Die inoffizielle Nachrichtensperre

Eine Nachrichtensperre gibt es offiziell nicht, offizielle Informationen für die Öffentlichkeit allerdings auch nicht. Nach acht Wochen Hungerstreik erhalten beharrliche Journalisten mit viel Mühe allenfalls dürftige „informelle Informationen“ - und das immer mit der Maßgabe: „Nicht zur Veröffentlichung bestimmt.“ Am Dienstag abend faßte der WDR -Redakteur Klaus Bednarz am Ende eines Monitor-Beitrags zum Hungerstreik die so fruchtlosen wie aufreibenden Erfahrungen seiner Zunftkollegen in zwei Sätzen zusammen: „Wir haben uns über die Ostertage die Finger wund telefoniert. Nicht ein verantwortlicher Politiker aus Bund oder Ländern war bereit, Stellung zu beziehen.“ Eine Ausnahme ist seit dem gestrigen späten Nachmittag der Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper.

Die Standardsätze klingen schon im Ohr, bevor der Hörer am anderen Ende der Leitung, in den Pressestellen der Ministerien und Justizbehörden, abgenommen wird: „Wir können zur Zeit keine öffentliche Stellungnahme abgeben.“ Oder aber pointierter: „Wir wollen zur Zeit keine offizielle Stellungnahme abgeben.“ Manchmal auch ehrlicher: „Wir dürfen zur Zeit keine Stellungnahme abgeben.“ Und zuweilen ganz direkt: „Dazu sagen wir derzeit nichts.“ Die höflichere Version gibt es auch: „Dazu dürfen wir leider zur Zeit keine Stellungnahme abgeben, Sie müssen das verstehen.“

Verändert hat sich lediglich die Richtung, in der fragende Journalisten von Pontius zu Pilatus geschickt werden. Hieß es vor rund drei Wochen noch in den Länder -Justizministerien: „Wir können da wenig sagen. Zuständig ist die Bundesanwaltschaft“, und erteilte die wiederum die übliche Auskunft: „Zur Zeit keine Stellungnahme“, so heißt es heute andersrum bei der Bundesanwaltschaft: „Fragen Sie in den Ministerien nach“, wo die Anrufer dann beschieden werden: „Zur Zeit keine Stellungnahme“.

Personen des öffentlichen Lebens, die sich um eine Lösung des Konflikts bemühen, hoffen auf ein Wirken im stillen, auf informelle Versuche der Einflußnahme auf die Politiker. Öffentliches Auftreten, so befürchten sie, würde in dieser Phase die Bemühungen um Kompromisse lediglich stören. Deswegen auch von dieser Seite „zur Zeit keine detaillierten Stellungnahmen“.

In den letzten Tagen war immerhin zu erfahren: Es gibt Gespräche zwischen den Regierungschefs von Nordrhein -Westfalen, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bayern und Berlin. Informell. Thema: Welche Seite kann welche Kompromisse eingehen, damit der Hungerstreik beendet wird? Ob dabei allerdings ein konkreter Vorschlag herauskam, ob sich ein solches Ergebnis zumindest abzeichnet, blieb der Öffentlichkeit vorerst verborgen. Genauso wie die Frage, welcher Regierungschef mit welchem gesprochen hat, ob es da ein paar Schaltkonferenzen per Telefon gegeben hat oder ob mehrere Ministerpräsidenten tatsächlich an einem Tisch gesessen haben.

Die Devise („Zur Zeit keine Stellungnahme“) hatte Bundesjustizminister Engelhard vor zwei Wochen - nach Ablauf von sechs Wochen Hungerstreik - in einer aktuellen Stunde vor dem Bundestag begründet: Der politisch Verantwortliche „muß seine Linie eng mit den anderen Verantwortlichen in Bund und Ländern abstimmen, aber er darf auf keinen Fall öffentlich darüber sprechen. Das berechtigte öffentliche Informationsbedürfnis muß im Interesse einer Lösung der schwierigen Lage vorübergehend zurückstehen. Hierfür bitte ich Sie, meine Damen und Herren, um Verständnis. Zu gegebener Zeit wird man darüber und über vieles mehr einmal öffentlich und in aller Offenheit sprechen müssen. Heute ist dafür jedoch mit Sicherheit nicht der richtige Zeitpunkt.“ Zwei weitere Wochen sind vergangen, immer noch scheint der „richtige Zeitpunkt“ nicht erreicht.

Wann aber wird der Zeitpunkt verpaßt sein? Wieviel Zeit glauben die Verantwortlichen sich noch geben zu können, um eine tödliche Zuspitzung zu verhindern? Christa Eckes und Karl-Heinz Dellwo verweigern die Nahrungsaufnahme seit mehr als acht Wochen, heute genau 57 Tage. „Ihr Zustand ist derzeit noch nicht lebensbedrohlich“, berichten die Anwälte. Doch jeder Arzt weiß: Das kann sich jeden Tag ändern. Sie sind extrem geschwächt, verfügen nicht mehr über die normalen Körperrreaktionen. Im Klartext: Die akute Todesgefahr kann in vier genauso wie in ein oder zwei Tagen da sein. Die vorbereitete „Behandlung im Koma“ kann den Tod hinauszögern, doch garantieren kann den Erfolg der Intensivmedizin niemand.

Und so zynisch es klingt, die Frage schon im voraus zu stellen: Wer ist dann zuständig gewesen? Wie werden dann die Formeln aus den Pressestellen lauten? Wie wird dann erklärt, warum der Staat nicht in der Lage oder gar nicht willens war, den Tod eines Gefangenen oder einer Gefangenen zu verhindern?

Es geht nicht darum, eine an sich schon bedrohliche Situation in der Öffentlichkeit noch zu dramatisieren. Genausowenig aber dürfen die Verantwortlichen Zeit verstreichen lassen, die sie im Grunde schon jetzt nicht mehr haben. Die Anwälte der Gefangenen haben denkbare Zwischenlösungen, eine Zusammenlegung vorerst in Gruppen von acht bis zehn Gefangenen, signalisiert, die zu einem Aussetzen des Hungerstreiks führen könnten. Die politisch Verantwortlichen dagegen zogen sich bislang auf die Konsenssuche zurück: Man wolle sich auf eine „gemeinsame Linie“ der Bundesländer verständigen. Bisher bestand die in gemeinsamem Schweigen.

Maria Kniesburges