piwik no script img

tikradiokritikradiokritikradiokri

■ RB-Hörspiel: „Libretto zu einem Klavierkonzert von Mozart“ (Kremer/Rachel)

Wenn man sich im Bereich des Hörspiels ein bißchen auskennt, weiß man das Autorengespann Rüdiger Kremer/Peter Dahl oder, seit ein paar Jahren, Rüdiger Kremer/Bernd Rachel zu schätzen, denn das Hörspiel wird allzu gern von Autoren sofern sie berühmt sind - dazu mißbraucht, ihre Buch-oder Bühnenwerke auch noch fürs Radio zu verwursten, oder sofern sie nicht so berühmt sind - ihr literarisches Wirken kurzerhand als Hörspiel zu deklarieren, obwohl es mit dem Medium wenig zu schaffen hat. Rüdiger Kremer hingegen gehört zu jenen Autoren, die ein libidinöses Verhältnis zum Radio haben. Seine Hörspiele sind Spielereien fürs Ohr, Spiel mit der Sprache, Spiel mit den Hörern, Spiel mit dem Medium, für das er schreibt. So auch bei diesem Hörspiel: Es hat die Dauer, also die „Echtzeit“ des Klavierkonzerts. Das „Libretto“ ist der assoziative Text, den eine Frau beim Radiohören spricht.

Zunächst hört man: jemand sucht einen Sender auf der Skala. Musik, Fetzen von Wortsendungen, und jetzt - man kennt die Ansagerin als „echte“ Stimme von Radio Bremen - wird das Klavierkonzert von Mozart „mit Alfred Brendel“ angekündigt. „Das haben wir mal mit Wilhelm Kempf gehört, in Köln“, sagt eine Frau versonnen. Es ist die Stimme Anne Rottenbergers, die man als Radio-Bremen-Hörer ebenfalls gut kennt übrigens eine der schönsten Sprechstimmen an diesem Sender. Und diese Stimme spricht nun das Libretto einer vereinsamten, verbitterten, verlassenen Frau. Erinnerungen an „den Manfred“, vom Klavierkonzert im Hintergrund ausgelöst.

Dieses sprachliche Vagabundieren in der Vergangenheit einer gescheiterten Beziehung wird ab und zu durchbrochen von kleinen, hämischen Bemerkungen zu dem, was die Frau von ihrem Fenster aus beobachten kann: den Umzug gegenüber, bei dem ein weißer Flügel im Pladderregen stehen bleibt, weil er nicht durch die Tür zu kriegen ist. „Schau“, sagt sie spöttisch zu ihrer Katze, „einen Flügel laden sie aus. Frau Bechthold lernt singen.“

Vieles aus der Vergangenheit fällt ihr ein, doch sie kreist immer mehr um diesen Mann, der sie verlassen hat, mit dem sie, einsam, wie sie ist, jetzt abrechnen will. Aber Kremer und Rachel lassen ihre Beziehungsgeschichte in der Schwebe: Sie ergreifen nicht einfach die Partei der Frau, die ihren Mann oder Geliebten als schwaches Scheusal modelliert - sie lassen sie sich auch erinnern an die Vorwürfe, die er ihr immer machte: „Unbewegt sitzt du da und hast nur eine Sorge

-daß sich nichts ändert.“ So, wie sie jetzt dasitzt und zum Fenster rausstarrt, hat er vielleicht so unrecht nicht gehabt. Und es ändert sich ja auch nichts durch das „Libretto“ - sie verpaßt sogar den Moment, da der Flügel ins Haus getragen wird. Das Konzert im Radio ist zu Ende, die leise Berieselung folgenlos geblieben. Aber sie hat das Radio gebraucht, um sich ein halbes Stündchen zu entlasten. Und Kremer/Rachel, diese verspielten Schlitzohren, haben womöglich sogar die Verkehrsmeldung, die um 20.32 Uhr das Hörspiel unterbrach, selber hineinmontiert.

Sybille Simon-Zülch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen