinnen stets nur mit brutaler Kraft zu antworten.

Während der startschnelle Kolbe versuchte, aus führender Position heraus zu gewinnen, und nach den Rennen locker weiterpaddelte, als hätte er lediglich zehn Kniebeugen hinter sich, war Karpinnens Plus ein gnadenloser Endspurt, der ihn nach dem Zieldurchlauf der Sieben-Minuten-Strapazen des öfteren zusammenbrechen ließ.

Auf den Sattelplätzen tauschten sie schon aus Mangel an einer gemeinsamen Sprache über ein gutes Jahrzehnt lang nicht mehr als ein skandinavisches „Hej“ aus, begegneten sich aber mit gehörigem Respekt. Charakterlich sind sie sich ähnlich: Beide trugen die Niederlagen, die sie sich wechselseitig zufügten, mit Fassung, beide sind sehr zurückhaltend. Im Gegensatz zu Karpinnen wirkt Kolbe selbst in Phasen höchster Anspannung äußerlich locker, wirkt, als hätte er mit seinen bevorstehenden Rennen nicht das geringste zu tun, obwohl er ein Perfektionist ist, der genau weiß, was er will, und kein technisches Detail am Boot dem Zufall überläßt.

In Seoul fand das legendäre Duell mit einem erdrutschartigen Leistungsverlust Karpinnens, der nur siebter wurde, ein Ende. Der plötzliche Einbruch Karpinnens mag Kolbe die Entscheidung aufzuhören erleichtert haben, er selbst sprach schon vorher von der „Situation eines Seiltanzakrobaten“, in der sich ein alternder Leistungssportler wie er befände.

In der Tat tritt er zum richtigen Zeitpunkt ab. Schon zu seinen Glanzzeiten nörgelten Kritiker wie der ehemalige Spitzenruderer Moritz von Groddeck ständig an Kolbes angeblich inkonsequenter Vorbereitung auf internationale Meisterschaften, seiner „Zeitvergeudung“ oder seinen „falschen Kompromissen“ zwischen Sport, Familie und Beruf herum, weil Kolbe es zeitweise gewagt hatte, Priorität auf die Vorbereitung seines Lebens nach dem Leistungssport zu legen. Die Vorwürfe gipfelten in der Bezeichnung „Der Unvollendete“, weil Kolbe es, welch‘ Schande, „nur“ zu drei Olympischen Silbermedaillen gebracht hat. Nicht auszudenken, welche Eimer publizistischen Mülls über ihn durch Leute wie Groddeck geleert würden, würde er tatsächlich einmal „hinterherfahren“.

Kolbes Reserviertheit gegenüber „Verbands- und Vereinsmeiern“ steht im Kontrast zu seinem guten Verhältnis zu uns anderen Aktiven. Er half uns Neulingen oft mit Tips und gab uns als Gesprächspartner auch in Zeiten, wo wir meilenweit dem Feld hinterhereierten, stets das Gefühl, gleichwertig zu sein. Diese Fähigkeit möchte er zukünftig als Berater für junge Sportler im Dienst des DRV weiter nutzen, wie er auf seiner Abschiedsgala am 10.Februar im Hamburger Hotel „Marriott“ verkündete. Von einer Zustimmung seitens des Deutschen Ruderverbandes war auf dieser für Kolbes Verhältnisse etwas zu protzigen Veranstaltung jedoch noch nichts zu hören. Im Moment würde ihn eine Zusage ohnehin nicht erreichen, da er sich beim Skilanglauf befindet, auf einer Tour durch die skandinavischen Wälder. Mit wem wohl? Na, mit „Erzfeind“ Karpinnen natürlich.