„Was uns (noch) trennt, ist Europa“

Heinrich Lummer (CDU) zur Zukunft der Parteienlandschaft in der Bundesrepublik  ■ I N T E R V I E W

taz: Kurt Biedenkopf hat Zweifel an der Reformfähigkeit der beiden Volksparteien CDU und SPD geäußert, und auch Ihrer Meinung nach hat das System der Volksparteien seine Integrationsfunktion in der BRD offenbar verloren. Sehen Sie damit auf die Zukunft der Bundesrepublik ein - wie auch immer geartetes - Fünfparteiensystem zukommen?

Heinrich Lummer: Ob es nun vier oder fünf Parteien sein werden, weiß ich nicht. Jedenfalls ist der Trend zum Zweiparteiensystem seit einiger Zeit gebrochen. Er hatte sich ja bereits so weit entwickelt, daß auf die beiden großen Parteien - und zwar ohne ein Mehrheitswahlsystem britischen Musters - über 90 Prozent der Stimmen entfielen; und das ist heute schlicht und einfach Vergangenheit. Nachdem es der SPD nicht gelungen ist, auf der linken Seite eine Parteigründung mit Aussicht auf Dauerhaftigkeit zu verhindern, steht nun die CDU für ihren rechten Rand vor derselben Frage: Sie wird sich natürlich darum bemühen, aber die Chancen, eine neue Rechtspartei zu verhindern, sehe ich nicht besonders rosig.

Seinerzeit wurde von verschiedenen CSU-Politikern die Idee einer bundesweiten Ausweitung der CSU in die Diskussion gebracht - eine Idee, der ja auch Sie nicht allzu fern standen. Wäre dies heute eine Möglichkeit, im Bereich des rechtskonservativen Wählerpotentials die Etablierung einer Stammwählerschaft für die Republikaner zu verhindern?

Bezogen auf die Vergangenheit, bin ich geneigt zu sagen: Wenn es in Frankfurt und Berlin neben der CDU auch die CSU gegeben hätte, dann hätten die Republikaner und die NPD keine Chance gehabt. D.h., wenn diese Partei dagewesen wäre, wäre eine Neubildung zu verhindern gewesen - aber die CSU wäre dann ja faktisch auch eine vierte oder fünfte Partei gewesen. Ob dies für die Zukunft noch gilt, wage ich zu bezweifeln. Ich war allerdings vor langer Zeit - im Umfeld von Kreuth - der Meinung, die CDU/CSU hätte selbst die Entscheidung über eine Veränderung des Parteiensystems in die Hand nehmen sollen. Aber das ist nur der Schnee von gestern...

Der CDU ist also das Heft des Handelns aus der Hand gerissen worden?

Ja, nicht wir haben es in der Hand, sondern Herr Schönhuber. Wir müssen reagieren und versuchen, die Wähler, die uns verlorengegangen sind, wiederzugewinnen.

Herr Glotz und in abgeschwächter Weise, mit sehr viel koalitionären Vorsichtsmaßregeln, auch Herr Baum haben von einer rot-gelb-grünen „Ampel-Konstellation bis Koalition“ gesprochen. Wenn wir einmal versuchen, die „Zweilagertheorie“ Heiner Geißlers auf ein solches Parteiensystem der 90er Jahre fortzuschreiben, dann haben Sie das Gegenüber einer kosmopolitanen rot-gelb-grünen Linken einerseits und zwei Parteien rechts von der Mitte CDU/CSU und Republikaner - andererseits. Gibt es dann für Sie überhaupt noch Möglichkeiten, langfristig einer Koalition mit den Republikanern auszuweichen, die dann als rechte Mehrheitsbeschaffer fungieren?

Zunächst einmal ist diese Koalition rot-grün-gelb ja ein Wunschtraum des Herrn Glotz, weil man sich nicht so ohne weiteres allein mit den Grün-Alternativen einlassen möchte. Die FDP koaliert ja in der Bundesrepublik gegenwärtig dort mit uns und andernorts mit der SPD, und wo der Standort der Freien Demokraten in der Zukunft sein wird, weiß niemand. Es wird jedenfalls schwer für sie sein, auf der linken Seite Wähler zu gewinnen. Ob nun auf der anderen Seite für die CDU/CSU partout nur eine Koalitionsbildung mit den Republikanern in Frage kommt, das kann heute noch niemand beantworten. Die Frage der Koalitionsfähigkeit der Republikaner kann man nur prinzipiell beantworten: D.h., solange sie sich innerhalb des Verfassungsrahmens bewegen, sind sie prinzipieller Koalitionspartner. Konkret aber kann man diese Frage deshalb noch nicht beantworten, weil keine ausreichende Programmatik dieser Partei vorliegt. Wenn man alleine an den für uns sehr wichtigen Punkt denkt „Wie hältst du's mit Europa?“, dann erfährt man dazu im Programm der Republikaner überhaupt nichts. Insofern ist die Koalitionsfrage derzeit noch gar nicht prüfbar. Künftige Entwicklungen sind absolut offen. Es hängt eben davon ab, ob diese Partei sich nach rechts hin klar genug abgrenzt, ob sie programmatisch umfassend und sauber wird und ob sie auch in ihrem politischen Stil in unsere Demokratie hineinpaßt.

Gibt es einen „Knackpunkt“, der es Ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt - gesetzt den Fall, es gebe in Bayern oder sonstwo die Mehrheitsverhältnisse - unmöglich machen würde, mit den Republikanern zu koalieren, einen Rubicon, der derzeit noch nicht überschritten werden kann?

Das ist für mich die Europafrage, weil hier bei den Republikanern eine absolute Unklarheit vorhanden ist - und eine deutliche Ablehnung der jetzigen EG, daran anknüpfend ihre fehlende Aussagefähigkeit zu wesentlichen Politikfeldern. Die Republikaner haben sich nur die populistischen Rosinen rausgesucht, die ihnen bei bestimmten Wählergruppen Stimmen eingebracht haben.

Interview: Otto Kallscheuer