Die Zeit verrinnt

■ Der Hungerstreik der RAF-Gefangenen in der neunten Woche / Seit gestern hungern neun von ihnen

Noch nennen die Justizbehörden den Gesundheitszustand von Karl-Heinz Dellwo und Christa Eckes, die am 1. Februar den Hungerstreik begonnen haben, „stabil“. Doch beim RAF -Hungerstreik 1985 waren Knut Folkerts und Lutz Taufer schon nach kürzerer Zeit als den jetzt verstrichenen acht Wochen ins Koma gefallen. Ärzte wissen, daß der Zeitpunkt nicht vorherzusagen ist - er kann in zwei Wochen, aber auch schon in zwei Tagen eintreten. Für Verhandlungen bleibt jedenfalls nicht mehr viel Zeit.

Drei Frauen bilden das vierte Glied in der Kette der hungerstreikenden Gefangenen aus der RAF und anderen militanten Gruppen. Gestern schlossen sich, zwei Wochen nach Brigitte Mohnhaupt und Adelheid Schulz, die in Lübeck inhaftierten Irmgard Möller und Hanna Krabbe sowie Ingrid Barabaß in Frankfurt-Preungesheim der Aktion an. Damit befinden sich jetzt insgesamt neun Gefangene im Hungerstreik, der seit dem 1. Februar andauert.

In einer sehr persönlichen Erklärung läßt die 37jährige Pädagogin Ingrid Barabaß keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit, den kollektiven Hungerstreik bis zur Erfüllung der Forderung nach Zusammenlegung durchzuhalten. Gegenüber 1981, als die Gefangene bereits einmal nach einer früheren Verurteilung an einem Hungerstreik teilnahm, sei „alles anders“, schreibt Ingrid Barabaß. „Alles, was uns unerträglich ist, legen wir in diesen Fight rein und drehen es so gegen sie um.“ Das sei allein nicht möglich, sondern nur im Kollektiv.

„Es ist genau das“, schreibt sie weiter, „die tiefe Zerstörung des Menschen durch das System und die Unerbittlichkeit der auflösenden, zersetzenden Wirkung der Isolation ernst zu nehmen und zu begreifen, daß ihre Umkehrung - in der du deine Menschlichkeit wiederherstellst

-die Dimension von Befreiung ausmacht. So wird sie für einen selbst spürbar und zu Kon tinuität.“

Bei der Zusammenlegungsforderung gehe es darum, schließt die Gefangene ihre Erklärung, „den Raum (zu) erkämpfen, wo wir selbstbestimmte Prozesse und unsere politische Diskussion, auch mit draußen, angehen können“.

Ingrid Barabaß wurde zuletzt im Sommer 1985 festgenommen und im März 1987 als Mitglied der RAF vom OLG Frankfurt zu vier Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Früher hatte sie der „Bewegung 2.Juni“ angehört.

Irmgard Möller sitzt von allen RAF-Gefangenen am längsten hinter Gittern. Sie wurde im Juli 1972 gemeinsam mit Klaus Jünschke verhaftet und zunächst zu viereinhalb Jahren Knast verurteilt. Aufgrund der Aussage eines „Kronzeugen“ wurde sie später wegen des Anschlags auf das US-Hauptquartier in Heidelberg im Mai 1972 zu lebenslanger Haft verurteilt. Als einzige von vier Gefangenen überlebte sie im Oktober 1977 die Stammheimer Todesnacht - mit mehreren Stichwunden in der Brust. Hanna Krabbe - die dritte, die sich gestern der Streikkette anschloß - gehörte 1975 zu der Gruppe der RAF, die die deutsche Botschaft in Stockholm überfiel, um Gefangene in der Bundesrepublik freizupressen. Bei dem Überfall kammen zwei Mitglieder der Gruppe und zwei Diplomaten ums Leben. Auch Hanna Krabbe wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

Unterdessen erklärten mehrere Anwälte übereinstimmend, der Gesundheitszustand der seit über acht Wochen hungerstreikenden Gefangenen Christa Eckes und Karl-Heinz Dellwo sei nach wie vor „stabil“. Es gebe bisher „keine Anhaltspunkte für Komplikationen“, sagte Johannes Pausch, der unter anderem den Gefangenen Helmut Pohl vertritt. Auch Rolf Heissler und Gabriele Rollnik - sie verweigern seit über sechs Wochen die Nahrungsaufnahme - gehe es den Umständen entsprechend gut. Das Justizministerium in Hannover bestätigte, es gebe bei Karl-Heinz Dellwo aktuell keine Veränderung. Man rechne jedoch damit, daß sich „bei ihm in nächster Zeit etwas bewegt“. Schließlich sei Dellwo seit 57 Tagen im Hungerstreik. Knut Folkerts sei 1985 nach 54 Tagen in die Medizinische Hochschule Hannover transportiert worden und ins Koma gefallen, Lutz Taufer nach 55 Tagen. Dellwo sei von den in Celle einsitzenden Gefangenen wohl der kräftigste, meinte ein Justizsprecher, aber auch seine Kräfte seien irgendwann erschöpft.

Unterdessen verdichteten sich gestern aus Kreisen der Anwälte Signale, daß die Gefangenen sich bezüglich der Zusammenlegungsforderung auf Zwischenlösungen einlassen könnten. Der Frankfurter Anwalt Rainer Koch bestätigte auf Anfrage, eine vorläufige Zusammenlegung der zwölf in Nordrhein-Westfalen inhaftierten Gefangenen in Köln -Ossendorf sei durchaus diskutabel. Eine Rücksprache über diesen Vorschlag mit den Gefangenen habe allerdings entgegen einem Bericht der 'Süddeutschen Zeitung‘ nicht stattgefunden. Pohls Anwalt Johannes Pausch bestätigte gegenüber der taz eine Formulierung, die sein Hannoveraner Kollege Dieter Adler am Dienstag abend gegenüber dem ARD -Magazin Monitor verwendet hatte. Danach seien die in der Hungerstreikerklärung vom 1. Februar erhobenen Forderungen zwar „als Ziel“ das letzte Wort. „Der Weg ist jedoch sicherlich verhandelbar.“ Auf die Frage des Interviewers, ob man sich Sechser- bis Achtergruppen vorstellen könnte, hatte Adler geantwortet: Wenn die ursprünglichen Forderungen „in gewissen Schritten“ erreicht werden könnten, könne es zu einer „Art Aussetzung des Hungerstreiks“ kommen.

Gerd Rosenkranz