Die Natur unter den Ölteppich gekehrt

■ Bei den Betroffenen des Exxon-Unglücks in der Arktis herrscht Wut, bei den Verantwortlichen Hilflosigkeit

Die Öltankerkatastrophe vor der Küste von Alaska hat eine Woche nach dem Unglück ein Gebiet von der Größe des halben Saarlandes total verseucht. Experten rechnen damit, daß die betroffene Flora und Fauna für Jahrzehnte ruiniert ist. Während die Fischer des Küstenstreifens existentiell bedroht sind, besteht für die Zukunft der verantwortlichen Ölgesellschaft Exxon dagegen keine Gefahr.

Nach der Ölkatastrophe im Prinz-William-Sund in Alaska, die von dem leckgeschlagenen Tanker „Exxon Valdez“ verursacht wurde, gibt es für Tausende von Tieren keine Rettung mehr. Über 35 Millionen Liter Rohöl haben sich in der einen Woche, seit der Frachter auf ein Riff aufgelaufen ist, auf einer Fläche von annähernd 1.300 Quadratkilometern ausgebreitet. Das verseuchte Gebiet entspricht damit schon der Hälfte der Fläche des Saarlandes.

Strände, Brutgebiete und Laichgründe sind von Öl überzogen. „Alles, was wir tun können, ist, die toten Tiere zählen“, stellte Jon Lyman vom Amt für Fischerei und Jagd in Alaska resigniert fest. Die Ölpest werde das Ökosystem noch schädigen, wenn die unmittelbaren Opfer der Katastrophe schon längst tot seien. Tausende von Seevögeln, darunter Weißkopfadler, würden noch in den kommenden Jahren der von dem Öl ausgelösten Verschmutzung zum Opfer fallen.

Bei Umweltschützern und ortsansässigen Fischern macht sich Verzweiflung breit. „Wir haben eine Ölpest wie wir sie seit Jahren befürchten“, meinte Arne Hansen vom Wildniskomitee Westkanadas in Vancouver. Der Bürgermeister von Valdez, John Devens, bezifferte den Schaden allein für die Fischerei auf umgerechnet mindestens 290 Millionen Mark.

Gegen Exxon, den Betreiber der Alaska-Pipeline, und die US -Regierung sind massive Vorwürfe erhoben worden. Während der ersten Stunden, nachdem der Tanker auf ein Riff aufgelaufen war, wurde von den Verantwortlichen nichts unternommen, um das Ausbreiten der Ölflut einzudämmen. Entgegen Versprechungen in der Vergangenheit standen weder genügend Ausrüstung noch geschultes Personal bereit.

Diese Probleme waren absehbar. Bereits 1977, kaum vier Monate nach Fertigstellung der Alaska-Pipeline und der Eröffnung der Ölhäfen in Valdez, war zum ersten Mal Öl ausgelaufen. Obwohl es sich damals nur um 2.000 Liter gehandelt hatte, kam es zu einem Chaos bei den Aufräumarbeiten. Einem weiteren Unfall, bei dem sich 1987 fast 500.000 Liter Öl ins Meer ergossen, war ähnlich unzureichend begegnet worden.

Dennoch hat in den letzten fünf Jahren die Betreibergesellschaft der Ölpipeline, Alyeska, Einsparungen in diesem Bereich vorgenommen. Die 'Seattle Times‘ zitierte jetzt den ehemaligen Leiter der Hafenverwaltung Valdez‘, James Woddle, mit den Worten, man könne zwar nicht alles in 48 Stunden säubern, doch hätte man auch diese Katastrophe in den Griff bekommen können, wenn genügend Personal und Mittel zur Verfügung gestanden hätten.

