Papierkrieg in Khartoum - Hunger im Südsudan

Der Krieg zwischen Regierungstruppen und südsudanesischer Befreiungsarmee nagt an der Stadt / Hilfslieferungen für die umkämpften und eingeschlossenen Orte im Süden liegen auf Halde  ■  Aus Khartoum Ch.Wichterich

Auf dem Flughafen von Khartoum ist unser Koffer „mafi“. Er ist in eine Maschine nach Brüssel verfrachtet worden. „Mafi“ scheint mir ein ungemein wichtiges Wort in Khartoum zu sein. „Mafi“ heißt „gibt's nicht“. Zucker gibt's gerade nicht, Autoersatzteile gibt's nicht, Benzin gibt's so gut wie nicht und Brot gibt's nur für die, die um vier Uhr aufstehen und sich anstellen. „Malesch“ sagen die Sudanesen mit der Gelassenheit eines Kameltreibers. „Malesch“ heißt „macht nichts“.

Zur Begrüßung weht der Haboub durch die Stadt, ein heißer Wind aus der Wüste, der alles gelb einpudert wie Nebel bei milchigem Sonnenschein, den nächsten Häuserblock verschwimmen läßt, in den Augen brennt, Nase, Mund und Kehle in Minuten austrocknet. Khartoum wirkt wie eine der Wüste abgetrotzte Stadt, und tagaus, tagein versucht die Wüste, sie zurückzuerobern. Alles ist lehmfarben, nicht nur die riesig ausgedehnten Lehmhüttensiedlungen, sondern auch das Geschäftszentrum, wo der Putz gewaltig abbröckelt, die wenigen Gebäude aus Beton und Stahl und selbst die Bäume in der Stadt. Der Wind häuft überall kleine Dünen aus Staub und Abfall auf, die Fußgänger stapfen am Straßenrand durch Sand.

Expertenpalaver

Der Taxifahrer setzt uns vor einem Gebäude ab, von dem er behauptet, es sei das Acropole Hotel. Etwas verblüfft sehen wir in die Haushülse hinein, die einmal das Acropole war, bevor im Mai letzten Jahres eine Bombe das Restaurant und acht Menschen in Stücke riß - angeblich, weil das Hotel die Brutstätte für den amerikanischen und britischen Einfluß im Sudan war.

Auf der anderen Straßenseite betreiben die Pagoulatos, eine griechische Familie, seit drei Generationen in Khartoum ansässig, das Hotel weiter - so wie sie es seit 35 Jahren taten. Hierher kommen sie alle, die weißen Experten, die Söldner der Entwicklungshilfe und die Profis der Katastrophenhilfe, denn in dieser Oase der Effektivität in Khartoum funktionieren Telefon und Telex. Kein Kunststück, drei Typen von Experten zu unterscheiden: den Technokraten, den Humanisten und den Abenteurer - jeder mit einem eigenen Sendungsbewußtsein. Beim viergängigen Dinner tauschen sie ihren Frust über den Hürdenlauf durch Ministerien und Behörden aus, teilen ihren Zynismus über das Elend der Flüchtlingslager und den Hunger im Südsudan mit.

Terry, Brite, Energiebündel Typ Technokrat - frühere Einsätze Äthiopien und Afghanistan -, ist Fachmann für Hilfslieferungen aus der Luft. Skandinavische Kirchenorganisationen haben ihn angeheuert, um die hungernde Bevölkerung von Torit aus der Luft zu versorgen. Landen ist nicht angesagt in Torit, denn die SPLA (Sudanese People's Liberation Army), die Armee der südsudanesischen Befreiungsbewegung SPLM (Sudanese People's Liberation Movement), hat mit Abschuß gedroht. Torit ist von den Rebellen eingeschlossen, und der Bischof der Stadt hat gefunkt, daß niemand überleben wird, wenn nicht umgehend Hilfe von außen kommt. Terry schlägt seit Wochen bürokratische Schlachten mit der Regierung. Sie will garantiert haben, daß nichts von den Hilfsgütern in die Hände der Rebellen fällt. Terry hat einen geeigneten „Flieger“ aufgetrieben, hat einen Piloten an der Hand, die Hilfsgüter liegen längst bereit, und auch die Fallschirme sind gestiftet und vor Ort. Gerade sind zwei Profis für das Laden der Maschine und ihr Entladen in der Luft zu ihm gestoßen - ein diffiziler Balanceakt, bei dem jedes Ungleichgewicht die Maschine unweigerlich zum Kippen bringt. Operiert werden soll in 3.000 Meter Höhe, damit die SPLA die Maschine nicht runterholen kann. Kosten: etwa eineinhalb Millionen Dollar für drei Monate. Und wieviele leben noch in Torit? Das weiß niemand, vielleicht 1.500, auf keinen Fall mehr als 3.000. Am Nebentisch packen Franzosen einen mitgebrachten Camembert aus. Drei Tage später ist der Plan mit den Fallschirmen gestorben. Jetzt sollen die Getreidesäcke gebündelt und verpackt ohne Fallschirm abgeworfen werden. Beim Aufprall platzt die äußere Hülle auf, die Säcke nicht - eine in Äthiopien bereits erprobte Methode. Problem: niemanden mit solch einer Getreidebombe zu erschlagen. Eine Woche später nimmt die SPLA Torit ein. Terrys Plan ist geplatzt.

