Europäisches Doping für den Champion-Chip

Die EG subventioniert mit mindestens acht Milliarden Mark ein Institut von Siemens, Philips und Thomson, in dem der 64-Megabit-Chip zum Kampf gegen die Elektronikindustrie Japans und den USA entwickelt werden soll / Standort: Bundesrepublik - aber wo? / Der Norden hat bessere Chancen  ■  Von Felix Berth

Nein, Jessi ist nicht der neue Spielkamerad von Alf. Das Ding mit dem niedlichen Namen ist ein riesiges europäisches Milliardenprojekt zur Chipherstellung und heißt auf gut deutsch: Joint European Submicron Silicon. In den neunziger Jahren soll das Projekt die europäische Mikrochip-Forschung nach vorne bringen - vor die Marktführer Japan und USA. Gerade haben die Wirtschaftsminister aller Bundesländer wieder vereint gemahnt: Eile sei jetzt notwendig, um den Vorsprung aufzuholen, „höchste Priorität für den Zeitfaktor“ hieß es auf ihrer Ministerkonferenz vor zwei Wochen. Und auch die Kommunalpolitiker in Nord und Süd erkennen ihre Chancen und wünschen sich „Jessi“ vor der eigenen Haustür. Der Wettkampf um Jessis Standort hat begonnen.

Das europäische Jessi-Institut wird einen ganzen Forschungszweig zentral leiten: die Entwicklung immer kleinerer Mikrochips mit immer höheren Kapazitäten. Das Ziel markieren die Jessi-Forscher mit einem Schlagwort: Sie wollen den „64-Megabit-Chip“ entwickeln. Dieser winzige Baustein wird 16mal mehr Informationen aufnehmen als der derzeitige Top-Chip, der Vier-Megabit-Chip, der vor kurzem entstand. Zweiter, ergänzender Schwerpunkt von Jessis Arbeit: die Anwendung dieser neuen Chips, so daß einige Wissenschaftler schon heute tüfteln, wie sie Elektronikbausteine einsetzen können, die andere Wissenschaftler noch nicht einmal konstruiert haben.

Geplant haben Jessi hauptsächlich Deutsche und Holländer: aus der Bundesrepublik das Fraunhofer-Forschungsinstitut und Siemens, aus den Niederlanden die Forscher von Philips und dem Institut TNO. Seit kurzem ist neben Siemens und Philips ein dritter Chiphersteller, die französisch-italienische „SGF-Thomson“ beteiligt; außerdem steigen jetzt auch Firmen ein, die Chips benutzen und verarbeiten. Die Jessi-Planer gehen zur Zeit davon aus, daß die europäischen Staaten und Firmen in das Projekt ungefähr acht Milliarden Mark investieren, wovon allein der Bundesforschungsminister eine Milliarde zuschießt. Die Laufzeit des Programms: bis 1996. Etwa 1.000 Leute sollen bis dahin für Jessi arbeiten.

Soweit sind die Pläne bekannt. Doch zwei wesentliche Fragen sind noch nicht beantwortet: Wo wird das Jessi-Institut aufgebaut? Bekannt ist bisher nur, daß es wohl in der Bundesrepublik angesiedelt wird. Die zweite, wichtigere Frage: Was wird alles am Standort zu finden sein? Ein kleiner organisatorischer „Kopf“, der nur Aufgaben verteilt oder ein völlig neuer Technologiepark mit Labors und Instituten?

In einem halben Jahr wollen die Jessi-Planer auch diese Fragen beantworten. Doch schon heute reißen sich Politiker darum, Jessi in ihre Region zu holen, auch wenn sie noch kaum etwas darüber wissen. Denn egal, ob nur eine zentrale Verwaltung entsteht oder teuere Labors gebaut werden: Jessi bringt Arbeitsplätze, Gewerbesteuer und Prestige für die Region.

Der Favorit in diesem Kampf ist bisher das norddeutsche Itzehoe, wo sich die Jessi-Planer schon heute treffen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Dietrich Austermann, der dort seinen Wahlkreis hat, kämpft schon lange für Jessi: „Der Süden Deutschlands hat sich so mit Hochtechnologie vollgesogen, daß das Jessi-Institut im Norden gerechtfertigt ist“, argumentiert er. Und bis vor kurzem schien Austermann sich langsam und leise durchzusetzen. Sogar Franz Josef Strauß gab zu Lebzeiten dem Süden nach einem Gespräch mit Forschungsminister Riesenhuber nicht viele Chancen: „Im Forschungsministerium scheint Sympathie für einen norddeutschen Standort zu bestehen“, vermutete Strauß noch letztes Jahr.

Doch die Bayern geben nicht auf. Erich Kiesl, früher Münchner Bürgermeister, jetzt für die CSU im Landtag, will Jessi unbedingt in seine Heimatstadt holen. Und im Münchner Stadtrat kämpfen die CSU-Männer Helmut Gittel und Albert Schottenheim für Jessi. Auf Kriegsfuß mit den Norddeutschen und der Rechtschreibung argwöhnen die beiden in einem Statement: „Es dürfte hier ein hartes Rennen zwischen dem Norden und dem Süden geben, vorausgesetzt, der Süden wurde nicht schon vom Norden ausgetrixt.“

Auch Münchens Sozialdemokraten hätten Jessi gerne in der Region und unterstützen die CSU - freilich schwankend zwischen Fortschrittseuphorie und Angst vor den sozialen Kosten dieses Fortschritts. Bedrängt von den Grünen, die vor höheren Mieten und mehr Verkehr warnen, gesteht ein Wirtschaftsmann der Münchner SPD, Hermann Memmel, schon einige Probleme zu. Doch: „Wir denken, daß die Vorteile die Nachteile überwiegen. Denn das Projekt könnte auch für Baufirmen und andere Unternehmen, wie zum Beispiel Putzfirmen, Arbeitsplätze bringen.“ Reinlichkeit tut Not im Chip-Gewerbe.

Doch der Einfluß der Kommunalpolitiker bleibt begrenzt. Wo Jessi schließlich steht, handelt die Industrie allein mit dem Forschungsminister aus. Und Klaus Knapp, angestellt vom Jessi-Beteiligten Siemens, will sich noch nicht festlegen: „Weiß der Kuckuck, wo Jessi stehen wird. Das einzig wichtige ist doch, daß ein Flughafen in der Nähe ist. Und da fallen nur Gebiete wie der Bayerische Wald raus.“