Schönhubers Ritt über den Bodensee

Während der Kanzler im österreichischen Urlaub den „großen Befreiungsschlag“ weghungern will, diskutierten Schwarze, Gelbe, Rote und Grüne mit Schönhuber auf schaukelndem Grunde über die parteipolitische Landschaft „the day after“ Kohl  ■  Aus Bregenz Otto Kallscheuer

Ein Standortvorteil Münchens, meinte die Korrespondentin der 'Süddeutschen‘, sei ja, daß man „Club 2“ vom ORF empfangen könnte - und daß die Sendung mit dem Chef der Republikaner, Franz Schönhuber, einfach von oben abgesagt worden sei, hätten alle schon blödsinnig gefunden. Obwohl man ja andererseits damit diesen Leuten nur Publizität verschaffe.

Nun - solche Bekanntheitsförderung hat Schönhuber wahrscheinlich nicht mehr nötig. Das wäre die erste Bilanz des als „Karfreitagszauber“ nachgeholten „verbotenen Clubs 2“, den der postmoderne Nationalist Günther Nenning auf der MS „Vorarlberg“ auf dem Bodensee veranstaltet hat. Gesponsort wurde der Zauber vom Privatfernsehen (RTL, Spiegel-TV, Linksrheinischer Rundfunk) und vom Life-style -Magazin 'Tempo‘.

Sehr zeitgeistig war das Ambiente allerdings nicht auf dem biederen Bodenseedampfer, den man auch aus Sicherheitsgründen als Streitort erwählt hatte: „Mit Gesang aufmarschierende böse Faschisten und liebe Antifaschisten können so vermieden werden.“ Über die mit bunten Eiern und geblümten Tischdecken geschmückten Kaffeetafeln, an denen sich die handverlesene Schar von Medienmenschen bequemen durfte, würde man im 'Tempo‘ üblicherweise mit kräftigem Schmäh und von Deix bemalten Ostereiern herziehen.

Kamera ab. Nenning. „Rechtsradikalismus in Deutschland Totschweigen oder diskutieren? Ich bin für diskutieren.“ Recht hat er - und das Diskutieren mit dem REP-König ist so einfach nicht, wie sich das mancher Antifa-Aktivist daheim in der linken Kneipe so vorstellen mag. Gekommen waren für die CDU Schönhuber-Freund Heinrich Lummer, für die FDP Gerhard Baum, für die Grünen Realo Kleinert und für die SPD Vordenker Peter Glotz. Letzteren adelte Schönhuber damit, daß er ihn mit dem österreichischen Rebell Victor Adler verglich. Dies sollte nicht die einzige Habsburger Reminiszenz bleiben.

Um es gleich vorwegzunehmen: Schönhuber siegte nach Punkten. Ein glänzender Communicator und ein mit allen Wassern des Mediengeschäfts gewaschener Allround -Populist, dem man mit herkömmlichen Antifa-Parolen, Rassismus- und Neonazi-Vorwürfen nicht beikommen kann. Im Gegenteil, man tut ihm damit noch einen Gefallen. Dann läuft der „bei meinen Umfrageergebnissen“ bestens gelaunte Schönhuber zur vollen Form erst auf; zieht den linken Nationalismus eines Kurt Schumacher aus der Tasche, „den ich bei der ersten demokratischen Wahl, die mir vergönnt war, gewählt habe„; spielt mit seinem Selfmade-Vorrat bildungsbürgerlicher Referenzen, zitiert Herder, beruft sich auf die Resistance („gerade der nationalstaatliche Gedanke hat Hitler, dem größten Verbrecher der Menschheit, das Handwerk gelegt“) und Kemal Atatürk, „den ich für den größten Mann dieses Jahrhunderts halte“.

Was die „Sachthemen“ Schönhubers anging, wurde die Ausländerfrage gleich von Lummer übernommen: Der Zustrom von Ausländern, Aussiedlern und Asylanten müsse begrenzt werden, „so viel neue Arbeitsplätze und Wohnungen können wir gar nicht schaffen, wenn immer wieder neue Leute von draußen nachkommen“. Schönhuber verteidigte das von den Republikanern befürwortete „Schweizer Rotationsmodell“ für Arbeitsemigranten und konnte die Angriffe auf die „antifaschistische Volksfront“ als eigentliche Wurzel von Gewalt in dieser Republik getrost Herrn Lummer überlassen.