Handel mit Hilfslieferungen

Nach dem Besuch einiger Ministerien verstehe ich den Horror vor den Behörden besser. Die Büros beeindrucken durch eine kafkaeske Leere, sind spärlich möbliert mit Metalltischen, -stühlen und -schränken und wirken seltsam unbenutzt, weil keine Anzeichen wie Schreibwerkzeuge, Papier, Aktenordner oder ähnliches auf Büroarbeit hindeuten. Mit einem Blick, der bis an den Horizont der Wüste zu gehen scheint, sitzen SekretärInnen in den Büros, als wären die Räume lediglich ein Windschutz, sie selbst nur TürsteherInnen, die den Zugang zum Allerheiligsten der Administration überwachen.

Hier müssen die Hilfswilligen ihre Deals mit der Regierung aushandeln. Denn die Regierung sitzt am längeren Hebel und entscheidet, wann was wohin geliefert werden darf. Der Hunger und die Nahrungsmittelhilfe sind zu ganz alltäglichen Waffen geworden. Zwar versichert die Regierung nimmermüde, wie sehr ihr die hungernden Südsudanesen am Herzen liegen. Doch alle Hilfsorganisationen, die der Vereinten Nationen, der ausländischen Regierungen und die Nicht-Regierungs -Organisationen können ein Lied davon singen, wie ihre Arbeit verzögert, lahmgelegt und sabotiert wird. Während sie sinnlose Papierkriege führen, verhungern die Leute, für die sie Tonnen von Lebensmitteln bereitstehen haben.

Dominique Buff, Leiter des Internationalen-Rote-Kreuz-Büros in Khartoum, erzählt von seiner leidvollen Erfahrung im letzten Jahr. Das IRK war die erste Organisation, die Hilfsgüter sowohl in von den Rebellen als auch von der Regierung kontrollierte Gebiete lieferte. Im März begannen die Verhandlungen mit beiden Seiten - die SPLA lavierte und taktierte, die Regierung tat eine Vielzahl bürokratischer Fallgruben auf, Transportprobleme tauchten auf. Im Juni hatte das IRK alles nach Khartoum geschafft: die Flugzeuge, die Hilfsgüter, das Personal. Doch erst am 4.Dezember flog die erste Herkules des IRK in die Provinzhauptstadt Wau. Für viele zu spät, denn zwischen August und November waren dort die meisten der Hungernden gestorben.

Oft ist ein Kuhhandel nötig. Der viel bejubelte Zug zum Beispiel, der, finanziert von der Weltbank, der EG und US -AID unter Armeeschutz 25 Waggons mit Nahrungsmitteln in die von der SPLA umlagerte Garnisonsstadt Aweil transportierte, führte auch 70 Waggons mit militärischer Ausrüstung mit. Arabische Händler waren ebenfalls mit einigen Wagen mit von der Partie. Sie machen überall mit den Militärs gemeinsame Sache, horten alles Lebensnotwendige und treiben die Preise auf den Märkten ins Astronomische. „Die ganze Nahrungsmittelhilfe ist eine Täuschung“, schimpft Bona Malwal, Herausgeber der regierungskritischen Tageszeitung 'Sudan Times‘. „Auf jede Maschine mit Hilfsgütern, die in Juba landet, kommen zwei Militärmaschinen.“ Der Krieg kostet die Regierung inzwischen eine Million Dollar pro Tag. Da er von keiner Seite zu gewinnen ist, wird aus der Zahl der Hungernden und Flüchtlinge Profit geschlagen.

