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Wenn Mediziner im Labor Atomkrieg spielen

Szenario: Atomangriff auf die BRD / Wie sind die drei Hauptgefahren von nuklearen Detonationen - Strahlung, Hitze, Druck - in den Griff zu bekommen? Wie hält man die Truppe trotz Atomkrieg einsatzfähig? / Bericht von einer nicht-öffentlichen medizinischen Atomschutztagung an der Bundeswehr-Sanitätsakademie München  ■  Von Marianne Erben

In der Bundeswehr-Sanitätsakademie München wird der Verteidigungsfall geprobt. Die alljährlich stattfindende „medizinische Atomschutztagung des Bundesministers für Verteidigung“ soll Aufschluß über medizinische Versorgungsmöglichkeiten der Truppe in einem Nuklearkrieg geben. Das Szenario: Die Bundesrepublik wird mit Atomwaffen vom östlichen Bündnis angegriffen. Die Detonationen finden in unmittelbarer Nähe der Frontlinie statt. Die Verluste in der Truppe sind sehr hoch. Die überlebenden Soldaten müssen so schnell wie möglich wieder einsatzfähig werden. Viele haben starke Strahlenschäden, Verbrennungen und weitere äußere Verletzungen. Nur noch bedingt funktionsfähig sind die rund um die Detonationsstellen als Not-Hospitäler eingerichteten öffentlichen Gebäude: Die Druckwelle ließ Wände und Fenster bersten und die Hitzewelle entfachte Feuer. Selbst in weiter entfernten Krankenhäusern wurden durch den enormen elektromagnetischen Impuls die technischen Geräte und damit der gesamte Betrieb lahmgelegt. Die Mediziner kommen nicht umhin, die überlebenden Soldaten nach der soganannten „Triage“ in drei Gruppen einzuteilen, um die sanitäre Versorgung nicht vollends zusammenbrechen zu lassen: die wenig Geschädigten, sie sofort wieder in die Truppe integriert werden, die Soldaten, die nach einer medizinischen Therapie wieder einsatzfähig werden, und die akut Strahlen- oder Verbrennungsgeschädigten, die nicht behandelt werden und, soweit es überhaupt möglich ist, weiterkämpfen müssen.

Das Szenario mutet pervers an, gewinnt aber an Realität, sobald man sich auf Gedankenspiele über die Durchführbarkeit eines Atomkrieges einläßt. Und darum ging es bei dieser nicht-öffentlichen Tagung von uniformierten Bundeswehr(BW) -Wissenschaftlern und aus verschiedenen Universitäten geladenen Wissenschaftlern Mitte Februar.

Die vorgestellten Ergebnisse wurden daraufhin überprüft, inwieweit sie dazu beitragen können, die drei Hauptgefahren von nuklearen Detonationen - Strahlung, Hitze, Druck - für die Soldaten zu vermindern, um die Truppe solange wie möglich einsatzfähig zu halten.

Die oben beschriebene Einteilung nach der „Triage“ ist in den Verteidigungsrichtlinien festgeschrieben, da realistischerweise davon auszugehen ist, daß die medizinischen Einrichtungen nicht ausreichen, um alle Verletzte behandeln zu können. Um diese Einteilung vornehmen zu können, muß die Höhe der Dosis, mit der die Soldaten bestrahlt wurden, sehr schnell festgestellt werden, zum Beispiel durch Meßgeräte, die am Körper getragen werden. Beim beruflichen Umgang mit ionisierender Strahlung sind solche Meßgeräte seit langem erprobt. Die Verteidigungsvorschriften sehen jedoch nur für jeden zehnten Soldaten ein solches Gerät vor. Das bedeutet, daß entweder für die restlichen neun Soldaten die gleiche Dosis angenommen wird oder man versucht anhand des Schädigungsgrades, der zum Beispiel an den Blutzellen des einzelnen Soldaten hervorgerufen wurde, die Dosis für jeden Soldaten zu bestimmen. Die dazu notwendigen biologischen Verfahren sind heute noch in der Entwicklung und müssen am Menschen selbst getestet werden.

