Kriegsplanung unter politischem Make-up

Nach neunjähriger Anlaufzeit liegt jetzt der Entwurf eines Zivilschutzgesetzes vor / „Katastrophenschutzergänzungsgesetz“ geht in die parlamentarische Beratung / Krankenhäuser und Apotheken müssen sich auf den Verteidigungsfall vorbereiten  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Kasernierung von Beamten, Alarmpläne für Krankenhäuser, Dienstpflicht, Einschränkung zahlreicher Grundrechte - „Sind die Kriegsplaner jetzt vollends übergeschnappt?“ entfuhr es der grünen Bundestagsabgeordneten Christa Nickels, als sie den Entwurf für ein neues Zivilschutzgesetz studierte. Die Vorlage aus dem Innenministerium wurde vor Ostern vom Kabinett verabschiedet und geht im April in die parlamentarischen Beratungen. Neben „politischer Instinktlosigkeit“ hat Christa Nickels in Zimmermanns Paragraphenwerk auch „juristische Stümperei“ ausgemacht ein pikanter Vorwurf, denn kaum ein Gesetz hat so lange in den Geburtswehen gelegen wie dieses.

Mit dem Namen

wechselt die Taktik

Die sozialdemokratische Gesundheitsministerin Antje Huber legte 1980 den ersten Entwurf für ein sogenanntes „Gesundheitssicherstellungsgesetz“ vor. Die Notstandsplanung für Krankenhäuser beflügelte die Gründung von Friedensgruppen im Gesundheitswesen, Ärzte begannen sich dagegen zu wehren, daß der hyppokratische Eid durch Nato -Doktrinen ersetzt wird. Antje Hubers Entwurf verschwand im Papierkorb, ebenso wie unzählige andere Entwürfe in den folgenden Jahren.

Hatte sich der erste Anlauf schon rein sprachlich durch die Bezeichnung „Sicherstellungsgesetz“ in die Tradition der Notstandsgesetze gestellt, so wechselte über die Jahre mit den Namen der Projekte auch die Taktik: Gesundheitsschutz, Zivilschutz, Katastrophenschutz. Das politische Ziel blieb gleich: die Bewältigung eines Kriegs im zivilen Hinterland, die Einstimmung der Bevölkerung auf den Tag X. Fallengelassen wurde hingegen die Ambition, mit einem einheitlichen neuen Gesetz die gesamte unpopuläre Materie in den Griff zu bekommen, so wie es der Bundestag 1980 verlangt hatte, damals einstimmig, noch ohne die Grünen, und vor der Sensibilisierung des öffentlichen Bewußtseins durch die Friedensbewegung.

Der Name garantiert öffentliches Desinteresse

Nach neunjähriger Konfliktgeschichte hat das Kind nun einen Namen, der das öffentliche Desinteresse geradezu garantiert: „Katastrophenschutzergänzungsgesetz“. In der amtlichen Begründung wird allerdings Klartext geredet: „Das Gesetz dient allein der Abwehr kriegsbedingter Gefahren.“ Und so sieht diese „Abwehr“ aus: Sämtliche Gesundheitseinrichtungen müssen ihren „personellen und sachlichen Bedarf“ für den Verteidigungsfall ermitteln und den Behörden melden.

Unter diese Vorschrift fallen nicht nur Krankenhäuser, sondern auch Rettungs-, Blutspendedienste und Apotheken. Die Gesundheitsämter müssen mit dem Sanitätswesen der Bundeswehr dabei „eng zusammenarbeiten“, Ärztekammern, Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenhaus-Träger sind zur Mitwirkung bei der Kriegsplanung verpflichtet. Stellt ein Krankenhaus keinen Alarmplan für den V-Fall auf, droht ein Bußgeld bis zu 20.000 Mark. Die Bundesregierung wird ermächtigt, eine Meldepflicht für nichtberufstätige ÄrztInnen und Krankenschwestern zu erlassen - am Tag X soll keine Hausfrau der Rekrutierung entgehen. Aus der von Zimmermann ursprünglich gewollten Zivilschutzdienstpflicht ist auf Betreiben der FDP eine „Hilfeleistungspflicht“ geworden, zu der Männer und Frauen bis zu zehn Tagen pro Quartal eingezogen werden können, wenn nicht genug Freiwillige zur Verfügung stehen.

Diese Zwangsarbeit auf Zeit ist nicht an die Ausrufung des Spannungsfalls gebunden. Der „Bundesverband für den Selbstschutz“ - berühmt-berüchtigt durch seine früheren Empfehlungen, sich mit Aktentasche und Alu-Folie gegen atomaren Fall-out zu schützen - wird zur Bundesanstalt erhoben; ihr wird die gesamte Öffentlichkeitsarbeit zum Zivilschutz im Auftrag Zimmermanns übertragen.

Um die Einbeziehung der zivilen Hilfsorganisationen (Rotes Kreuz, Malteser, Johanniter etc.) in die militärische Katastrophenplanung, die jetzt erstmals gesetzlich festgeschrieben ist, gab es ein langes Tauziehen. Letztlich sind die Verbände aber vom Bund finanziell abhängig: Angesichts zunehmenden Konkurrenz- und Kostendrucks durch die Privatisierung im Rettungswesen können friedensmäßige Aufgaben oft nur wahrgenommen werden mit Hilfe von Zuwendungen und Ausrüstungen durch den Bund - die sind zwar für den Krieg bestimmt, können aber im Frieden mitbenutzt werden. Durch neue finanzielle Anreize versüßt die Gesetzesnovelle den Verbänden ihre Pflichten im Kriegsfall.

Beamte in Gemeinschaftsunterkünfte

Notstandsparagraphen reinsten Wassers sind die im Gesetz festgeschriebenen Änderungen des Beamtenrechts, die über entsprechende Grundrechtseinschränkungen für Arbeiter und Angestellte noch hinausgehen. Im Spannungs- und Verteidigungsfall können Beamte künftig nicht nur an neue Dienststellen zwangsverpflichtet werden; das Gesetz ermächtigt auch, sie in „Gemeinschaftsunterkünften“ zu kasernieren und Pensionäre aus dem Ruhestand zurückzuholen. Das Innenministerium argumentiert mit dem besonderen „Dienst - und Treueverhältnis“ der Beamten zum Staat, aus dem sich für den Kriegsfall eine „gesteigerte Pflichtenbindung“ ergäbe. Die Gewerkschaft ÖTV hält diese speziellen Zwangsmaßnahmen hingegen für verfassungswidrig und lehnt die „Militarisierung der Beamtenschaft“ mit „aller Schärfe“ ab. Anders als bei der kürzlich verabschiedeten Verordnung zum Arbeitssicherstellungsgesetz, wo der DGB erst zustimmte, um dann verspätet zu protestieren, hat sich der Gewerkschaftsbund diesmal die prinzipielle Ablehnung der ÖTV zu eigen gemacht: Es sei „überflüssig“ und „anmaßend“, mit der Funktionsfähigkeit der Verwaltung zu argumentieren, wenn es im Atomkrieg nichts mehr zu verwalten gebe.

Die Liberalen in Bonn rühmen sich, „in langen Verhandlungen“ die Gesetzesnovelle von „Ballast“ befreit zu haben. Zum abgeworfenen Ballast zählt die Bunkerbaupflicht für Privatwohnungen, die allerdings seit Jahren niemand außer der CSU für realisierbar hält.