Hungerkatastrophe

In den Büros der Hilfsorganisationen in Khartoum jagt eine Krisensitzung die andere. Es ist fünf vor zwölf, denn wenn im Mai der Regen im Süden einsetzt, kann nur die Luftbrücke nach Juba fortgesetzt werden. Keine andere Stadt hat eine wetterfeste Piste. Der Hunger steht vor der Tür.

An den grünen Tischen in Khartoum wird spekuliert: Wieviele Menschen strömen in die Städte, auf der Flucht vor den Milizen, den Rebellen, vor Hunger und Krankheit, angelockt durch die Flugzeuge mit den Hilfslieferungen? Zigtausende kommen gegenwärtig nach Aweil, in der Hoffnung, irgendwann auf den oben erwähnten Zug aufspringen zu können, falls er jemals zurück in Richtung Khartoum fährt. Schätzungsweise 430.000 Flüchtlinge benötigen in den nächsten Monaten Nahrungsmittelhilfe. „Wie wir auch hin- und herrechnen“, sagt ein Mitarbeiter der Emergency Unit von UNDP, „zweihundert- bis dreihunderttausend Menschen bleiben immer übrig. Und dieses Mal kann niemand sagen, er habe es nicht gewußt.“

Die auf Druck des Militärs neu gebildete breite Regierung Sadekel Mahdis hat Anfang der Woche ein längst überfälliges Friedensangebot an Oberst Garang gemacht. Damit besteht die Hoffnung, daß Straßen, Schienen und Flüsse als Transportwege benutzt werden könnten. „Kann denn die Rekordernte, die nach den starken Regenfällen des letzten Jahres gerade in einigen Landesteilen eingefahren wird, Grundlage für eine Lösung des Problems sein?“, frage ich Informationsminister Beschir Omer. „Die Regierung hofft“, sagt Omer, „Durra, Erdnüsse und Sesam exportieren zu können - wegen der dringend benötigten Devisen.“

Stadt im Ausnahmezustand

Khartoum ist eine friedliche Stadt, und trotzdem ist der Krieg gegenwärtig. 1,5 bis 2,4 Millionen Flüchtlinge aus dem Süden, dem Westen und aus Eritrea und Tigray leben in der Stadt, mehr also als die circa eine Million „ursprünglicher“ Einwohner. Die Ärzte streiken wegen miser Bezahlung und miserabler Ausstattung der Krankenhäuser. Die Herausgeber von Zeitungen und Zeitschriften klagen, daß sie keine Anzeigen bekommen. Wofür soll man auch werben? Es ist ja kaum etwas in den Geschäften und wenn, dann nur ganz kurz. Lange Schlangen in der Früh beim Bäcker, viele Taxifahrer schlafen in ihren Autos vor den Tankstellen, bis sie ihre Ration Benzin bekommen, Abdul, bei dem wir Stammkunden sind, kauft Benzin für den dreifachen Preis auf dem Schwarzmarkt. „Am liebsten würden alle in die Golfstaaten gehen“, lamentiert er, in Khartoum ginge doch alles den Bach runter mit dieser Regierung, „die nur quatscht und nichts tut“. Und wie alle verwöhnten Städter nörgelt er, daß selbst das Brot nicht mehr schmeckt. Die Bäcker verlängern das Weizenmehl mit Durra (Hirse), weil die USA die Weizenlieferungen eingestellt haben, nachdem die sudanesische Regierung zweimal nicht bezahlt hat.

Den Reichen mangelt es jedoch an Nichts, nicht einmal an Mercedezen - sandfarbenen, versteht sich. Und wird etwas gebraucht, fliegen sie es eben aus Abu Dhabi ein. Die haben ihre Farmen am Nilufer und feiern hinter der streng islamischen Fassade nicht so streng islamische Feste - wird erzählt.