Solche Untersuchungen werden häufig an Tumorpatienten durchgeführt, die aus medizinischer Sicht bestrahlt werden müssen. Eine medizinische Bestrahlung kann aber nicht mit einer Bestrahlung durch eine Atombombe oder durch einen größeren Kraftwerksunfall verglichen werden, wie die „zivilen“ Mediziner Prof. B.Kubanek und Prof. U.Koszinowski aus Ulm, Dr. Kimmig aus Heidelberg, Dr. Belen aus Essen und Prof. Grosse-Wilde deutlich machten. Schon bei dem einfachsten Problem, der biologischen Bestimmung der Dosis, kann der Strahlentherapiepatient nicht als Modell für den Ernstfall dienen, da immer - selbst bei „Ganzkörperbestrahlungen“ - bestimmte, sehr empfindliche Bereiche des Körpers abgedeckt werden, was bei nuklearen Detonationen wohl kaum der Fall sein dürfte. Noch entscheidender ist aber die unterschiedliche Art der medizinischen Bestrahlung im Vergleich zum Ernstfall. Die Patienten werden öfter mit kleineren Dosen bestrahlt, bis die nötige Gesamtdosis erreicht ist, um so die Belastung für die Patienten zu verringern. Für die Militärs bedeutet dies, daß Herr Kohl mittels seines neuen roten Telefons Herrn Gorbatschow schon bitten müßte, öfters an die gleiche Stelle eine kleine Atombombe zu werfen, anstatt einer großen.

Auch der nach akuter Bestrahlung lebensbedrohenden Abnahme der Blutblättchenzahl im Körper kann nicht entgegengewirkt werden, da im Kriegsfall wegen der zu befürchtenden Massen an Strahlenopfern und der gleichzeitigen kurzen Lagerfähigkeit von Blutblättchen nicht genügend geeignete Spender zur Verfügung stehen.

Obwohl nach der „Triage“ nicht vorgesehen ist, daß sehr stark bestrahlte Personen noch behandelt werden, wurden auch Knochenmarkstransplantationen als Möglichkeit der Therapie im Ernstfall diskutiert. Diese Maßnahme führt jedoch - wie Tschernobyl zeigte - fast nie zum Erfolg, da im Gegensatz zum Normalfall die Patienten vorher nicht auf die Transplantation eingestellt werden können. So muß zum Beispiel die Immunabwehr des Patienten geschwächt werden, um die Abstoßungsgefahr für das Transplantat zu verringern, und es muß ein geeigneter Spender gefunden werden. Auch würde bei der Entscheidung für oder gegen eine Transplantation im Ernstfall den Medizinern die entscheidende Information fehlen: die Strahlendosis. Die ganze Diskussion wird natürlich ad absurdum geführt, wenn man bedenkt, wieviele dieser hochkomplizierten Eingriffe unter Kriegsfallbedingungen überhaupt vorgenommen werden können.

Ein weiteres großes Problem bei der Behandlung von Strahlenopfern ist die erhöhte Infektionsgefahr, die durch die enorme Strahlenempfindlichkeit der gerade für die Infektionsabwehr zuständigen Zellen (Lymphozyten) bedingt ist. Dies bedeutet, daß nicht nur die Infektionskeime von außen eine Gefahr darstellen - diese könnte man, zumindest theoretisch, durch Sterilität der unmittelbaren Umgebung der Patienten ausschalten. Schwerwiegender ist die Gefährdung, die von zahlreichen Krankheitserregern ausgeht, die wir bereits in uns tragen.

Allein schon diese Erkenntnisse über die Strahlenwirkung die durchaus nicht neu sind - zeigen, daß die Folgen einer nuklearen Detonation - sei es im Kriegsfall oder bei zivilene Katastrophen - medizinisch nicht bewältigt werden können. Die bei einer solchen Katastrophe zusätzlich auftretenden Verbrennungen und weiteren Verletzungen durch die Druckwelle sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Den Verantwortlichen in Militär und Politik ist dies bewußt. Dennoch werden solche Tagungen abgehalten, denn es geht vor allem um die Legitimation der heutigen militärischen und zivilen Atompolitik. In den Köpfen der Bevölkerung versucht man die Akzeptanz über die „Kontrollierbarkeit“ eines nuklearen Krieges durch die vorgetäuschte Humanität im medizinischen Bereich genauso zu erhöhen, wie man die psychische Schwelle durch Aktivitäten des Katastrophenschutzes - wie zum Beispiel den Ausbau von U -Bahntunnels zu Atomschutzbunkern - senkt.

