180.000 Menschen bei Ostermärschen

Zentrale Forderungen: Beseitigung aller Massenvernichtungswaffen, Verzicht auf Nachrüstung der Kurzstreckenraketen und sofortiges Verbot aller Tiefflüge / 5.000 umzingelten Kernkraftwerk in Biblis  ■  Von Wolfgang Gast

Berlin (taz/dpa) - Rote Fahnen, weiße Tauben und lila Luftballons kennzeichneten auch dieses Jahr die traditionellen Ostermärsche der Friedensbewegung. Von Sylt bis Sonthofen nahmen über die Osterfeiertage nach Angaben der Veranstalter weit über 180.000 Menschen an den über 300 Veranstaltungen teil. Schwerpunkte der diesjährigen Aktivitäten waren die Forderung nach der Beseitigung aller Massenvernichtungswaffen, der Verzicht auf eine Nachrüstung der Kurzstreckenraketen, ein sofortiges Verbot aller Tiefflüge und die generelle Senkung der Rüstungsausgaben.

Den Höhepunkt der Ostermärsche bildeten gestern zwölf Abschlußkundgebungen. Bei bestem Wetter marschierten Zehntausende beispielsweise in Hamburg, Hannover, Dortmund, Köln, Frankfurt, Nürnberg und West-Berlin zu den zentralen Kundgebungsplätzen. In Biblis umzingelten über 5.000 DemonstrantInnen den dortigen Pannenreaktor und 1.000 Teilnehmer weniger zählte die bundesweite Informationsstelle der Veranstalter beim Drei-Länder-Ostermarsch am Bodensee. Auf der Europabrücke zwischen Kehl und Straßburg trafen sich Gruppen der deutschen und französischen Friedensbewegung. Sie marschierten anschließend ins zehn Kilometer entfernte Stadtzentrum von Straßburg, wo sich über 6.000 zu einer Kundgebung unter dem Motto „Unser Europa braucht keine Waffen“ einfanden.

Nicht marschiert, sondern gefahren sind die Mitglieder des Motorradklubs „Kuhle Wampe“. Auf rund 450 Maschinen brausten über 600 DemonstrantInnen aus allen Teilen der Republik nach Bonn. Die Oster-Motorrad-Friedensfahrt endete vor dem Verteidigungsministerium, um gegen die „weiteren Aufrüstungspläne“ der Nato zu protestieren. Vom Marktplatz zur Urananreicherungsanlage zogen in Gronau etwas mehr als 200 DemonstrantInnen. Im Gegensatz zu den anderen vielfältigen Friedensaktivitäten hatten in Gronau überwiegend Dritte-Welt-Gruppen und Anti-AKW-Initiativen zum Protestmarsch aufgerufen. Bereits am Samstag beteiligten sich Tausende an einem Sternmarsch in der Münchner Innenstadt. Unter den roten Fahnen und den weißen Tauben auf blauem Grund fanden sich auch Transparente mit der Aufschrift „Hungerstreik der politischen Gefangenen Zusammenlegung jetzt sofort“.

Ob Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Björn Engholm mitmarschierte, war gestern nicht in Erfahrung zu bringen. Für die Kundgebung in Flensburg übermittelte er auf jeden Fall ein Grußwort, in dem er die Bundesregierung aufforderte, „das neue Denken in der UdSSR endlich mit eigenen zukunftsweisenden Aktivitäten positiv zu beantworten“.

Für den IG-Metall-Vorstand erklärte auf der Eröffnungskundgebung zum Ostermarsch Ruhr in Duisburg Karin Benz-Overhage, „jede Mark für die Rüstung ist eine Mark zuwenig für die Sozialabgaben“. Mit der Verlängerung des Wehrdienstes, milliardenschweren Rüstungsaufträgen und der „aus wahltaktischen Gründen verschobenen Entscheidung für die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen durchkreuzt die Bundesregierung die Abrüstungsinitiativen Michail Gorbatschows“. Schluß mit dem Rüstungswahnsinn, mit den Atomtests und der sogenannten Modernisierung forderte auch ihr Vorstandskollege Horst Klaus. In seiner Rede in Peissenberg geißelte er auch die Projekte Jäger 90, die modularen Abstandswaffen „und wie das Teufelszeug noch heißen mag“.

Daß es jetzt „Modernisierung“ anstelle von „Nachrüstung“ heiße, führte in Bremen die Theologin Dorothee Sölle auf die Furcht der Bundesregierung vor einer neuen Nachrüstungsdebatte zurück. Das Friedensbewußtsein in der Bundesrepublik sei zwar gestiegen, aber „der Frieden hat auch heute noch mächtige, profitgierige Feinde“. Diese säßen in der Nato-Führung, im Verteidigungsministerium und in der Rüstungsindustrie. Verteidigungsminister Scholz hielt die Theologin vor, er halte trotz der Katastrophen von Ramstein und Remscheid „in einer Art Stalingrad-Logik an seinen Tiefflugstunden fest“.

Die Remscheider Bürgermeisterin Ursula Gaschae verwies in einem Redebeitrag auf der Kölner Abschlußkundgebung auf die „Remscheider Mahnung“. Nach der Absturzkatastrophe vom 8.Dezember haben inzwischen mehr als 120.000 Menschen den Aufruf unterschrieben.