Flüchtlingssiedlungen

Wenn man denkt, die Stadt hört auf und die Wüste fängt an, kommt man nach Angola. Angola, eine Siedlung aus Lehmhütten, ist fast so alt wie der Bürgerkrieg zwischen der Befreiungsbewegung SPLM und der Regierung im Süden, nämlich sechs Jahre. Die Bewohner Angolas gehörten zu den ersten, die nach Khartoum geflohen sind. Die Spuren der Überschwemmung vom letzten August sind noch überall sichtbar. Die Flachdächer der Hütten waren sämtlich eingestürzt, von einigen stehen nur noch Mauerstücke. Offiziell existiert Angola nicht. Und all die anderen Flüchtlingssiedlungen und -lager genausowenig. „Ungeplante Gebiete“ lautet die bürokratische Sprachregelung. Die Stadtverwaltung ist nur für „geplantes Gebiet“ zuständig. Für Angola bedeutet das: Auch nach sechs Jahren gibt es keine Strom- oder Wasserversorgung, keine sanitären Anlagen, keine medizinische Versorgung. Wasser kaufen die Bewohner vom „donkeyman“, dem Mann, der in Fässern auf einem Esel Wasser holt. Nach der Überschwemmung hat die Regierung aus Angst vor Seuchen erlaubt, daß Nicht-Regierungs -Organisationen wie der sudanesische Kirchenrat, die katholische Sudan Aid und das Deutsche Notärzte-Komitee Gesundheitsdienste in Angola und anderen Siedlungen aufbauen. Vor kurzem haben nun auch die Muslims ihr Herz für die Armen entdeckt. Eine muslimische Hilfsorganisation, verlängerter Arm der islamischen Partei NIF, taucht plötzlich in den Lagern auf, um den christlichen Organisationen das Feld nicht allein zu überlassen.

Im Stadtzentrum von Khartoum hat man oft den Eindruck, daß muslimische Araber, muslimische Afrikaner und christliche Afrikaner friedlich neben- und miteinander leben. Doch als die Muslims kürzlich in Daressalaam, der Nachbarsiedlung von Angola, ein Zelt unmittelbar neben der katholischen Kapelle aufbauten, schlugen militante Christen es kurz und klein. „Warum sind sie nicht während der Überschwemmung gekommen, als es uns wirklich dreckig ging?“ fragen die aufgebrachten südsudanesischen Christen. „Sie benutzen die Hilfe jetzt nur für ihre religiösen Zwecke.“

Ein kleiner Spiegel des Bürgerkriegs im Südsudan vor den Toren des anscheinend so friedlichen Khartoum - aber auch ein Funke, der leicht überspringen könnte. Die Männer aus der Siedlung werden als Bauarbeiter, als Landarbeiter für die Ernte angeheuert oder für die Armee rekrutiert. Bald werden sie aus den Baracken unweit von Daressalaam zum Kampf gegen die SPLA in den Süden befördert. Da sollen dann Dinkas unter der Fahne einer ungeliebten Regierung gegen Dinkas kämpfen, Christen im Namen des Islam gegen Christen - sicher einer der Gründe für die geringe Kampfmoral der Armee.

Im Vergleich zu Angola und Daressalaam ist Hilla Schoot ein elender Slum, Hütten aus Stroh, Pappkarton, Plastikplanen und allen möglichen Resten für 35.000 Flüchtlinge. Wie die meisten in Hilla Schoot kam Ashan, eine hagere junge Frau mit gleichmäßig tätowiertem Gesicht, vor drei Jahren nach Khartoum. „Die Araber haben alles zerstört und nahmen unser Vieh.“ Auf der Flucht von Bentiu über Kadugli starben zwei ihrer Kinder, das dritte verlor sie im Lager. Und die anderen Frauen in Hilla Schoot, viele ohne Mann, wie kommen sie über die Runden? „Irgendwie.“ Nach längeren Ausweichmanövern erzählen sie, daß viele Bier und Schnaps brauen und einige als Prostituierte in die Stadt gehen. Nach ein paar Tagen werden sie regelmäßig von der Polizei aufgegriffen, eingebuchtet und schließlich nach Hilla Schoot zurückgebracht.

Auf dem Weg zurück von Hilla Schoot ins Stadtzentrum kommt man an einem riesigen Busfriedhof vorbei. Hunderte, wenn nicht mehr als tausend nagelneue brasilianische Busskelette stehen ordentlich nebeneinander aufgereiht, eingezäunt. Überall fehlt der Motor. Gab es keine Devisen, keine Importlizenzen für die Motoren? Warum diese Impotenz, diese Ohnmacht? Die Busgesichter, die mich mit weitaufgerissenen motorlosen Mäulern anstarren, scheinen alle „malesch“ zu sagen, macht nichts.