„Namibia wird unabhängig: Was bringt uns das?“

Noch immer herrscht Apartheid in dem südafrikanischen Land / Die „vielrassische Harmonie“ existiert allein in Salongesprächen der Hauptstadt Windhoek / Schwarze wie Weiße bleiben gegenüber den neuen Verhältnissen skeptisch  ■  Aus Upington Knut Pedersen

Die nördliche Kapprovinz ist so öde, platt und heiß, daß es einer soliden Daseinsberechtigung bedarf, um dort auszuharren. Upington, die Verwaltungshauptstadt des flächenmässig größten südafrikanischen Landkreises, hat seine Daseinsberechtigung offensichtlich im Respekt „natürlicher Grenzen“ gefunden. Am Ufer des Oranjeflusses gelegen, trotzt die Stadt seit über einem Jahrhundert dem Vormarsch der roten Kalaharidünen. Im Laufe der Zeit ist der Pioniergeist der rund 45.000 Einwohner zur sozialen und topographischen Ordnung geronnen. Das einzige Taxi am entlegenen Flughafen ist für „whites only“. Sofern man dazu gehört, fährt man auf dem Weg in die Stadt zunächst an einer schwarzen Township, einer Karakul-Schafzucht, einem Friedhof, einem Wasserturm und schließlich zahllosen Garagen und Tankstellen vorbei. Im Stadtzentrum bietet die Langeweile rechtwinkliger Verkaufsstraßen einen englischsprachig dominierten Supermarkt, ein SPAR-Geschäft für abgebrannte Afrikaander und eine vulgäre Verkaufshalle für Mischlinge und Schwarze.

Läßt sich Apartheid an den Ufern des Oranjeflusses verteidigen? Im südafrikanischen Upington, der geborenen Grenzstadt, ist das keine Frage. Sollten morgen über dem nachbarlichen Namibia rote Fahnen wehen, dann wird man hier bis zum letzten Manne die „wahre Ordnung“ verteidigen. Schon die Aussicht scheint der alten Räuberstadt eine zweite Jugend zu verleihen, die Erinnerungen an George St.Leger Gordon Lennox alias „Scotty Smith“ weckt. Als der Viehdieb, Revolverheld, Geldfälscher und Diamantenschmuggler hier sein Unwesen trieb, war das heutige Namibia eine deutsche Kolonie. Das Tor zur Kalahariwüste war damals verschlossen. Heute, nach 74 Jahren Verwaltung des Landes - so das Völkerbundsmandat von 1920 - „als integraler Bestandteil Südafrikas“, wird erneut ein Grenzstrich gezogen. Am Rande des langen, von sengender Sonne aufgeweichten Asphaltbandes machen zwei Militärzelte und einige Fahrzeuge jetzt Staat. „Wir sind hier seit dem 20. März“, erzählt gutgelaunt Pieter, ein blondschöpfiger Grenzsoldat. Ihn amüsiert „das erste Visa für Namibia“, das ihm zum Abstempeln vorliegt. Den Einheimischen diesseits und jenseits der Grenze verlangt er bislang lediglich das Vorzeigen eines Personalausweises ab. „Manche sind schon ganz schön verdutzt, aber irgendwann mußte es ja mal dazu kommen“, meint er. Fünfzehn Kilometer weiter wiederholen namibische Beamte den neuen Staatsakt. „Diesmal, glaube ich, wird es wirklich zur Unabhängigkeit kommen“, sagt der kontrollierende Mischling, wenn auch skeptisch. Aber dann wirft er alle noch bestehende Zweifel mit einem herzlichen „Willkommen in Namibia“ endgültig über Bord.

Rund 150 Kilometer weiter, in Karasburg, der ersten namibischen Stadt, scheint der Pioniergeist ebenso lebendig wie in Upington. Im einzigen Gasthof hängen Camouflageuniformen, Helme, Rangabzeichen, Patronengurte und Wimpel an allen vier Wänden. Die wenigen Gäste sprechen auch nicht in Anwesenheit eines „Uitländers“. Sie sind allesamt weiß. Die Schwarzen betrinken sich in den Bottleshops ihrer nahegelegenen Township Lordsville, wo es anderes als Alkohol ohnehin nicht zu kaufen gibt.

„Stimmt es, daß wir unabhängig werden?“

Beinahe zehn Jahre nach der offiziellen Abschaffung der Apartheidgesetze hat sich in der namibischen Provinz nicht viel geändert. Die „vielrassische Gesellschaft, die in befruchtender Harmonie ihre Unterschiede auslebt“, gibt es allenfalls in Salongesprächen in Windhoek, der Hauptstadt. In Luederitz, wo mit „sechzig Wesley-Richard-Gewehren und 500 englischen Goldpfunden“ die deutsche Kolonisierung 1883 ihren Anfang nahm, herrschen noch immer knapp 500 Weiße über eine sterbende Stadt. Ungefähr 30.000 Schwarze leben derweilen zwischen zwei Dänen, draußen vor dem Tor. „Stimmt es denn, daß wir bald unabhängig werden?“ fragt Linda, eine junge Schwarze, die deutschen Besuchern die architektonischen Schmuckstücke des ehemaligen Kolonialhafens zeigt. „Vermutlich ja, aber was ändert das denn für dich?“ - „Alles, denn die Swapo wird mir sicher ein Stipendium bezahlen, um in Heidelberg besser Deutsch zu lernen...“