Aber mehr als um heutige Sachfragen ging es schon um das Parteiensystem der 90er Jahre. Daß die Krise der Koalition in Wirklichkeit die der „gespaltenen Union“ sei, dieser These von Glotz mochte Lummer eigentlich nicht widersprechen; für ihn ist das Fünfparteiensystem bereits ausgemachte Sache, also die Republikaner als „demokratisch legitimierte Partei rechts von der Union“. Nicht das Überleben der Republikaner, sondern das der FDP sei das Problem, nachdem die „Mitte“ ihre Bindungskraft verloren habe. Es bleibt der Eindruck, die „Mitte“ ließe sich ähnlich wie in Biedenkopfs Krisendiagnose für die Union auch als Chiffre für „Kohl“ verstehen. Die Nach-Kohl-Ära hat bereits begonnen.

Die Krise der Koalition sei durch Kabinettsumbildungen nicht mehr zu beheben. Daß auch die Substanz der Koalition abgelaufen sei, durfte Baum natürlich nicht bestätigen. Doch die „Konstellation“ auf der „Vorarlberg“ zeigte eine neue Zweilagertheorie im bundesrepublikanischen Parteiensystem der 90er Jahre, zu deren Propagandisten sich Peter Glotz machte. Am Kaffeetisch jedenfalls argumentierte die „Ampel -Koalition“ Rot-Gelb-Grün mit verteilten Rollen (wobei der grüne Realo die traditionelle der SPD übernahm) für Geißlers multikulturelle Gesellschaft gegen das Duo Lummer-Schönhuber als Bannerträger des Nationalstaatsgedankens. Man müsse diesen jedoch (so Lummer) in der Europäischen Gemeinschaft „überhöhen“.

Hier nun holte Schönhuber zu einer deutlich „mitteleuropäisch“ akzentuierten Eloge auf die nationale Selbstbehauptung Deutschlands aus. „Städte wie Budapest, Wien und Prag sind europäischer als Porto oder Lissabon.“ Das Wiedererwachen der Völker zeige: „Der Wind dreht sich in Richtung Nationalstaat“, nicht zuletzt in Ost- und Mitteleuropa. Herders „Volksgeist“ sei heute in Polen, in Ungarn, in der Tschechoslowakei aktuell geworden, und damit eröffneten sich neue Chancen für den Wiedervereinigungsauftrag des Grundgesetzes.

Während der Grüne und der europäische Liberale eine neue Aktualität des Nationalismus in Europa nicht sehen wollten, schickt sich Schönhuber schon an, auch noch national -neutralistische Tendenzen aus dem grünen Lager rethorisch zu beerben. Wie der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn angesichts des Erwachens der „geschichtslosen Völker“ (Engels) zerbrach, so sieht Schönhuber ein Zerbrechen der EG voraus, die er nicht als westliche „Wertegemeinschaft“ (Baum), sondern nur als geschäftsführenden Ausschuß der Euromultis anerkennen will.

Hier - in der endlich wieder positiven Besetzung der nationalen Identität Deutschlands - liegt denn auch die populistische Grauzone, in der Schönhuber sich nicht von seiner Vergangenheit in der Waffen-SS, „einer politisch mißbrauchten und militärisch verheizten Elite“ distanzieren mag. Das ist kein Nazi. Er beherrscht Volkes Stimme besser als die Neonazis, in deren Potential er natürlich genauso wildert wie bei den „Schwarzen“. Er „war dabei“ und vermag daher das Aufbegehren des kleinen Mannes gegen das kommunikative Totschweigen der eigenen Nazi-Vergangenheit, die man auf einige wenige „Verdränger wie Höfer und Waldheim“ abgeschoben habe, zu treffen.

Diese Debatte hätte bessere Sendezeit verdient. Vor allem zur politischen Aufklärung über den Gegner: Die Erfolge der REPs und die Verwerfungen im bundesdeutschen Parteiensystem, die Integrationskrise der CDU und das nationale Rütteln an der Westbindung haben ein gemeinsames Gravitationszentrum. Nicht nur der Geißler-Flügel der CDU, auch die Linke muß sich entscheiden, ob sie den Nationalstaatsgedanken, die „völkische“ (Schönhuber) Identität des bundesdeutschen Staatsvolks, endlich über Bord werfen will: ob sie Verfassung, Bürgerrechte, Gewaltenteilung will oder Patriotismus, Identität, Wiedervereinigung. Daran hängt - so oder so - alles Weitere, die Bundesrepublik als postnationale Demokratie und Einwanderungsland, die Aussiedlerfrage, ein nicht reaktionärer Umgang mit den ökologischen Herausforderungen in Europa. Darunter geht's nicht. Sonst bleibt „multikulturell“ ein Adjektiv für Feuilleton und Festivals.