Keine große Gefahr für „deutsche Todeskrämer“

Die Regierungsbeschlüsse nach der Libyen-Affäre versprechen viel und halten wenig / Es gibt immer noch genug Schlupflöcher für B- und C-Waffen-Lieferanten / Auch die Atomwaffenherstellung wird verboten, aber nur ein bißchen / Im Dienst der Nato ist alles erlaubt / Option auf eigene Atomwaffen gewahrt?  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Wer sich an der Herstellung biologischer, chemischer und atomarer Waffen beteiligt, ist ein Verbrecher und kann bis zu 15 Jahren ins Gefängnis gesteckt werden. Die jüngsten Regierungsbeschlüsse, die jetzt in ihren Grundzügen bekanntgeworden sind, könnten glauben machen, es seien tatsächlich radikale Konsequenzen aus der Libyen-Affäre und aus den Nuklearexportskandalen gezogen worden. Eine Überraschung war es schon, als der Wirtschaftsstaatssekretär Erich Riedl kurz vor Ostern im Bundestag verkündete, nun würde Deutschen im Inland wie im Ausland auch die Beteiligung an der Atomwaffenherstellung verboten. War doch in den Kabinettsbeschlüssen der vergangenen Monate immer nur von B- und C-Waffen die Rede gewesen - und daß die weltweiten Bombengeschäfte der Nuklearindustrie nicht angetastet werden sollten, schien logisch: geht es doch hier nicht nur um die Interessen mächtiger Konzerne wie Siemens, sondern auch um die atomare Zusammenarbeit innerhalb der Nato sowie mit Frankreich und um das Offenhalten der Option auf eigene Atomwaffen.

Ganz so offensichtlich konnte sich die Bundesregierung um die heikle Materie allerdings nicht herumdrücken: Die USA, denen die mangelhafte Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags durch die Bundesrepublik seit langem ein Dorn im Auge ist, sollen wieder einmal interveniert haben. Auch in der FDP war gefordert worden, die Nuklearexporte einzubeziehen.

Der Gesetzentwurf versucht nun, durch Formulierungskunst die politischen Klippen zu umschiffen. Die Strafbarkeit der A-, B- und C-Waffenherstellung soll u.a. durch eine Novellierung des Kriegswaffenkontrollgesetzes geregelt werden. Dieses Gesetz definiert, was „Kriegswaffen“ sind und welchen Genehmigungen ihre Produktion und Beförderung unterliegt. Bisher sah dieses Gesetz formale Genehmigungsmöglichkeiten für B- und C-Waffen vor - obwohl zumindest die Entwicklung von B-Waffen durch eine internationale Konvention längst verboten ist. Diese anrüchigen Gesetzesstellen sollen getilgt werden - so weit, so gut.

Wie steht es jedoch um die Beihilfe zur Kampfstoffproduktion im Ausland? Hier beginnt die Interpretationskunst: Nicht nur fahrlässig, sondern „leichtfertig“ müssen deutsche Techniker in Libyen oder im Irak die Vernichtungsproduktion fördern, damit ihr Tun strafbar ist. Leichtfertig heißt im Juristendeutsch so viel wie „grob fahrlässig“, und die Anwälte der Chemiefirmen werden den Unterschied zu nutzen wissen. Wenn dem Lieferanten einer Pestizid-Anlage nicht zumindest eine Ahnung von der tatsächlichen Nutzung des Werks nachgewiesen werden kann, wird er weiterhin straffrei ausgehen.

Allem Gerede von einer weltweiten Ächtung der Chemiewaffen zum Trotz: Deutsche Mitarbeit an der Vernichtungsproduktion ist legal, wenn sie in der richtigen Uniform verrichtet wird. Eine Generalabsolution erteilt die Bundesregierung für die C-Waffenherstellung bei „verbündeten Truppen“ und für die „integrierte Nato-Verwendung“.

Für Atomwaffen gilt erst recht, daß Bombe nicht gleich Bombe ist. Die Strafbarkeit soll von vornherein nicht für „Handlungen gelten, die im Zusammenhang mit der Verteidigung des Bündnisses stehen“. Außerdem müsse die Förderung der zivilen Nutzung der Atomenergie gesichert bleiben - da allerdings zivile und militärische Nutzung bei Atomtechnologie meist materiell nicht getrennt werden können, entscheidet sich der Gesetzgeber konsequent für die Interessen der Atomindustrie: Der Atomwaffenbegriff soll bei der Strafbarkeit enger gefaßt werden, als er bisher im Kriegswaffenkontrollgesetz festgelegt ist. Über die genaue Formulierung war Genaues noch nicht in Erfahrung zu bringen, dennoch macht die Tatsache hellhörig. Das Kriegswaffenkontrollgesetz definiert nämlich eine Atomwaffe entsprechend den Bestimmungen im Vertrag der Westeuropäischen Union (WEU): Darunter fallen nicht nur die Waffen als Ganzes, sondern auch „Teile, Vorrichtungen, Baugruppen oder Substanzen“, die für Atomwaffen „bestimmt sind“ oder „für sie wesentlich sind“. Die Bundesrepublik hat 1954 auf Herstellung und Besitz eigener Atomwaffen verzichtet - allerdings nur gegenüber der WEU und nur hinsichtlich des Baus von A-Waffen auf dem eigenen Territorium. Nun wird erstmals ein strafrechtliches Verbot festgeschrieben, doch gleichzeitig die international gültige Definition von Atomwaffen als zu weitgehend angesehen - da ist Mißtrauen am Platze. Möglicherweise, so argwöhnt der SPD -Abgeordnete Norbert Gansel, wolle sich die Bundesregierung eine Hintertür offenlassen, „um die Entwicklung von Atomwaffen zu betreiben“.

Nach dem jüngsten Verwirrspiel des Verteidigungsministeriums um die Projekte „Kolas“ und „Technex“ dürfte jedenfalls sicher sein: Die Regierung wird sich die Möglichkeiten künftiger nuklearer Teilhabe nicht verbauen durch einen Paragraphen, der aktuell nur das ramponierte Image der deutschen „Todeskrämer“ aufpolieren soll.

Ohnehin ist die Beteiligung an der A-Waffen-Herstellung künftig nur strafbar, wenn sie die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt, das friedliche Zusammenleben der Völker oder die auswärtigen Beziehungen stört. Diese Formulierung entspricht dem § 34 des Außenwirtschaftsgesetzes, und ob die Voraussetzungen erfüllt sind, bestimmt im konkreten Einzelfall das Auswärtige Amt. Pikanterweise wird diese Standardformel im Außenwirtschaftsrecht aber soeben verschärft: weil nämlich festgestellt wurde, so Wirtschaftsminister Haussmann, daß die genannten Merkmale „auch bei schwerwiegenden Verstößen selten nachweisbar“ waren. Diese Novelle wurde schon im Dezember beschlossen, als die illegalen Nuklearexporte nach Pakistan von sich reden machten. Doch wenn es nun darum geht, die Bombenhelfer persönlich zu belangen, greift man lieber wieder zu der alten Wischiwaschiformel: Denn von der ist amtlicherseits erwiesen, daß sie ihre „generalpräventive Funktion verfehlt“.