Diese Kriegsvorbereitungen können aber nicht den Schutz erbringen, der vorgegaukelt wird. Für den medizinischen Bereich wurde das deutlich im Ramstein-Bericht von Oberstarzt Dr.Klammer, Leiter der Intensivstation für Brandverletzte im BW-Zentralkrankenhaus Koblenz: Ein Stockwerk „so groß wie ein Fußballfeld“ steht seiner Abteilung dort zur Verfügung, vollgepackt mit hochkomplizierter Technik und ausgestattet mit den Bedingungen, die für die Heilung schwerer Brandwunden notwendig sind. Dazu zählen neben einer konstanten Raumtemperatur von 30 Grad Celsius und einer Luftfeuchtigkeit von 60 Prozent auch die vier bis fünf PflegerInnen pro PatientIn. Unter solch optimalen Bedingungen können heutzutage sogar Menschen gerettet werden, deren Körperoberfläche zu 70 oder 80 Prozent verbrannt ist. Doch von den vielen Schwerstverletzten aus Ramstein sah Dr. Klammers Station in den ersten Tagen nur drei. „Wie konnte das geschehen?“ fragte der Mediziner mit Bestürzung und erinnerte gleichzeitig an qualitativ vergleichbare Intensivstationen, die mittlerweile im gesamten Bundesgebiet aufgebaut worden sind.

In Ramstein war die Polizei auf einen Flugzeugabsturz vorbereitet, die Kripo auf einen Bombenanschlag. Die Gruppe der Nothelfer für die 300.000 Menschen umfaßte lediglich vier DRK-Ärzte und 13 amerikanische „Kollegen“. In dem Chaos dachte offensichtlich keiner an die Spezialkliniken. Dabei hätte allein die Station von Dr.Klammer bis zu 15 Schwerstverletzte aufnehmen können - das besagte Netz in der BRD umfaßt 135 Betten! Bleibt die Frage, was empörender ist: das Chaos von Ramstein oder die Präsentation eines Intensivkonzepts für den Ernstfall, das ganze 135 Betten umfaßt. Dabei wurde auf der Tagung offen darüber gesprochen, daß Soldaten mit mehr als 30 Prozent verbrannter Körperoberfläche überhaupt nicht mehr behandelt werden sollen und können.

Das Rechnen mit Menschenleben setzte sich weiter fort und konnte auch offen ausgesprochen werden in diesem geladenen Kreis. So referierte Dr.Sturm (BW) über den „ausgewogenen Nuklearschutz“ von Sanitätseinrichtungen. Gemeint waren Einrichtungen, die sich mit der Truppe gen Feind bewegen. Sie stehen nur Soldaten zur Verfügung, die nach ärztlicher Behandlung wieder einsatzfähig werden - so ausdrücklich formuliert in den Verteidigungsrichtlinien. Aber auch Dr.Sturm mußte zugeben, daß ausreichende Schutzmaßnahmen für diese Gebäude nicht existieren. Allein Fenster gegen die Druckwelle zu sichern, macht große Probleme. Gegen die Hitzewelle helfen allein dicke Vorhänge, und die sanitäre Technik gegen zerstörende elektromagnetische Impulse widerstandsfähig zu machen, ist noch Zukunftsmusik für militärische Mediziner-Ohren (beim Jäger 90 ist das allerdings bereits schon erreicht).

Daß in der militärischen Forschung auch Tiere eingesetzt werden, überrascht nicht. Trotzdem kann von einem Höhepunkt der Perversion berichtet werden. Der einzige internationale Gast, Dr.Catravas vom Armed Forces Radiobiology Research Institute in Bethesda, USA, stellte seine genialen Versuchsaufbauten vor, mit denen er den Grad des Vergessens von erlernten Fähigkeiten durch Bestrahlung messen wollte. Tödliche Dosen wurden Affen verabreicht, um diesen wissenschaftlichen Befund überhaupt erheben zu können. Diese wurden - wie die Dias eindrucksvoll zeigten -, schon unter der Guillotine sitzend, stark bestrahlt, um sie sofort danach einen Kopf kürzer zu machen. Dieser fällt in einen darunter stehenden Behälter mit flüssigem Stickstoff, das heißt er wird sofort auf minus 196o C gekühlt, wodurch die Veränderungen in den Gehirndellen konserviert werden. Da mag Prof. P.G. Munder vom Max-Planck-Institut in Freiburg leuchtende Augen bekommen haben. Er, der von der BW mit einem Forschungsvorhaben über Strahlenschutzfaktoren bedacht wurde, ließ keine Gelegenheit in seinem Vortrag aus, sich über die Ethikkommission zu beschweren, die es in jüngster Zeit so schwierig mache, Forschungen am Tier zu betreiben.

