Sowjet-Elite scheiterte reihenweise

Wahlniederlagen für Parteigrößen auch in entlegeneren Regionen / Regierungssprecher deutet innerparteiliche Konsequenzen an / Polnische Zeitungen begrüßen „die Lektion in Demokratie“  ■  Von Matthias Geis

Berlin (dpa/afp/ap) - Auch in den abgelegeneren Regionen der Sowjetunion mußte die örtliche Parteielite bei den jüngsten Kongreßwahlen herbe Niederlagen einstecken. Mit den Ergebnissen aus Weißrußland, Georgien, Usbekistan und Sibirien hat sich das bereits in den letzten Tagen offenkundige Prominenten-Fiasko in Moskau, Leningrad und Kiew als landesweiter Trend stabilisiert. Auch gestern konnte sich die sowjetische Parteispitze noch nicht zu einer Wertung der Ergebnisse durchringen. Lediglich Regierungssprecher Gerassimow kündigte mögliche innerparteiliche Konsequenzen für durchgefallene Kandidaten an. Allerdings hatte Gorbatschows Vorschlag auf der Parteikonferenz im Juni letzten Jahres, durchgefallene Kandidaten sollten ihre Parteiämter abgeben, damals keine Mehrheit gefunden.

Solange diese Frage nicht entschieden ist, können die Wahlverlierer vom Sonntag noch hoffen. Zu ihnen gehören auch der Stadtparteisekretär der weißrussischen Hauptstadt Minsk sowie seine Kollegen aus den Regionen Gomel und Moghilow. Der stellvertretende Minister von Weißrussland, Juri Chussainow, blieb ebenfalls unter der 50-Prozent-Marke. Der Parteichef der Republik wurde gewählt.

In Usbekistan scheiterten der Parteichef der Region Andijan, der Stadtsekretär von Samarkand sowie der Rektor der Universität Taschkent. Weitere Niederlagen gab es für hohe Parteifunktionäre im Ural sowie in mehreren sibirischen Regionen. Demgegenüber konnte sich der georgische Parteichef durchsetzen. Aus Armenien lagen bis Redaktionsschluß noch keine gesicherten Ergebnisse vor. Allerdings soll die Wahlbeteiligung in der von Nationalitätskonflikten geschüttelten Republik unter 30 Prozent gelegen haben. Oppositionsgruppen hatten dort zum Wahlboykott aufgerufen.

In 68 Wahlkreisen werden ab 9. April Stichwahlen zwischen den Erstplazierten angesetzt, weil keiner der Kandidaten die erforderliche absolute Mehrheit erreichte. Neuwahlen werden in weiteren 168 Wahlbezirken fällig, weil dort konkurrenzlose Einzelkandidaten am Wählervotum scheiterten.

Am Montag hatte die Parteizeitung 'Prawda‘ die emotionalisierte Wahlatmosphäre kritisiert, während die 'Iswestija‘ von einer „Schule der Demokratie“ sprach seitdem hielt sich die sowjetische Presse mit Kommentierungen zurück. Auch die DDR druckte in den letzten beiden Tagen die sowjetischen Wahlergebnisse ohne weitere Wertung. Demgegenüber reagieren die polnischen Medien überwiegend positiv auf den Wahlausgang. Das staatliche Radio begrüßte den Erfolg Jelzins, und auch die polnische Presse weiß, was sich ereignet hat: „eine Lektion der Demokratie“.