MARCIA PALLY

 ■  Neues vom Wilden Westen: Der Staat schießt zurück

Marcia Pally ist eine bekannte New Yorker Feministin, gleichzeitig Chef-Filmkritikerin bei 'Penthouse‘. Sie schreibt unter anderem für 'The Village Voice‘, 'New York Times‘ und 'The Nation‘. Und einmal im Monat in der taz, was die Europäer über den Big Brother wissen sollten, aber nicht unbedingt in jeder Zeitung steht.

Auf kaum eine amerikanische Charaktereigenschaft ist mehr Verlaß: Kaum daß Schwierigkeiten auftauchen, werden die Amis emsig und unternehmen etwas. Manchmal ohne vorher nachzudenken, aber auf jeden Fall mit viel Energie, Lärm und Geld. Als letzten Monat fünf Kinder mit AK47 -Halbautomatikgewehren erschossen wurden, waren sich die Experten darüber einig, daß Offensivwaffen immer mehr zum Problem werden in Amerika, abgesehen von den bekannten schweren Körperverletzungen durch abgesägte Schrotflinten und Pistolen. Ärzte sprechen bei den durch die AK47er gerissenen Wunden (genau wie bei den unter drogendealenden Highschoolkids sehr beliebten Uzis) bereits von „Kriegsverletzungen“. Mit einer Mündungsgeschwindigkeit von 750 Metern pro Sekunde (bei Standardpistolen sind es 180 Meter pro Sekunde) zerschmettern ihre Kugeln Knochen, Blutgefäße und innere Organe, selbst wenn sie sie nicht direkt treffen, wie Dr. Eric Stirling aus Oakland detailliert ausführt. „Bei einer Verletzung mit einer 22er oder 36er“, so Stirling, der gern an friedlichere Zeiten zurückdenkt, „ist der Patient am nächsten Tag wieder zu Hause.“ Die Krankenhausgebühren können sich pro Verletzung bis auf 150.000 Dollar belaufen, Schußverletzungen kosten die amerikanische Öffentlichkeit jährlich eine Milliarde Dollar, und da öffentliche Ausgaben Steuern bedeuten und diese wiederum Wahlergebnisse, liegt das Problem der Offensivwaffen jetzt auf dem Tisch.

Und jeder hat eine Lösung parat. Die von Präsident Bush war, den Import der Waffen zu verbieten, bis die für Alkohol, Tabak und Feuerwaffen zuständige Behörde genaue Ermittlungen über ihren Gebrauch angestellt hat. Einen unmittelbaren Rückgang von Gewalt hatte der Bann nicht zur Folge, dafür kam es zum Run der langjährigen Waffensammler und -investoren auf den Markt. Sie witterten das schnelle Geld, besonders wenn Waffenhandel illegal wird und in den Untergrund abwandert. Wie Marc Pace vom „Bama Waffen- und Pfandleihhaus“ in Montgomery Alabama sagt: „Noch letzte Woche wollte sie keiner geschenkt haben.“

Bush rief auch nach einem Bundesgesetz, das die Todesstrafe für das Erschießen von Polizisten fordert. Obwohl dies überhaupt nicht die Gewalt zwischen Normalbürgern betrifft, die wesentlich häufiger vorkommt als Polizistenmord, könnte dies eine gewisse Wirkung haben, wenn Abschreckung durch Strafandrohung funktionieren würde. Doch die Prohibition und jede Studie über kriminelle Verhaltensweisen haben erwiesen, daß das Gegenteil der Fall ist. Während der Prohibition hatten wir landesweit die Todesstrafe und gleichzeitig die höchste Verbrechensrate des Jahrhunderts. Ich vermute, daß Bush mit seinem strengen Verweis an den Staat New York, es gebe dort seit 25 Jahren keine Todesstrafe mehr, bedeuten will, daß er weiß, es gab sie in den 20er Jahren, ohne daß die Schießereien weniger wurden, und daß wir wohl nicht erwarten können, in einem Land die individuelle Gewalt zu reduzieren, wenn sich die Regierung auf sie verläßt. Und auch die andere große Lehre, die wir aus der Prohibition ziehen können, nimmt er eher gelassen hin: Die Kriminalisierung von Drogen trägt zu deren Reiz bei, produziert den Schwarzmarkt und das organisierte Verbrechen.

