Brauerei-Geschäfte: Ein Faß ohne Boden

■ Ein Ex-Gastwirt und sein Anwalt klagen über dubiose Geschäftspraktiken der Berliner Kindl-Brauerei Mafiosiartige Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Gaststättenbesitzer und Brauerei sind kein Einzelfall

Hören Sie, wie es schmeckt. Sehen Sie, wie es schmeckt. Erleben Sie, wie es schmeckt - wer kennt es nicht, das Werbeplakat-Triptychon der Berliner Kindl-Brauerei. Für den Österreicher Herbert Holzer schmeckt das bittere Kindl-Bier inzwischen wohl eher nach einem Wermutstropfen. Den mafiosiartigen Geschäftspraktiken der Kindl-Brauerei nämlich verdankt der Wahlberliner seinen finanziellen Ruin.

Im Mai vergangenen Jahres hatte Holzer die Gaststätte „Zum Tönnchen“ in der Neuköllner Sonnenallee übernommen. Mit 60.000 Mark war er dabei und wurde neuer Besitzer des Lokals - sprich, des Inventars - nicht aber der eigentlichen Räumlichkeiten. Die nämlich hatte die Kindl-AG angemietet, so daß der neue Inhaber mit der Brauerei einen Untermietvertrag eingehen mußte. Ein solches Dreiecksverhältnis ist in der Gaststättenbranche durchaus üblich. Es garantiert den Brauereien den Ausschank ihres Gebräus am Tresen der betreffenden Kneipe. Der Wirt indessen begibt sich durch einen solchen Knebelvertrag in eine Abhängigkeit von seinen Bierlieferern, aus der er schwerlich wieder herauskommt. So auch Holzer: Als er seine Gaststätte verkaufen wollte, bekam er den Würgegriff von seiten der Kindl-Brauerei hart zu spüren. Wenig erfahren, wie der Österreicher war, hatte er alles Erdenkliche unterschrieben

-darunter sein pekuniäres Todesurteil.

Alsbald nämlich mußte der junge Wirt feststellen, daß sich das „Tönnchen“ zum Faß ohne Boden entwickelte: Die Gaststätte brachte nicht den erhofften Umsatz, was Holzer schließlich zur Kapitulation zwang. Daraufhin habe er, wie er sagt, der Brauerei zwölf Nachmieter und Kaufinteressenten angeboten. Da es sich jedoch ausschließlich um Ausländer handelte, wollte der Bierhersteller von ihnen nichts wissen. Die Brauerei hüllt sich hierzu in Schweigen. An Kindls Statt erklärt der geschröpfte Holzer deren Begründung: Nur Deutsche seien offenbar in der Lage, den gutbürgerlichen Charakter des Lokals zu bewahren. Ein Prosit der Gemütlichkeit - weniger gemütlich für den jungen Wirt, der seine finanziellen Felle buchstäblich in einer Bierlache davonschwimmen sieht.

Das Kapital für seinen Einstieg ins Schankgewerbe brachte der Österreicher mit Hilfe von Krediten auf. Zunächst einmal, so sein Anwalt Rainer Frank, habe er bei der Deutschen Bank ein Darlehen in Höhe von rund 30.000 aufgenommen. Da dies aber nur der halbe Kaufpreis für das „Tönnchen“ war, ging Holzer zur Sparkasse Berlin West. Die gewährte ihm die restlichen dreißig Mille aber erst, nachdem Kindl dafür gebürgt hatte.

