Exxon-Aktion in ruhiger See

Valdez, eine Woche danach. Die Orkanböen der letzten Tage haben nachgelassen, und vorsichtig manövrieren die Supertanker durch den Prinz-William-Sund hin zum Terminal, um sich an den Rohrleitungen der Alaska-Pipeline vollaufen zu lassen. Vorsichtig. Wie immer. Lästig, dieser Ölteppich, dem die ersten zehn Pötte vorgestern mühsam ausweichen mußten.

Dave Johnson besitzt die einzigen drei Taxis von Valdez. „Das Öl ist gut für uns gewesen“, sagt er. Und daß die Leute hier in Valdez nur einen „safety factor“ gewollt hätten. „Valdeez“ spricht er seine Ortschaft aus. Weshalb? Seit dem Goldrausch heißt der Ort unterhalb der verschneiten Chugach -Mountains so, niemand weiß mehr, weshalb. Dave Johnson ist kein Grüner, und er weiß auch, wer der größte Steuerzahler in Valdez ist. Die „Alaska Pipeline Service Company“, die das Terminal am Ende der 800-Meilen-Pipeline betreibt.

New York City, eine Woche danach. Einen Orkan hat es am Spotmarkt der City nicht gegeben. Der Ölpreis dümpelt wieder in ruhigen Gewässern, seit die Depeschen meldeten, daß die ersten Tanker ihre Reede verlassen und bereits 800.000 Faß in Valdez geladen hätten. „Renommierte Fachleute“ ließen Wallstreet wissen, daß der Tankerunfall in der Arktis keine Auswirkungen auf den Exxon-Kurs haben dürfte. Selbst wenn der Konzern die 250 Milliarden Dollar für die „Reinigung“ aus eigener Tasche zahlen müßte, würden sich die Verluste pro Aktie auf 19 Cents belaufen. Wallstreet blieb cool und Exxon stabil bei 44,50 Dollar.

„Wir übernehmen die volle finanzielle Verantwortung. Jeder nachweisbare individuelle Verlust wird ausgeglichen“ - die Stimme des Exxon-Vertreters kommt schwer gegen den Aufruhr an, der in der Sun-lit-Lounge des „Westmark Inn“ herrscht, einem der schmucklosen, aber robust gebauten Hotels, die neben Tankstellen das Stadtbild von Valdez ausmachen. Trotz des Terminals der Company ist Valdez ein Fischerort geblieben. Einer der Wortführer im „Westmark“ ist Sandy Cesarini, Mitinhaber einer der größten Fischfabriken am Ort: „Wir reden hier nicht über einen Autounfall, sondern über eine Verwüstung für die nächsten fünfzehn Jahre“, sagt er. Die Fischer brauchten jetzt sofort Cash, denn mit dem Fang von Heringslaich, der in Japan als Delikatesse gilt, wird es dieses Jahr nichts werden. Und ohne das übliche „spring money“ aus Japan können, das weiß auch Taxifahrer Johnson, die Fischer keine neuen Netze für die Lachse finanzieren.

Aber manch einer in Valdez zweifelt mittlerweile, ob überhaupt jemals wieder Lachs im Sund gefangen werden kann. Der Fischerort Cordova liegt von Valdez genausoweit entfernt, wie die aufs Riff gesetzte „Exxon Valdez“, rund 80 Kilometer. In der Dorfschule versammeln sich die Bewohner von Cordova mit Vertretern der Ölkonzerne. „Was am Freitag passiert ist, ist genau das, was wir vor zehn Jahren erwartet haben“, sagt die Hausfrau Marla Adkins. Die für Ölunfälle notwendige Ausrüstung, die den Anliegern versprochen worden war, fehlte am Freitag. Die Wut der Leute hier richtet sich weniger gegen die Besatzung der „Exxon Valdez“ als gegen die Fahrlässigkeit der „Helfer“ an den Tagen danach. Das Gefühl, daß die Ölpest zu beheben gewesen wäre, bringt die Fischer mehr in Rage als das Unglück am Karfreitag. Die Rettungsarbeiten seien dilettantisch begonnen worden und kämen jetzt viel zu langsam voran. Am Sonntag hätte Exxon den Einsatz von Chemikalien zur Bindung des Öls verweigert, weil die See zu ruhig gewesen sei.

Jetzt, wo der Teppich mittlerweile eine Fläche von der Größe der Hälfte des Saarlandes bedeckt, läßt der Konzern verlautbaren, die Umweltschutzbehörden hätten einen Chemieeinsatz verboten. Bis Dienstag, als schon die Wellen den ersten Ölschlamm auf die vorgelagerten Strände schoben, sei kein einziger der von Exxon zugesagten Arbeiter zu sehen gewesen.

Schließlich hätten einige Fischer zur Selbsthilfe greifen müssen, um wenigstens einige der laichenden Lachse zu retten. Viele haben es inzwischen aufgegeben, nachdem ihnen von der faul riechenden Masse übel wurde. „Die Leute kommen schwindelig und kotzübel zurück in die Stadt, wenn sie eine Stunde lang gearbeitet haben“, berichtet eine Bewohnerin. Dazu kamen die stinkenden Schwaden, als Exxon versuchte, die Öllache abzufackeln.

Einige der verseuchten Gebiete sind nach Angaben von Pam Bergman vom örtlichen Katastrophenstab unzugänglich und völlig verwildert, so daß Helfer es nicht wagen, sie zu betreten, aus Furcht, sie könnten in der Wildnis umkommen.

„Lachse aus der Region werden wohl nach dem Unglück nicht mehr abgesetzt werden können“, befürchtet John Booren, einer der Fischer von Cordova, die sich in der Dorfschule versammelt haben. Die Küstenwache hat ihm längst schon recht gegeben: „Es gibt keine Möglichkeit, den Ölteppich aufzulösen“, meinte Sprecher Todd Nelson. Und ein Meeresbiologe, der als Fischer in dem Gebiet des Sundes arbeitet, zitiert ergänzend eine Studie von 1984, daß die Giftstoffe nach einer Ölkatastrophe in arktischen Gewässern mindestens zwölf Monate das Überleben von Plankton und Garnelen gefährden. Inzwischen herrscht Einigkeit bei all den Experten, Beamten und Beauftragten, die sich in die kahlen Hotels von Valdez eingemietet haben: Mit jeder Lagune, jedem Meeresarm des Sunds, an denen der schokoladenbraune Schlick langsam emporsteigt, verdüstern sich die Zukunftsaussichten der Fischer von Valdez, wächst die Zeit, in der sie keine Netze mehr brauchen werden. Nur Arbeit - davon wird es in Valdez noch lange mehr als genug geben.

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