Absehbare Katastrophe: Ölpest vor Alaskas Küste

■ Über 42.000 Tonnen Rohöl bei Tankerunglück im Prinz-William-Sund ausgelaufen / Ölteppich bedroht Flora und Fauna / Schleppende Rettungsarbeiten

Washington (wps/dpa/taz) - „Das haben wir in all den Jahren befürchtet, und nun ist es passiert.“ Als Reaktion auf das Tankerunglück am Freitag im Prinz-William-Sund, bei dem mehr als 42.000 Tonnen Rohöl ausliefen, erklärte der Gouverneur des US-Bundesstaates Alaska, Steve Cowper, den Sund vor der Südküste Alaskas zum Katastrophengebiet. Nach Angaben der US -Küstenwache bedroht der inzwischen 260 Quadratkilometer große Ölteppich die tierreichsten Gewässer Alaskas. Der Sund ist Laichplatz für Heringe, Durchgangsstation für Junglachse sowie Aufzuchtgebiet für Krebse und Krabben.

Der Kampf gegen die derzeitige Ölpest vor Alaska dürfte allerdings schwieriger werden als derjenige nach dem Schiffbruch des liberianischen Frachters „Amoco Cadiz“ vor der bretonischen Küste, wo im März 1978 mehr als 220.000 Tonnen Rohöl ins Meer flossen. Nach Ansicht des französischen Umwelt-Staatssekretärs, Lalonde, wird Öl in kalten Gewässern viel langsamer abgebaut als in wärmeren Meeren. „Die Folgen für die Umwelt sind sehr viel schwerer.“

Die Bretagne hatte damals Glück im Unglück. Zwar wurden bei der bislang schwersten Umweltkatastrophe durch einen Öltanker 360 Kilometer Küste verseucht, starben schätzungsweise 15.000 Vögel, weil ihr Gefieder verklebt war, wurden allein an einem Tag 28 Millionen tote Tiere aus dem Meer geborgen. Aber angesichts günstiger Strömung, hoher Wellen und der schnellen Hilfe Tausender von Helfern konnte „die Ermordung“ der Natur, so ein Retter damals, verhindert werden.

Nach Angaben von Meeresbiologen ist der Prince William-Sund „eines der produktivsten Seegebiete“ der Welt und „ökologisch ein ganz besonderes Gebiet“. Die Umweltorganisation Greenpeace sprach in einer in San Francisco veröffentlichten Stellungnahme von einer „ernsten Umweltkatastrophe“ und kritisierte die schleppende Beseitigung des Ölteppichs. Exxon, die Eigentümergesellschaft des gestrandeten Supertankers „Exxon Valdez“, hatte am Samstag begonnen, das Rohöl von der Wasseroberfläche absaugen zu lassen, nachdem am Morgen der Versuch gescheitert war, den Ölteppich mit Chemikalien aufzulösen.

69 Umweltexperten und fünf Flugzeuge mit Spezialausrüstung wurden von Exxon nach Alaska beordert. Dennis Kelso von der Umweltschutzbehörde des US-Bundesstaates warf dem Öl-Multi vor, die Rettungsmaßnahmen hätten unter den in Alaska gültigen Bestimmungen spätestens fünf Stunden nach dem Schiffbruch des Tankers eingeleitet werden müssen. Überdies seien unbegreiflicherweise nur zwei der sieben verfügbaren Absauganlagen im Einsatz.

Eine Sprecherin des rund 12.000 Mitglieder zählenden Fischereiverbandes von Alaska äußerte sich ebenfalls erbittert über den schleppenden Fortgang der Rettungsmaßnahmen. Bei ruhiger See hätte die Eindämmung der Ölpest eigentlich ein Kinderspiel sein müssen, meinte Riki Ott: „Es wäre die einfachste Sache der Welt gewesen.“ Das Abpumpen des Rohöls, das sich noch im Wrack der „Exxon Valdez“ befindet, mußte am Wochenende abgebrochen werden, weil durch die Arbeiten erneut Öl ins Meer lief.

Der Kapitän der „Exxon Valdez“ hatte beim Auslaufen aus dem Hafen Valdez einem Eisberg ausweichen wollen und war dabei rund 40 Kilometer vom Hafen entfernt auf das gut markierte Riff Blight aufgelaufen. Zum Zeitpunkt des Unfalls war das Schiff vorschriftswidrig vom Dritten Offizier und nicht vom Kapitän gesteuert worden, der sich in dem Gebiet besonders gut auskennen soll. Dem Kapitän und zwei anderen Besatzungsmitgliedern wurden, sieben Stunden nach dem Unfall, Blutproben entnommen.

Alaska ist mit einer Tagesproduktion von normalerweise zwei Millionen Barrel (ein Barrel sind 159 Liter) der größte Rohöllieferant der USA. Dies ist ein Viertel der US -Ölförderung. Deshalb besitzt Alaska für die USA sicherheits - und energiepolitisch große Bedeutung. Als vor zwei Jahrzehnten der Startschuß zum Rennen um das Alaska-Öl im hohen Norden fiel und trotz langer Kämpfe die Trans-Alaska -Pipeline von Prudhoe nach Valdez gebaut und vor zwölf Jahren eröffnet wurde, war es für viele Umweltschützer nur eine Frage der Zeit, bis es zur Katastrophe kommen würde. Sie stellen jetzt erneut die Frage, wie weit die Industrie in ihrem Durst nach Rohöl noch vordringen darf.

Die Frage ist äußerst aktuell: Ein 600.000 Hektar großer Küstenstreifen am Rand des Eismeeres, Teil des 7,5 Millionen Hektar großen Landschaftsschutzgebietes „Arctic National Wildlife Refuge“, soll nach dem Wunsch von der Industrie und der Regierung in Washington für Ölbohrungen freigegeben werden. Ölfirmen wollen ein neues Pipeline-stück durch die Tundra bauen. Der Energieausschuß des Senats hatte sich Anfang März mit zwölf gegen sieben Stimmen dafür ausgesprochen, im Schutzgebiet nach Öl zu bohren. Präsident Bush, der eine energischere Politik zur Bewahrung der Umwelt versprach, hatte bei einem Zwischenstopp in Alaska am 22.Februar die Erwartung geäußert, Umweltschutz und Wirtschaftsinteressen könnten unter einen Hut gebracht werden.

Die rund 550.000 Menschen des dünn besiedelten Staates, den die USA 1867 für 7,2 Millionen Dollar von Rußland erwarben, waren bereits im Januar durch eine Untersuchung aufgeschreckt worden: Chemische Substanzen, wie PCB oder das Unkrautvernichtungsmittel DDT, waren in jeder Nahrungskette nachgewiesen worden. Die höchste Konzentration stellten die kanadischen Wissenschaftler im Fleisch von Säugetieren wie Walen, Robben oder Eisbären fest.

Wenn das so weiter gehe, meinte der Experte des kanadischen Umweltministeriums, Dennis Gregor, bereits damals, müßten die Eskimos ihren Speiseplan vollständig auf Hühnchen und Rindfleisch umstellen.

mf