Regierungsdirektor Dr. Schänzler (BW) berichtete schließlich noch über die Schwierigkeiten der physikalischen Dosisbestimmung. Jede Masse wirkt abschwächend auf Strahlung, so daß je nach Eindringtiefe mit unterschiedlich starker Strahlung zu rechnen ist. Die Abschwächung ist beispielsweise „größer in einem großen Tier, während sie in einem sehr kleinen Tier zu vernachlässigen ist“. Daraus wurde geschlossen, daß die inneren Organe in größeren Organismen weniger geschädigt werden als in kleineren. Die Abschwächung stellte er an einem Wasserkörper dar. Schon 25 Zentimeter Wasserdicke reichen aus, um die Dosis um 98 Prozent zu verringern. Dies führte zu einer ernsthaften Diskussion, ob es sinnvoll sei, Panzer mit einer Wasserschutzschicht auszukleiden. Die Rüstungsindustrie hat diese Schutzmaßnahme jedoch schon verworfen. Schade, denn zusammen mit den Ergebnissen von Dr. G.Wolf aus dem Labor von Prof. A.Mayr, LMU München, daß inaktivierte Pockenpartikel die Immunabwehr des Menschen steigern, jedoch bei mehrmaliger Gabe eine Gewichtszunahme des Menschen bewirken, könnte man den idealen Soldaten zusammenstellen: man züchtet ihn mit Pockenviren dick und groß und setzt ihn dann in Taucherausrüstung in einen Panzer, der bis zum Rand mit Wasser vollgefüllt ist.

Nach einer solchen Tagung fragt man sich, was diese Professoren dazu bewegt, ihre Ergebnisse daraufhin abklopfen zu lassen, inwieweit sie beitragen können, die Truppe so lange wie möglich einsatzfähig zu halten und dabei das einzelne Menschenleben unter den Tisch fallen zu lassen. Der Faktor Geld für die eigene Forschung bei der heutigen Konkurrenzsituation spielt sicherlich eine Rolle, aber es waren nicht nur Wissenschaftler zugegen, die auf Gelder aus dem Verteidigungsetat angewiesen sind.

Da übernimmt auch mal ein Prof. Hagen von der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung in Neuherberg den Vorsitz zu einem Themenblock. Auch Prof. Kaul, Leiter des Instituts für Strahlenhygiene des Bundesgesundheitsamtes in Neuherberg, und Prof. Feinedegen von der Kernforschungsanlage in Jülich (beide der Öffentlichkeit bekannt durch ihre Arbeit in der Strahlenschutzkommission nach Tschernobyl) waren im Vorprogramm angekündigt. Daß die beiden nicht teilnahmen, dürfte eher Terminschwierigkeiten als inneren Spannungen zuzuschreiben sein. Hier sind auch die Studenten gefordert, ihren Professoren und Dozenten auf den Zahn zu fühlen und nachzufragen, wer eigentlich die Materialien, die Diplomanden- und Doktorandenstellen bezahlt. An der Universität Ulm käme dafür Prof. O.Haverkamp, der mit einem Lehrbuchvortrag über Molekularbiologie glänzte und seit langen Jahren Forschung fürs Militär betreibt, in Frage, an der LM-Universität München die Professoren Bandlow und H.Mahnel, an der TU München Dr. B.Clasen und Dr. C.Liebrecht, an der Uni Ulm die Professoren Rödel und P.Nehls, an der Uni Bochum Prof. W.König, an der Essener Uni Dr.Belen und Prof. Dr. U.W. Schaefer, am Fraunhofer-Institut in Hannover Frau Prof. M.L. Lohmann-Matthes und an der Universität Heidelberg Prof. B.Urbaschek und Prof. M.Wannenmacher.

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