Kaliforniens Antwort auf die schweren Körperverletzungen durch Offensivwaffen - immerhin wurden die fünf Kinder in einer kalifornischen Stadt umgebracht - war das Verbot aller Waffen, jedenfalls fast aller. Die Regierung beschloß, etwas zu verbieten, nur konnten sich die Gesetzgeber nicht darauf einigen, was: nur AK47er und Uzis oder alle halbautomatischen Maschinengewehre? Hinzu kommt, daß jeder, der jetzt eine Halbautomatikwaffe besitzt, diese auch behalten darf, solange sie registriert ist. Mir ist schon klar, daß dies ein Kompromiß ist, um die National Rifle Association zu beschwichtigen. Die verteidigt ja die Jagd - und somit den Besitz der zur Jagd nötigen Waffen - als legitimen Sport. Überall in Kalifornien betonen die Jagdorganisationen, daß man zur Jagd überhaupt keine Halbautomatikgewehre benutzt. Die Antwort der National-Rifle -Organisation auf Gewalt generell und speziell auf uzibewehrte Siebtkläßler ist ein Bilderbuch, das Kinder über die Gefahren von Feuerwaffen aufklären soll. Ein löblicher Versuch. In einer Szene finden zwei Kinder im Haus ein Gewehr und rennen mit ihrem Fund zur Mutter - lächelnd erklärt sie, daß man Gewehre besser wegräumen sollte. Wie Puppen und Gesellschaftsspiele gehören auch tödliche Waffen ins Heim, aber jedes Ding an seinen Platz. Auch Florida fand Gefallen an der Idee, Kindern die Botschaft von der Gewaltlosigkeit nahezubringen: Der Staat eröffnete ein 400 Hektar großes Camp, wo Kinder ab dem achten Lebensjahr lernen, wie man Rotwild und andere Tiere abknallt. Dadurch sollen sie kapieren, wie gefährlich Feuerwaffen sind.

Die traditionelle Lösung für Gewaltverbrechen in Amerika ist der Knast. In den Gefängnissen saßen 1988 mehr als 600.000 Verurteilte, Woche für Woche kommen 1.000 hinzu, ohne (nach Schätzungen von FBI und Polizei) Verminderung der Verbrechensrate. Mit flammenden Worten pries New Yorks Bürgermeister Koch daher seine Gefängnisvariante an: fünfstöckige schwimmende Gefängnisbarkassen entlang der Piers. „Mit der Zeit werden die Leute diese Gefängnisbarken lieben, einfach weil sie ausreichend Platz bieten“, versichert er seinen Wählern. Ich als Bewohnerin von Manhattan habe allerdings Vorbehalte gegen Truppen von Schwerverbrechern, die die Insel umschippern. Ich käme mir dann vor wie in einer Wagenburg: Draußen warten sie auf den Angriff der Indianer, drinnen hocken die Frauen und Kinder.

Vielleicht zeugt die zähe Debatte um die Berufung John Towers zum Verteidigungsminister ja doch vom amerikanischen Interesse, das nationale Chaos zu verhindern. In diesem Fall haben wir es geschafft - und das sollte gebührend gewürdigt werden - einen Säufer vom entscheidenden Knopf fernzuhalten.

PS: Die Wahl des ehemaligen Ku-Klux-Klan-Hexenmeisters David Duke zum Parlamentsabgeordneten von Louisiana hat beachtlichen Alarm unter denjenigen ausgelöst, die sich mit der Gewaltfrage befassen. Die Republikaner, für die er ins Rennen ging, hetzen seitdem von Phototermin zu Phototermin, um von seinem neofaschistischem Image wegzukommen. Keiner von ihnen, prahlen die Parteigrößen, hat etwas mit dem Kerl zu tun. Von ihnen hat auch keiner für Nixon gestimmt, und ich glaube, die wahre Antwort auf Gewalt in Amerika ist die: Die einen küssen die Babys vor den laufenden Kameras, und die anderen machen die Drecksarbeit.

Miss Kitty

Aus dem Amerikanischen von Nadja Ofuatey-Kodjoe