Holzer indes ging pleite. Weil er daraufhin zwei Monatsmieten in den Rückstand geriet, sah sich Kindl veranlaßt, ihm den Untermietvertrag zu kündigen. Auf diese Weise wurde der Österreicher zwar wie erwünscht seine Kneipe los - mit ihr aber auch die unverbürgten 30 Mille von der Deutschen Bank. Grund: Die Brauerei ihrerseits fand zwar einen Nachmieter und Kaufinteressenten mit deutscher Staatsbürgerschaft, der aber übernimmt nur Holzers Schulden bei der Sparkasse. Andernfalls hätte die Kindl-Brauerei ihm wohl kaum die Räume in der Sonnenallee zur Untermiete überlassen. Kindl, der Bürge, ist dadurch fein raus, und der neue Tönnchen-Wirt „sitzt da jetzt drin für 'n Butterbrot“, wie der Vorbesitzer Holzer ärgerlich feststellt. „Noch eine Gemeinheit“, erläutert Anwalt Frank: Wenn Holzers Nachfolger durch höhere Gewalt die Schuld nicht mehr begleichen könne, sei sein Vorgänger wieder dran. „Holzer ist der Angeschmierte“, wie man es auch dreht und wendet. Um das Blatt eventuell doch noch zu wenden, trägt sich das Frank -Holzer-Gespann mit dem Gedanken, Kindl auf Schadensersatz zu verklagen. „Rechtlich ist das leider sehr wackelig“, seufzt der Anwalt und sieht dabei die Chance auf Erfolg bloß etwa dreißigprozentig. Mehr sei aber wohl nicht zu machen, denn Ausländerfeindlichkeit könne man dem Bierhersteller kaum nachweisen. Es scheint ohnehin ein schwieriges Unterfangen, Brauereien juristisch an den Karren zu fahren. Gastwirte, die sich auf wie immer geartete Verträge mit den Bier-Königen einließen, seien schließlich selber schuld, tönt's von der Hotel- und Gaststätteninnung. „Wir sehen das nicht als Knebelverträge“, ist von dort zu hören, wenngleich man fast täglich mit diesbezüglichen Beschwerden gepeinigter Wirte konfrontiert werde. Für die Innung, Kneipiers Freund und Helfer, ist das alles „kein Thema“. Schließlich könne man sich nicht um jeden gestrauchelten Schankwirt kümmern, dessen geschäftsmäßige Unkenntnis ihm ein Bein gestellt habe.

Unerfahrenheit kommt vor dem Fall - das meint auch Rolf Borstel, Inhaber des Kreuzberger Speiselokals „Zum Hecker“ und alter Hase in der Branche: „Wenn du blutiger Anfänger bist, kannst du mit Brauereien ganz schön auflaufen.“ Er rät jedem Frischling, sich erst einmal von einem Rechtsanwalt beraten zu lassen. Mit voreiligen Unterschriften könne man sich übel die Finger verbrennen. Anders als in Holzers Fall seien es oftmals die Brauereien selbst, die Darlehen zu günstigen Zinsen vergäben: „Sie zwingen einem den Kredit regelrecht auf.“ Auf diese Weise ist den Bier-Herstellern der Absatz ihres Produkts sicher - und zwar auf jeden Fall, solange der Kneipier seine Schulden abzahlen muß. In der Regel, so Borstel, gehe der kreditnehmende Wirt auch noch die Verpflichtung ein, innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine Mindestmenge Bier an den Kunden zu bringen. Es liegt auf der Hand, daß obendrein möglichst kein Fremdbier über die Theke kommen darf. Hat der Wirt auch noch das Pech, per Untermietvertrag an die Brauerei gebunden zu sein, ist er gefesselt und geknebelt.

„Das“, konstatiert Holzer-Anwalt Rainer Frank, „ist eine ganz brutale Geschäftspolitik, die mit Knebelverträgen die Gaststättenwirte zur Sau macht“ (es sei denn, man ist Schweinchen Schlau). Sein Mandant, so Frank, habe sich arg verschätzt, nicht ahnend, daß das „Tönnchen“ so wenig frequentiert sein würde. „Die Wirte gehen ein Risiko ein“, resümiert der Anwalt, „daß sie wirtschaftlich gar nicht gleich übersehen“. Die Brauereien indes machen sich den blauäugigen Elan der unerfahrenen Branchen-Neulinge schamlos zunutze. Der gelackmeierte Gastwirt Holzer nennt das Kindl beim Namen: „Die Stärkeren machen den Schwächeren kaputt“. Wen wundert's, daß ihm vor lauter Gram die Sprache entgleitet: „Ich finde, es ist beschissen“.

Heidi Wentsch