Unterdessen hat der amtierende Leiter der US -Verkehrssicherheitsbehörde, James Kolstadt, eine Untersuchung darüber angekündigt, warum man dem Kapitän des Unglücksfrachters, Hazlewood, das Kapitänspatent gelassen habe, während sein Führerschein wegen Trunkenheit am Steuer eingezogen worden sei. Inzwischen ist durch eine Veröffentlichung der Zeitung 'San Di Union‘ auch bekanntgeworden, daß der verunglückte Supertanker im Unterschied zu vielen anderen Tankschiffen nur eine Außenhaut gehabt habe. Eine Doppelwand verringert das Risiko, daß bei einem Unfall ein Leck in die Schiffswand geschlagen wird.

Nach den ersten 48 Stunden hilfloser Bemühungen hatte die Ölgesellschaft dann begonnen, das Öl zu verbrennen. Dabei kam es zu einem Zwischenfall, bei dem das Fischerdorf Tatilek den dabei enstandenen giftigen Rauch abbekam. Fast alle Einwohner litten unter Übelkeit und Schwindel. Später wurde eine weitere Methode der Schadensbegrenzung versucht, nämlich der Einsatz von Lösungsmitteln, die aus Flugzeugen aufs offene Meer abgeworfen wurden. Diese Chemikalien, die Exxon selbst herstellt, führen nach Angaben von Naturschützern zu einem Fischsterben in den so „behandelten“ Gegenden.

Während auf Drängen des US-Energieministeriums Öltanker inzwischen wieder den Hafen von Valdez anlaufen dürfen, haben Alaskas Fischer die Initiative übernommen und versuchen mit Sperren, das Öl wenigstens von den empfindlichsten Gegenden fernzuhalten.

Unbeeindruckt von prognostizierten weiteren Unfällen plant die Ölindustrie unterdessen eine massive Ausweitung ihrer Aktivitäten in Alaska. Präsident Bush hat einer Ölförderung in dem im Westen gelegenen Arctic National Wildlife Refuge und einer zusätzlichen Pipeline zugestimmt. Ein unberührtes Küstengebiet von mehr als sechs Millionen Quadratkilometern wäre betroffen. Vor dem Unfall galt eine Zustimmung durch den US-Kongreß jedenfalls noch als wahrscheinlich. In den letzten Tagen hat der Vorsitzende des Umweltausschusses des US-Senats, Max Baucus, allerdings Bedenken angemeldet: „Die Öl- und Gasindustrie hat immer sehr bereitwillig Umweltschutzmaßnahmen (...) zugesichert. Unglücklicherweise ist der Unfall (...) der jüngste und tragischste Beweis, daß es eine Lücke zwischen Zusagen der Industrie und deren Ausführung in bezug auf Umweltschutz gibt.“

Umweltschutzgruppen haben seit langem darauf hingewiesen, daß jegliche Ölförderung in Alaska unvorhersehbare Folgen hat. Selbst ohne Unfälle sind die Folgen wegen des sehr empfindlichen Ökosystems unabsehbar. Diese Gegend ist wegen zahlreicher Riffe, Eisberge und aufgrund des stürmischen Wetters für Tanker extrem gefährlich. Die Alternative, eine Pipeline durch Kanada zu legen, wurde jedoch von den Ölfirmen aus Kostengründen abgelehnt.

Bush, der als früherer Besitzer einer Ölfirma mit der Industrie aufs engste verbunden ist, hat auch nach dem Unfall seine Meinung zur Ölförderung in Alaska nicht geändert. Er sehe keine Verbindung zwischen einem „umweltverträglichen“ Ausbau der Ölförderung und dem Unfall. Er beruft sich darauf, daß Exxon „einen guten Anfang“ bei der Beseitigung der Ölpest gemacht habe, und meint, daß Unfälle nun mal nicht zu verhindern seien.

Dieser Entwicklung steht allein entgegen, daß die bisher vorgekommenen Unfälle mittlerweile ein sensibles Umweltbewußtsein in breiten Teilen der US-Bevölkerung geschaffen haben. Bleibt zu hoffen, daß in absehbarer Zeit daraus Konsequenzen entstehen.

Gregor Freund, ap