Namibia ist ein trockenes und leeres Land

Ein paar hundert Kilometer weiter, in der grünen Prärielandschaft des namibischen Zentralplateaus, starrt ein Burenjunge vom riesigen Pferd herunter, auf dem er ohne Sattel wie angegossen sitzt. Unabhängigkeit? Er scheint das Wort nie gehört zu haben und kümmert sich lieber um seine Hunderte von wolligen Schafen, über die er ganz alleine wacht. „Er ist erst zehn“, sagt entschuldigend sein Vater Uys Dutoit und fügt sogleich an: „Wir leben hier draußen sehr isoliert, wir empfangen nicht einmal das nationale Radioprogramm. Im Grunde weiß ich auch nicht, was es mit der Resolution 435 auf sich hat. Namibia wird unabhängig werden, das ist mir klar. Aber was bringt das für uns?“ Auf die Frage weiß sicher auch der schwarze Feldarbeiter keine Antwort, der sich mit demütig an die Hosennaht gepreßtem Strohhut den weißen „baas“ - Herren - auf der Veranda nähert. Namibia, rund dreimal so groß wie die BRD, aber lediglich von 1,2 Millionen Einwohnern bevölkert, ist ein leeres und trockenes Land, das sich nicht kennt - und im Ausland häufig verkannt wird. „Seien wir ehrlich, die meisten Schwarzen kennen nicht mehr als das nächste Dorf, und die Weißen hier sind zum guten Teil Hinterwäldler, die nie verstanden haben, warum über Namibia soviel in der UNO geredet wird“, sagt mit erfrischender Offenheit ein westlicher Diplomat in Windhoek. Mit ihrer „Kaiserstraße“ im Zentrum, den schmucken, kleinen Giebelhäusern und der evangelischen Kirche im „Honigkuchenstil“ ist die namibische Hauptstadt eine seltsame Mischung aus wilhelminischem Kolonialtraum und norddeutscher Kleinbürgerlichkeit. Nach wie vor beherrschen rund 25.000 Deutschstämmige in Namibia Handel und Gewerbe, während rund 40.000 Südafrikaner an den Zentralstellen der Verwaltung sitzen.

In Katutura, der schwarzen Township Windhoeks, hofft man, daß sich das binnen Jahresfrist ändern wird. Die Aussicht auf eine schwarze Mehrheitsregierung hat hier große Hoffnungen, aber auch verwegene politische Ambitionen geweckt. So wollen sich die rührigen Gewerkschaftler z. B. nicht „als Steigbügelhalter für die Swapo mißbrauchen lassen“. Aber neben solch modernen Auffassungen autonomer Gewerkschaftspolitik bestehen ethnische Bindungen fort, die nur schwer hinterfragbar sind - auch in den Reihen der Swapo. Ihre Basis im Ovamboland, wo mehr als die Hälfte der namibischen Bevölkerung lebt, hat sie als Befreiungsbewegung über die schwersten Zeiten gebracht. Jetzt, wo es darum geht, eine landesweit repräsentative Partei aufzubauen, ist „Tribalismus“ hingegen ein Stigma politischer Unreife. Zehn Jahre lang war der Norden Namibias „operationelle Kriegszone“ mit nächtlicher Ausgangssperre. In der sandigen Savanne, in der vormals landwirtschaftliche Subsistenzwirtschaft ein karges Überleben sicherte, hat die südafrikanische Kriegsmaschine die soziale Ordnung überrollt. „Die Ovambos, die nicht einmal von den Deutschen kolonisiert worden waren, werden lange Zeit Opfer dieser traumatischen Jahre bleiben“, meint Kleopas Dumeni, der schwarze Bischof der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Ondangwa. Zwar herrscht bereits seit vergangenem Oktober Waffenstillstand, und die Ausgangssperre wurde am 20. Februar aufgehoben. Aber noch halten mindestens 12.000 südafrikanische Soldaten und ebensoviele namibische Hilfstruppen das Ovamboland besetzt. Am 26. August 1966 haben südafrikanische Truppen in einem kleinen Ovambodorf die erste und einzige Militärbasis zerstört, welche die Swapo je auf heimischem Boden aufzubauen vermochte. Zehn Jahre später hat das Ende des portugiesischen Kolonialreiches und der Flüchtlingsstrom von rund 30.000 geschaßter Angolaner in den Köpfen namibischer Weißer endgültig die Angstbilder von der „marxistischen Befreiungsbewegung“ und „schwarzer Unabhängigkeit“ zementiert. Dank solcher Ängste konnte die südafrikanische Armee Namibia für ein weiteres Jahrzehnt als „anti -kommunistisches Bollwerk“ benutzen. Die Apartheid wurde entlang des Kunene-Grenzflußes zu Angola verteidigt. Wird sich demnächst Ähnliches an den Ufern des Oranjeflusses wiederholen? Nachdem man lange geglaubt hatte, daß die Unabhängigkeit Namibias erst nach dem Ende der Apartheid in Südafrika möglich wäre, könnte man heute das Umgekehrte prophezeien. Und sei es nur, um Upington endlich Angst zu machen.